Paula Lochte

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Meinung: Feministische Außenpolitik provoziert – darum haben wir sie nötig

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock besucht das zerstörte Charkiw am 10.01.2023. | Bild: picture alliance / photothek | Xander Heinl

Sie verunglimpfen die Meldestelle Antifeminismus als Denunzianten-Portal und ziehen Baerbocks feministische Außenpolitik ins Lächerliche: Journalisten und Politiker, die ihre antifeministischen Reflexe mit Freiheitskampf verwechseln. Eine Gegenrede.


Am Mittwoch stellt Außenministerin Annalena Baerbock ihr Konzept einer feministischen Außenpolitik vor. Das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL frohlockte allerdings schon vor Tagen, einen Entwurf in die Hände bekommen zu haben, und titelte: "Baerbock ordnet 'feministischen Reflex' an." In Kombination mit dem Verb "anordnen" klang das so appetitlich wie eine würgreflexauslösende Veggie-Wurst aus dem Reformhaus. Kaum auszudenken, was für Currywurst-Enthusiasten wie Friedrich Merz schlimmer ist: Der Gedanke an labbrigen Tofu oder Feminismus im Außenministerium.

"Feministische Außenpolitik ist kein Gedöns"

Im März 2022 hatte der CDU-Vorsitzende Merz die Bundesregierung aufgefordert, mehr in NATO und Bundeswehr zu investieren, und in Richtung Annalena Baerbock ergänzt: "Sie können von mir aus feministische Außenpolitik machen, aber nicht mit dem Etat für die Bundeswehr." Baerbock ließ ihn und die von ihm behauptete Dichotomie zwischen Militär (wichtig) und Feminismus (nicht so wichtig) allerdings ganz schön alt aussehen mit ihrer Replik.

"Mir bricht es das Herz", sagte sie - und Merz fasste sich spöttisch an die Brust. "Und wissen Sie warum?", fuhr Baerbock fort und erzählte von Frauen aus dem ehemaligen Jugoslawien, die dafür kämpfen mussten, dass die ihnen angetanen Vergewaltigungen als das gewertet werden was sie sind: als Kriegswaffe und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Baerbocks Appell: "Deshalb gehört zu einer Sicherheitspolitik des 21. Jahrhunderts auch eine feministische Sichtweise. Das ist kein Gedöns!"

Neuer Tiefpunkt der Debatte um feministische Außenpolitik

Und doch sind wir gut ein Jahr später debattenmäßig wieder am Ausgangspunkt, wenn nicht an einem neuen Tiefpunkt, angelangt: Ob denn Frauen friedlicher seien als Kerle, fragte zuletzt zum Beispiel Focus-Kolumnist Jan Fleischhauer. Und feixte mit Blick auf das von Baerbock formulierte Ziel, mehr Botschafterinnen zu berufen (aktuell sind laut Entwurfspapier 73 Prozent der deutschen Botschaften in Männerhand), was denn mit den Nicht-Binären sei. DER SPIEGEL warnte indes vor "pädagogischem Druck" und "Genderkompetenz als Einstellungskriterium". Und die Süddeutsche Zeitung titelte: "Hundeschule Baerbock".

Kurzum: Wenn eine Politikerin, eine grüne zumal, einen "feministischen Reflex" fordert, dann zucken anti-feministische Reflexe durch Politik und Medien. Denn wer Feminismus, Frauen und die vermeintliche "Verbotspartei" ins Lächerliche zieht, dem sind Klicks sicher. Aus dem Blick gerät dabei, was Baerbock eigentlich will: dass wir alle, und ihr Ministerium im Besonderen, Benachteiligte (das meint nicht nur Frauen) und Ungerechtigkeiten (das meint nicht nur Sexismus) bemerken, benennen und angehen. Und zwar nicht manchmal, sondern immer.

Eine Meldestelle Antifeminismus? "Hilfe, ich finde doch Gendern so doof!"

So weit, so konsensfähig, dürfte man meinen. Und doch reagierte ein großer Teil der politischen und medialen Öffentlichkeit mit Alarmismus. So auch, als die sogenannte " Meldestelle Antifeminismus" Anfang Februar ihren Dienst aufnahm.

Dabei handelt es sich um ein von der Bundesregierung gefördertes Portal der Amadeu-Antonio-Stiftung, an das sich Betroffene wenden können, wenn sie frauen- oder queerfeindlich angegriffen werden. Zum Beispiel Hassnachrichten erhalten oder sogar Morddrohungen, wenn sie auf Demos beschimpft werden oder ihre Privatadresse plötzlich im Internet steht. Ein Hilfsangebot für Betroffene.

In der Berichterstattung wurde aus der Anlaufstelle, die erheben will, welche Formen und welches Ausmaß Antifeminismus annimmt und die Beratung für Betroffene anbietet, jedoch ein "Petz-Portal" (Cicero) und eine demokratiefeindliche Stelle für "Denunziation" (NZZ), betrieben von "woken Diskurs-Killern" (Ex-Ministerin Schröder in der Welt), die alle bedrohten, die "Gendersterne oder Initiativen der Ministerin kritisieren" (DER SPIEGEL).

Worum geht es genau?

Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Wer Gendern doof findet, ist noch lange kein "meldepflichtiger" Antifeminist. Überhaupt geht es nicht darum, Listen unliebsamer Personen anzulegen, sondern um Forschung und Beratung. Niemand muss fortan der Gleichstellungsbeauftragten seines Unternehmens zujubeln oder wird verhaftet, weil er nicht genug im Haushalt hilft. Bei Antifeminismus handelt es sich, wie auch bei Antisemitismus oder Rassismus, um eine Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.

Die US-amerikanische Schriftstellerin Marie Shear hat es einmal auf den Punkt gebracht mit ihrem Satz: "Feminismus ist die radikale Auffassung, dass Frauen Menschen sind." Doch die Rechte von Frauen werden bis heute immer wieder und systematisch verletzt. Das ist der Grund, warum es nun eine Meldestelle Antifeminismus gibt. Und warum Annalena Baerbock versucht, eine feministische Außenpolitik zu entwickeln.

Die Hysterie der Männer

An ihren Leitlinien wird sich die Außenministerin messen lassen müssen: Wie unterstützt sie zum Beispiel die protestierenden Frauen im Iran? Tut Deutschland genug? Doch anstatt Baerbocks Versuch schon im Tofu-Sojabohnen-Keim zu ersticken, statt das Konzept als Gedöns zu verunglimpfen und gleichzeitig Schreckgespenster heraufzubeschwören, sollten sich Konservative und Liberale fragen, warum sie das F-Wort überhaupt so provoziert.

Die ganze Aufregung in Kolumnen, Kommentaren und an Redepulten erinnert übrigens sehr an ein altes Krankheitsbild. Gemeint ist nicht Helmut Schmidts Ausspruch, wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen. Sondern das, was Frauen so gern vorgeworfen wird: Hysterie.

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