Marcel Reich-Ranicki bellte wie erwartet, Thomas Gottschalk gab den Anwalt der Öffentlich-Rechtlichen. Und weil beide konsequent aneinander vorbeiredeten, lieferten sie auf ihrem TV-Gipfel weder eine passable Show noch gute Ideen. Oder kann Shakespeare wirklich das Fernsehen retten?
Von Peter Luley
Nein, er habe nichts zu bereuen, bekräftigte Marcel Reich-Ranicki zu Beginn noch einmal seinen legendären Ablehnungsauftritt beim Deutschen Fernsehpreis, die Verleihung sei "abscheulich, scheußlich" gewesen, insbesondere "die vielen Clowns auf der Bühne. Einen Namen kenn' ich sogar: Helge Schneider heißt er". "Der war nicht da", korrigierte Thomas Gottschalk, "das war Atze Schröder." Ach so? Egal, und weiter ging's.
So machte der Anfang des gestern ausgestrahlten Gesprächs zwischen Gottschalk und Reich-Ranicki, mit dessen "Einberufung" der Showmaster den Literaturkritiker auf der Gala virtuos wieder eingefangen hatte, gleich deutlich, was das Problem der Veranstaltung sein würde: dass Reich-Ranicki mit seiner furiosen Fernsehschelte zwar eine Diskussion angestoßen und einen Nerv getroffen hat. Aber dass er genauso wenig wie auf der anderen Seite Gottschalk der Richtige war, die Problematik nun zu diskutieren.
Dabei hatte sich Claus Kleber zuvor im "heute-journal" ein echtes Bonmot zur Anmoderation ausgedacht: Die "reizvollste Begegnung von Geist und Unterhaltung seit der Hochzeit von Marilyn Monroe und Arthur Miller" kündigte der Nachrichtenmann an – doch das Versprechen konnte nicht eingelöst werden. Zu sehr waren die Opponenten ihren erwartbaren Rollen verhaftet: Gottschalk gab den Generalverteidiger des – insbesondere öffentlich-rechtlichen – Fernsehens und warb um Verständnis für das Quotenstreben seiner Macher. Reich-Ranicki forderte aus Zuschauerperspektive mehr Niveau und mehr Mühe.
Viel mehr Differenzierung war leider nicht drin. Während Gottschalk holzschnittartig zwischen öffentlich-rechtlich und privat trennte und seinem greisen Gegenüber jovial die Abwesenheit der Senderverantwortlichen erklärte ("Wenn wir die Kollegen von RTL und Sat.1 eingeladen hätten, das ist ungefähr so, wie wenn man einen Metzger von der vernünftigen vegetarischen Ernährung überzeugen wollte"), machte Reich-Ranicki nicht mal diese Unterscheidung: Für ihn ging es pauschal um "die Intendanten, die keine Ahnung vom Fernsehen haben".
Kein Beleuchten der komplexen Strukturen des dualen Rundfunksystems und des vielfältigen, aber womöglich optimierbaren Angebots aus digitalen Spartenkanälen und Dritten Programmen; kein Hinterfragen, inwieweit die gebührenfinanzierten Sender überhaupt auf die Quote schauen sollten; und mangels Kenntnis auch kaum Diskussion konkreter Beispiele.
"Und dann Brecht. Der wäre der Richtige fürs Fernsehen!"
Immerhin, wer sich vor allem auf die spezielle Rhetorik des 88-jährigen Literaturkritikers, der inzwischen ähnlich wie Helmut Schmidt zur Konsenskultfigur geworden zu sein scheint, gefreut haben sollte, wurde im Rahmen des Erwartbaren bedient: Reich-Ranicki ließ sich nicht lumpen, lieferte seine beliebten Eruptionen mit gerolltem "r", benutzte derbes Vokabular ("das ist alles falsch, schlecht und übel", "das war blödsinnig, verblödet") und bellte: "Man muss nicht den Schwachsinn liefern!" Wieder und wieder fuhr er Gottschalk über den Mund ("Nein, nein, nein, nein, nein!") und fällte apodiktische Urteile, ohne sie näher zu begründen.
Wenn das bei allzu durchsichtigen Anbiederungsversuchen Gottschalks geschah ("Hat nicht Seneca im Alten Rom kluge Sachen gesagt, und der Plebs saß im Circus Maximus?"), mochte man sich an der Schroffheit bis zu einem gewissen Grad erfreuen. Inhaltlich aber hätte man sich doch mehr gewünscht als den Ratschlag Reich-Ranickis, sich auf die großen Poeten zu besinnen: Als gäbe es noch keine entsprechenden Filmadaptionen, regte er an, den "Unterhaltungsdichter" Shakespeare neu zu entdecken. Und dann erst Brecht: "Brecht, wenn man den hätte, der wäre der Richtige fürs Fernsehen!", rief er aus. Im Übrigen forderte er: "Die ganzen Leute, diese Intendanten, Programmdirektoren, Abteilungsleiter, die müssen Angst haben, wenn die keine Angst haben, werden die Dreck machen."
So blieben dem Zuschauer vor allem Einblicke ins Seelenleben Thomas Gottschalks. Der beklagte mit "Wetten, dass ...?"-erprobter Witzischkeit sein Los: "Am Montag tritt mich das Feuilleton in die Tonne, und die Klofrauen jubeln mir zu. Ist doch kein Wunder, dass ich mich fast nur noch auf'm Klo aufhalte." Und formulierte seine Vorstellung von erbaulichem Bildungsfernsehen: "Wir wollen doch vom Fernsehen an die Hand genommen werden, wir wollen konstruktiv ans Licht geführt werden aus dem Dunkeln." Als er einmal Amtsmüdigkeit erkennen ließ ("Ich habe doch in meinem Leben genug Leute gesehen, die mit einem Luftgewehr Flaschen aufschießen können") spendete Reich-Ranicki Trost: "Du kannst dir sehr viel erlauben, und die Leute gucken zu", gab er zu bedenken.
Konsequent redeten die beiden Generalisten aneinander vorbei – zum Teil mit hanebüchener Wortwahl. So imaginierte Gottschalk eine gemeinsame Sendung: "Da bringen wir alles, was die interessierte, intelligente Elite unseres Volkes sehen möchte." Und Reich-Ranicki spornte an: "Man kann eine Komödie von Shakespeare so machen, dass die Gebildeten glücklich sind und die primitiven Menschen es sehr wohl verstehen und genießen." Ungefähr in dieser Preisklasse lagen auch seine Einlassungen über die aktuelle Fernsehkritik ("meist den Volontären, Hospitanten überlassen") und Gottschalks Einschätzung des Internets ("Wenn du übers Fernsehen weinst, dann musst du dich erschießen, wenn du ins Internet guckst. Da ist ja sozusagen der Teufel los.").
Als der Gastgeber nach 30 Minuten zur eigens verschobenen "Aspekte"-Sendung über die Frankfurter Buchmesse überleiten wollte, hatte Reich-Ranicki noch ein Abschiedswort parat: Auch die Buchmessen-Berichterstattung sei "vor 20, 30 Jahren besser gemacht" gewesen. Viel länger hätte die Sendung wohl wirklich nicht dauern dürfen. Seinen verschmähten Preis ließ der Kritiker auch weiterhin bei Gottschalk stehen. Vielleicht wäre es wünschenswert, seinen Auftritt vor einer Woche als gelungene Provokation in Erinnerung zu behalten, die Diskussion über Qualitätsfernsehen aber in anderer Konstellation fortzuführen.
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