Er ist ein Urgestein der deutschen Filmszene. Eine kleine Hommage an den Filmregisseur Klaus Lemke, der heute 70 wird. Berühmt wurde er mit auf der Straße gedrehten Filmen wie "Rocker", die trotz geringster Mittel vor allem eines waren: sexy.
Von Peter Luley
Die Eröffnung des Hamburger Filmfests am 30. September. Über den grünen Teppich, dessen Farbe darauf hinweisen soll, dass sich die Hansestadt 2011 "Umwelthauptstadt Europas" nennen darf, läuft die bei einem B-Festival übliche Halbprominenz: Jutta Speidel, Ex-"Blümchen" Jasmin Wagner. Etwas lauter werden die Spalier stehenden Fotografen nur beim Regisseur Fatih Akin, der pflichtschuldig ein paar Worte in die Mikrofone spricht.
Dann, um kurz vor 20 Uhr, tut sich was jenseits der Absperrungen. Aus der Dunkelheit tritt ein Mann mit grauem Mantel und Schiebermütze, begleitet von einer jungen Frau in einem gefährlich knappen roten Kleid und einem Slacker in Lederjacke. Er versucht sich offenbar uneingeladen Zutritt zu verschaffen. Nach kurzer Debatte mit den Ordnern wird das Trio durchgelassen und nimmt Aufstellung vor den Kameras. "Papas Staatskino ist tot" steht auf dem Schild, das der Mann vor sich trägt, "Lemke" auf dem der jungen Frau. Die Fotografen sind jetzt richtig wach, auf einmal liegt ein Hauch von Action über der Szene - und die Ahnung, dass Kino doch noch eine andere Aura haben kann als wohltemperierte Routine.
Hauptsache es passiert was
So unvermittelt sie kam, so schnell ist die kleine Performance auch wieder vorbei - und dabei auf rührende Weise typisch für das Schaffen des Filmregisseurs Klaus Lemke, der sie mit Saralisa Volm und Henning Gronkowski, den Hauptdarstellern seines aktuellen Projekts "Kein großes Ding", in Szene gesetzt hat. Typisch zum einen, weil sie mit dem Kampf gegen die seiner Meinung nach "kreativitätskillende" staatliche Filmförderung ein Lebensthema Lemkes zum Gegenstand hat. Zum anderen, weil sie ein weiteres Grundprinzip des passionierten Provokateurs veranschaulicht: Wichtiger als Perfektion ist, dass überhaupt mal was passiert - nur sexy muss es, bitte, sein.
Was das bedeutet, konnten die Hamburger in den vergangenen acht Wochen einmal mehr hautnah erleben. Wer Ende August die Flaniermeile Schulterblatt im hippen Schanzenviertel hinunterging, wurde zeitweise Zeuge gleich zweier Filmdrehs: Auf mittlerer Höhe improvisierte Lemke mit seinem Guerilla-Team aus Kamera- und Tonmann; weiter unten markierten Absperrungen und parkende Trucks den Dreh des 30. "Bella Block"-Krimis mit Hannelore Hoger. Hier der Partisan, der seine 100.000-Euro-Straßenstücke selbst vorfinanziert und seinen Laiendarstellern sowie allen Crewmitgliedern pro Tag 50 Euro auszahlt; dort die Auftragsproduktion mit Ausstattung, Maske und Catering.
Zwischen München und Hamburg
Auf diese ganz spezielle Weise hat Lemke, der in München Schwabing wohnt, aber regelmäßig in seinem Stammhotel im Hamburger Hafenviertel eincheckt, seinen beiden Lieblingsstädten in den vergangenen Jahrzehnten schon einige Sittengemälde geschenkt: den Hamburgern sein Opus magnum, die Biker-Oper "Rocker" (1971) und "Finale" (2006). Den Münchnern ihre ureigene Milieukomödie "Amore", 1978, und zuletzt "Schmutziger Süden" (2009). So sehr ist das Authentische, Unprätentiöse, Fröhlich-Subversive zu seinem Markenzeichen geworden, dass manchem kaum noch bewusst sein mag, dass Lemke früher durchaus auch mit größerem Budget gedreht hat - und keineswegs schon immer so asketisch gelebt hat wie heute, da er frühmorgens an der Elbe läuft und nur noch maßvoll raucht und trinkt.
