Philipp Fritz

Journalist, Warschau, Berlin

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Artikel

Kaczynskis weiße Weste bekommt erste Flecken

"Scham" steht auf dem Schild mit Jaroslaw Kaczynskis Porträt, das Demonstranten bei Protesten in Krakau gegen die Justizreform hochhalten. | Quelle: Reuters

Bisher konnte niemand Jaroslaw Kaczynski krumme Geschäfte nachweisen. Jetzt legt eine polnische Zeitung womöglich brisante Tonaufnahmen vor, von einem Korruptionsskandal ist die Rede. Ob das dem Chef der Regierungspartei gefährlich werden kann, ist strittig.

Einige Stunden, bevor die Dienstagsausgabe der „Gazeta Wyborcza" um 6 Uhr in der Früh an den ersten Kiosken in Warschau ausgegeben wurde, heizte die Chefredaktion der polnischen Oppositionszeitung die Gerüchte in sozialen Medien an. Bevor er zu Bett ging postete der Vizechefredakteur Jaroslaw Kurski auf Twitter ein Foto der druckfrischen Titelseite. „Gute Nacht und einen noch besseren Tag", schrieb er dazu.

Das polnischsprachige Internet schien auf einmal zu explodieren. Die Seite nämlich zeigte die Überschrift: „Die Kaczynski-Aufnahmen". Damit war bestätigt, was einige vermuteten: Die Zeitung war an Aufnahmen des mächtigen Vorsitzenden der Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit), Jaroslaw Kaczynski, gelangt.

Die „Tapes" sind nun das dominierende Thema in polnischen Medien und im politischen Warschau. Was sie für Folgen haben werden, ist noch nicht abzusehen. Aber sie sollen belegen, dass Kaczynski im Zentrum eines Wirtschaftsskandals um ein millionenschweres Bauprojekt in der polnischen Hauptstadt steht.

Das aufgezeichnete Gespräch fand am 27. Juli des vergangenen Jahres zwischen Kaczynski und dem österreichischen Geschäftsmann Gerald Birgfellner statt. Laut „Gazeta Wyborcza" hat sich Birgfellner seit Mai 2017 16 Mal mit Kaczynski getroffen. Der Österreicher, der als Investor auftritt, ist angeblich der Schwiegersohn eines Cousins von Kaczynski. Bisher ist kaum mehr über ihn bekannt.

Birgfellner möchte zwei Hochhaustürme für die polnischen Kapitalgesellschaft Srebrna bauen. Srebrna gehört zur Stiftung des Instituts Lech Kaczynski, benannt nach dem verstorbenen Zwillingsbruder von Jaroslaw Kaczynski. Er selbst sitzt in deren Aufsichtsrat. Länger schon gab es Gerüchte um ein Firmengeflecht mit Verbindungen zur Parteielite der PiS.

„Wenn wir die Wahlen nicht gewinnen, dann werden wir den Turm nicht bauen", sagt Kaczynski deutlich hörbar. Der Parteichef spielt auf die damals bevorstehenden Kommunalwahlen an, die die PiS in Warschau verloren hat. Kaczynski macht gegenüber Birgfellner also die politische Situation davon abhängig, ob 1,3 Milliarden Zloty, umgerechnet etwa 300 Millionen Euro, in das Großprojekt fließen sollen.

Das Projekt umfasst zwei 190-Meter-Hochhäuser, darin sind Hotels und Büros geplant, unter anderem der Kaczynski-Stiftung. Es wurde noch vor den Kommunalwahlen der Warschauer Stadtverwaltung vorgelegt, aber schließlich nicht genehmigt. Damals wie heute regierte dort die oppositionelle PO (Bürgerplattform).

In den Aufnahmen empfiehlt Kaczynski Birgfellner, den gerichtlichen Weg zu gehen, um das Projekt genehmigt zu bekommen. Weiter ist die Rede von einem Engagement der zweitgrößten polnischen Bank Pekao, die mit Krediten einspringen könnte, sollte das Projekt auf diesem Wege noch einen positiven Bescheid erhalten.

Birgfellner fühlt sich nun hintergangen und möchte gegen Kaczynski vor Gericht ziehen. Wie die Gazeta Wyborcza berichtet, sei bei der polnischen Staatsanwaltschaft am 25. Januar ein entsprechendes Schreiben eingegangen. Er hatte bereits 1,5 Millionen Euro in die Vorbereitung zur Realisierung der beiden Hochhaustürme investiert - in dem Glauben, Kaczynski würde das Projekt schon durchdrücken.

Ersten Einschätzungen zufolge dürften die Enthüllungen der „Gazeta Wyborcza" keine rechtlichen Konsequenzen für Kaczynski haben. Die Sprecherin der PiS, Beata Mazurek, nannte sie denn auch schon Stunden zuvor „Pseudoenthüllungen". Aber sie belegen doch ein komplexes Netzwerk von Banken, Geschäftsleuten und Parteipolitikern, das gerade stündlich anzuwachsen scheint.

Dass Kaczynski dabei derart viel Aufmerksamkeit gewidmet wird, liegt an seiner Person. Der „prezes", Polnisch für Vorsitzender, wie er oft einfach genannt wird, hatte bisher eine weiße Weste in einem politischen Umfeld, das an Korruptionsskandalen nicht arm ist.

Kaczynski scheint nun zu einem „gewöhnlichen" Politiker geworden zu sein. Mehr noch: Sein Ton, der eines kühlen Geschäftsmannes, erstaunt die Hörer. Selbst Teile der Opposition hielten Kaczynski bisher für jemanden, der sich aus Geld nichts mache. Von diesem Image profitierte seine Partei, die PiS. Jetzt ist es mindestens angekratzt.

Abgeordnete verschiedener oppositioneller Parteien wie Kamila Gasiuk-Pihowicz der Nowoczesna (Moderne) empörten sich über die Verstrickungen Kaczynskis. „Institute, die Selbstverwaltung und Banken werden von Kaczynski wie Lakaien behandelt", schreibt sie auf Twitter.

Der stellvertretende Justizminister Patryk Jaki, der im vergangenen Jahr vergebens für das Amt des Warschauer Stadtpräsidenten kandidierte und der deswegen in der Sache auch eine Rolle spielt, sagte hingegen, Kaczynski habe sich anständig verhalten. Der Vorsitzende selbst schweigt bislang.

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