CDU-Politikerin Karin Prien, Bildungsministerin von Schleswig-Holstein, hat nach einem Shitstorm ihren Account bei Twitter gelöscht. In einem Statement kritisiert sie die Debattenkultur auf Twitter. Recht hat sie! Ein Kommentar.
Donnerstagnacht. Bei Markus Lanz im ZDF sitzen eine Politikerin, eine Ärztin, eine Schülerin und ein Soziologe. Es geht um Kinder und Jugendliche in der Pandemie, die Schülerin diskutiert mit CDU-Politikerin Karin Prien, die auch Vorsitzende der Kultusministerkonferenz ist. Die Streitpunkte: Die Risiken einer Corona-Infektion bei jungen Menschen und Kindern und sogenannte Schattenfamilien. Es ist eine dichte und differenzierte Debatte: Was richtet die Pandemie bei Kindern an? Welche Kinder leiden besonders, wenn die Schulen schließen? Und welche, wenn sie offen bleiben?
#PrienRücktritt dominiert auf Twitter
Wurscht, dass die CDU-Politikerin das so nicht gesagt hat. Wurscht, dass sie in der Sendung sehr wohl auf besonders gefährdete Kinder eingeht. Wurscht, dass ihre Botschaft eigentlich klarer nicht sein könnte: Erwachsene, lasst euch verdammt nochmal impfen, die Kinder mussten schon genug ausbaden! Was letztlich hängen bleibt, ist: Der Ministerin sind tote Kinder egal! Am Freitagabend versucht sich Karin Prien dann auf Twitter in Schadensbegrenzung. Sie schreibt: „Bitte differenzieren: Kinder sterben. Das ist extrem tragisch. Aber sie sterben mit Covid-19 und nur extrem selten wegen Covid-19." Daraufhin geht es erst richtig los: #PrienRücktritt beherrscht das Wochenende, nicht nur bei Twitter. Prien sei „zynisch“ und „kalt“, ja, ihr wird sogar unterstellt, sie unterscheide wie die Nationalsozialisten zwischen „wertem“ und „unwertem“ Leben, anders könne man ihren Tweet gar nicht verstehen.
Likes fürs in die Pfanne hauen anderer
Und genau hier liegt das Problem: Denn selbstverständlich muss man Priens (sachlich richtigen) Tweet nicht als Eugenik 2.0 miss-verstehen. Aber Twitter lebt vom kalkulierten Missverständnis. Dass wir uns aufregen und empören, das ist das Geschäftsmodell dieser Plattform: Twitter macht sich dabei zu Nutze, dass unser Gehirn schneller und heftiger auf Negatives reagiert. Und so bekommt auf Twitter derjenige am meisten Aufmerksamkeit, der andere bewusst falsch versteht, um sie oder ihn in die Pfanne zu hauen.
Prien ist dafür nur das jüngste Beispiel. Die Journalistin Nicole Diekmann erntete 2019 einen Sturm der Entrüstung, als sie nach einem „Nazis-raus“-Tweet auf die Frage, wer für sie Nazis seien, schrieb: Na, alle, die nicht die Grünen wählen. Und Twitter-Satiriker El Hotzo gilt neuerdings als Putin-Versteher, nachdem er getwittert hatte: „Nicht böse gemeint, aber ich werde ganz bestimmt nicht für die fucking NATO sterben.“
Aussagen werden auf Twitter aus dem Kontext gerissen
Im Mai hat der RND-Redakteur Matthias Schwarzer die Debattenkultur auf Twitter treffend so beschrieben: Ausgerechnet die intellektuelle Blase, bestehend aus hochgebildeten Leuten, die sich gut und pointiert ausdrücken könnten, die sich selbst als aufgeklärt, weltoffen und solidarisch empfänden und die teils mehrere Tausende Follower hätten, diese Blase lege gleichzeitig eine Debattenkultur an den Tag, „die einer Gruppe von plärrenden Kindergartenkindern gleicht.“ Recht hat er! Der Twitter-Shitstorm vom Wochenende hat Kultusministerin Karin Prien übrigens dazu bewegt, ihren Twitter-Account zu löschen. Und schon trendete der nächste gegen sie gerichtete Vorwurf: Hashtag Opferrolle. Like, Retweet, Repeat. Besser wäre: Ab jetzt ignorieren!