Mit Lemke über die Vergangenheit zu reden ist allerdings nicht eben leicht. Nostalgie möchte er nicht aufkommen lassen - schon gar nicht im Zusammenhang mit seinem bevorstehenden 70. Geburtstag. Zwar hat er sich für das erbetene Interview vier Stunden Zeit genommen. Doch die Bedingungen diktiert er selbst. Die Mütze tief ins Gesicht gezogen, wartet er konzentriert die Fragen ab - und sagt bei Nichtgefallen einfach "skip"- die nächste, bitte! Ist ihm dagegen eine Punchline geglückt, fährt seine Hand durch die Luft: "cut!", ruft er dann wie beim Dreh.
Die Wahrheit über das Oberhausener Manifest
Gern spricht der Meister über die Kritikerin Frieda Grafe, die 1967 seinen Erstling "48 Stunden bis Acapulco" als "die Wiedergeburt des amerikanischen Kinos aus der Vorstellung eines 27-jährigen Deutschen" bezeichnete, was ihn bis heute mit Stolz erfüllt. Er erzählt vom anarchischen Geist der Fassbinder-Zeit ("wir machten Kurzfilme auf geklautem Material") und von seinen frühen Erfahrungen als Assistent des Theaterregisseurs Fritz Kortner, "der Schauspieler zum Schweben brachte". Streift Heidegger, bei dem er hörte, und Adorno, den er hassliebt ("Frankfurter Schule - einfach Gangster!"). Schwelgt in den Szenen seines Vorbilds Howard Hawks. Und erklärt mit breitem Grinsen den wahren Hintergrund des Oberhausener Manifests von 1962: "Alexander Kluge, das Genie, kriegte mit, dass seine Oberhausener niemals irgendein Publikum erreichen würden. Und als Strafe dafür, dass die Leute sich nicht für ihre Filme interessierten, sollten sie sie künftig aus ihren Steuergeldern bezahlen."
Auch über seine Krise nach "Die Ratte" (1992) - "ein unbefriedigendes 'Rocker'-Remake, mein letzter mit Förderung gedrehter Film" - gibt er Auskunft. Bekennt, dass er danach lange keine Lust mehr hatte, Filme zu machen, als Rechercheur für "Quick" und "Bunte" arbeitete. "Bis mir durch puren Zufall so 'ne kleine moderne Digitalkamera in die Hände fiel, etwa 2000 muss das gewesen sein. Innerhalb von Sekunden wusste ich: Ab jetzt drehe ich einen Film nach dem anderen. Das war die Befreiung, meine Wiedergeburt: die Sony PD 150. Plötzlich war alles überflüssig, man brauchte kein Licht mehr, kein gar nix, und alle Leute passten in ein Taxi."
Keine Lust auf Berben und Bardot
Keine Lust hat Lemke dagegen auf andere alte Geschichten von Kokain-Exzessen in der Münchner "Klappe" und seinem Hofhalten im Café Capri. Wie er Iris Berben zum Film brachte und gegen Brigitte Bardot beim Pokern verlor. Auch sein Film "Brandstifter" und seine WG-Zeit mit Andreas Baader sind tabu. Genauso wie seine eigene Herkunft. "Das machen wir ein andermal", bescheidet er knapp. Immerhin bestätigt er die Angaben des Munzinger Personenarchivs: Geboren am 13.10.1940 in Landsberg an der Warthe, Vater Regierungsdirektor, Mutter Tänzerin. Flucht über Dresden nach Düsseldorf. Abitur, ein abgebrochenes Studium der Kunstgeschichte und Philosophie, dann Rezensionen für die Zeitschrift "Film".
Viel spannender findet er die Gegenwart. Wenige Tage darauf präsentiert er im Stadtteilkino Lichtmess sein jüngstes Werk "Schmutziger Süden" sowie die Kompilation "13", einen knapp halbstündigen Zusammenschnitt seiner Filme, den er für die kommende Viennale gefertigt hat. Es gibt "Champagner for free" aus Plastikbechern, und Lemke doziert gut gelaunt über Freiheit und Coolness. Im nächsten Jahr will er am Hamburger Thalia Theater Sartres "Geschlossene Gesellschaft" inszenieren, mit Saralisa Volm und Edgar Selge. Er möchte "3 Kreuze für einen Bestseller" auf die Berlinale bringen und sein Langzeitprojekt "Absturz in Miami" realisieren. Ob alles klappt? Ist nicht so wichtig. Hauptsache, dass immer wieder was passiert.
Sendehinweise zum Lemke-Geburtstag: "Die Ratte", ARD, in der Nacht vom 13. auf den 14.10. um 0.50 Uhr Lemke-Tribute auf der Viennale: 25.10.
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