Miriam, Siona und Bethlehem, genannt „Betty“, Endale sind drei Schwestern aus der Ukraine, auch bekannt als Hip-Hop-Trio „Fo Sho“. Sie spielen Shows in ganz Europa, doch aus ihrer Heimat mussten sie flüchten. Wir haben die älteste der drei Schwetsern, Betty, im schwäbischen Exil erreicht. Ein Gespräch über Zerstörung, Krieg und die Kraft von Musik.
Zündfunk: Du und deine beiden Schwestern, ihr bildet das Hip-Hop-Trio „Fo Sho“. Ihr seid in Charkiw aufgewachsen, musstet die Ukraine nun aber fluchtartig verlassen. Wie hast du den Kriegsausbruch erlebt?
Betty Endale: Als der Krieg begann, war ich gerade in der Hauptstadt Kiew. Aber meine ganze Familie war in Charkiw. Unser Haus ist nur 38 Kilometer von der russischen Grenze entfernt, und der Krieg hat wortwörtlich dort begonnen. Als also um fünf Uhr morgens die Sirenen losheulten, habe ich sofort meine Eltern angerufen und ihnen gesagt: „Packt eure Sachen!“ Sie konnten aber nur noch das Nötigste, ein paar Dokumente und was sie gerade zu fassen bekamen, in kleinen Taschen verstauen. Und dann mussten sie losrennen, zum Luftschutzbunker im Stadtzentrum. Ich war währenddessen in Kiew bei einer Freundin und hatte nur eine kleine Tasche dabei. Meine Freundin hat mich dann nach Odessa gebracht. Denn Kiew stand unter Beschuss.
Du hast deine Eltern dann wiedergetroffen. Du warst ja in Odessa, sie im Luftschutzbunker in Charkiw. Wie hast du das geschafft?
In den ersten zehn Tagen nach Kriegsbeginn konnte ich nicht ausreisen, denn ich wollte meine Familie nicht zurücklassen. Ich habe also darauf gewartet, dass sie Charkiw verlassen können. Das haben sie dann auch geschafft, aber es war eine unheimlich brenzlige Situation, denn sogar im Bahnhof wurden sie bombardiert. Sobald sie Lwiw erreicht und die Grenze überquert hatten, bin ich über die Grenze nach Moldau und von dort aus nach Kischinau, von Kischinau nach Bukarest in Rumänien und von dort bin ich dann nach Deutschland geflogen. Und so haben wir uns wiedergetroffen, in Deutschland.
Aber unsere Herzen sind immer noch in der Ukraine, denn unser Haus, unsere Musik, unser Leben, unsere Freunde sind noch immer dort. Und auch unser Hund. Meine Eltern mussten unser Haus so panisch und schnell verlassen, dass sie ihn nicht mitnehmen konnten. Wegen alldem haben wir noch keinen inneren Frieden gefunden.
Wie hat der Krieg gegen die Ukraine eure Musik beeinflusst und verändert?
Ich würde nicht sagen, dass der Krieg unsere Musik verändert hat. Wir haben schon immer gesellschaftskritische Songs geschrieben. Nicht nur Liebeslieder. Dass wir politische Musik machen, kam nicht erst durch den Krieg. Aber wir nutzen unsere Kunst jetzt, um so oft wie möglich über die Ukraine zu sprechen.
Deine Eltern kommen aus Äthiopien – und sie haben sich in der Ukraine kennengelernt, wo beide Medizin studiert haben, als es die Sowjetunion noch gab. Inwieweit hat das Aufwachsen in einer äthiopisch-ukrainischen Familie deine Musik beeinflusst?
Das hat mir und meinen Schwestern eine neue Sicht der Dinge verschafft. Anfangs mussten wir uns erst daran gewöhnen, Äthiopierinnen in einer slawischen Umgebung zu sein. Wir mussten sozusagen den äthiopischen Blick auf unser slawisches Umfeld erst erlernen. Als wir das gerade geschafft hatten, mussten wir unsere Identität als Jüdinnen finden. Und dann wurde uns unsere Identität als äthiopisch-jüdische Ukrainerinnen in Europa bewusst. Immer wieder allerdings werden wir hier als Menschen aus Eritrea oder Äthiopien angesprochen und nicht als Ukrainerinnen.
Die Leute können sich nicht vorstellen, dass es Schwarze Ukrainerinnen gibt.
Ja, wenn wir hier in Deutschland mit dem Bus fahren, müssen wir uns immer erklären. Menschen aus der Ukraine dürfen den ÖPNV hier kostenlos nutzen. Aber die deutschen Busfahrer schauen uns an und sagen: „Was? Du bist doch nicht aus der Ukraine!“ Und ich hole dann immer meinen ukrainischen Pass raus und zeige ihnen: „Doch, ich bin Ukrainerin. Das hier ist mein Pass.“ Gerade stehe ich mitten in Stuttgart, ich trage ein gelbes Top und eine blaue Hose und sehe aus wie die ukrainische Flagge. Und darauf bin ich stolz. Ich liebe mein Land wirklich.
Wie geht es denn für euch weiter: Bringt ihr wie geplant euer erstes Album raus?
Wir waren gerade auf einem Musikfestival in Italien und konnten dort in ein Studio. Wir haben einen neuen Song geschrieben, der sich auch mit dem Krieg beschäftigt, aber in einer positiven Stimmung. Es ist ein Song über die Hoffnung. Und wir haben schon wieder Ideen für einen neuen Track. Aber darüber reden wir erst, wenn er fertig ist. Denn so sollte man einen Track präsentieren.