Paul Dziedzic

Redakteur, freier Journalist

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Artikel

Der Fall Rudolf Manga Bell

In Kamerun ist die deutsche Kolonialzeit auch durch die Infrastruktur präsent.


Die Hin­rich­tung liegt nun schon über 100 Jah­re zurück. Doch sie beschäf­tigt vie­le Men­schen in Kame­run, allen vor­an eine Fami­lie mit dem Namen Man­ga Bell. Denn ihr wohl berühm­tes­tes Fami­li­en­mit­glied, der König der Dua­la, Rudolf Man­ga Bell, wur­de in einem Schnell­ver­fah­ren deut­scher Kolo­ni­al­jus­tiz zum Tode ver­ur­teilt und am 8. August 1914 hin­ge­rich­tet, weil er sich gegen die kolo­nia­le Will­kür stell­te. Die Uren­ke­lin des Wider­stands­kämp­fers, Prin­zes­sin Mari­lyn Doua­la Bell, hat nun eine Peti­ti­on gestar­tet, die von der Bun­des­re­gie­rung eine Reha­bi­li­tie­rung ihres Urgroß­va­ters und sei­nes Mit­strei­ters Ngo­so Din fodert. "Bis heu­te wei­gert sich die deut­sche Regie­rung, die Unschuld der Hin­ge­rich­te­ten anzu­er­ken­nen", heißt es in der Petition.

Eine der Erstunterzeichner*innen der Peti­ti­on ist die Lin­ke-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Sevim Dağ­de­len. Sie hat eine klei­ne Anfra­ge an die Bun­des­re­gie­rung gerich­tet, in der es unter ande­rem um die Reha­bi­li­tie­rung von Man­ga Bell geht. Die Ant­wort auf die klei­ne Anfra­ge liegt "nd" vor. Dar­in äußert sich die Bun­des­re­gie­rung nicht kon­kret zu einer mög­li­chen Reha­li­bi­la­ti­on: "Bereits im Fall des soge­nann­ten Ver­söh­nungs­ab­kom­mens mit Nami­bia hin­sicht­lich des Völ­ker­mor­des an den Here­ro und Nama hat die Bun­des­re­gie­rung kräf­tig ver­sagt. Die Dua­la in Kame­run wer­den wohl auch unter der Ampel-Koali­ti­on, hun­dert Jah­re nach den Jus­tiz­mor­den nicht mit deren Reha­bi­li­tie­rung rech­nen kön­nen", so Dağdelen.

Dabei ist der Fall sogar recht gut doku­men­tiert: "Man kann auf jeden Fall sagen, dass der Pro­zess gegen Rudolf Man­ga Bell rechts­wid­rig war, selbst nach Maß­stä­ben des dama­li­gen Kolo­ni­al­rechts", sagt Mat­thi­as Gold­mann, Pro­fes­sor für inter­na­tio­na­les Recht an der EBS Uni­ver­si­tät Wies­ba­den zu "nd". Obwohl es rein recht­lich kom­pli­ziert sein könn­te, die Reha­bi­li­ta­ti­on einer nicht mehr leben­den Per­son ein­zu­for­dern - poli­tisch lie­ße sich das gut begründen.

Auch über den Fall Man­ga Bell hin­aus for­dern Aktivist*innen seit Jah­ren die Reha­bi­li­tie­rung anti­ko­lo­nia­ler Widerstandskämpfer*innen. Eine sol­che For­de­rung steht seit 2015 im Raum, initi­iert vom Komi­tee für ein afri­ka­ni­sches Denk­mal in Ber­lin anläss­lich des 130-jäh­ri­gen Geden­kens an die Ber­li­ner Afri­ka-Kon­fe­renz. Die Bun­des­re­gie­rung hät­te vie­le Mög­lich­kei­ten, Reha­bi­li­tie­run­gen über den Fall Man­ga Bell hin­aus ein­zu­lei­ten, meint die Rechts­an­wäl­tin Sarah Ima­ni von der Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on ECCHR zu "nd": "Man könn­te ein Gesetz ver­ab­schien­den, das Reha­bi­li­tie­rungs­ver­fah­ren ermög­licht." Das habe es in der Ver­gan­gen­heit gege­ben, wenn es um die Opfer der SED ging oder um Per­so­nen, die wegen ein­ver­nehm­li­cher homo­se­xu­el­ler Hand­lun­gen ver­ur­teilt wor­den waren. "Das ist am Ende eine poli­ti­sche Fra­ge. Ein sol­ches Gesetz gibt es für Opfer von kolo­nia­lem Unrecht nicht", so Imani.

Die Auf­ar­bei­tung der Kolo­ni­al­ver­bre­chen schrei­tet nur lang­sam vor­an. Die Aner­ken­nung des Geno­zids an den Nama und Here­ro hat Jah­re in Anspruch genom­men und wäre ohne die ener­gi­sche Initia­ti­ve der betrof­fe­nen Gemein­schaf­ten nie vor­an­ge­schrit­ten. "PR-tech­nisch hat es die dama­li­ge Regie­rung cle­ver gemacht, indem sie ver­mied, die Aner­ken­nung des Geno­zids völ­ker­recht­lich zu for­mu­lie­ren", sagt Chris­ti­an Kopp, Vor­stands­mit­glied bei Ber­lin Post­ko­lo­ni­al zu "nd". Auch wenn wei­te­re For­schung nötig sei, so gebe es jetzt schon genü­gend Bewei­se dafür, den Kolo­nia­lis­mus selbst als Unrechts­re­gime anzu­er­ken­nen. In dem Fal­le, so Kopp, müss­te die Bun­des­re­gie­rung sich bei den ehe­mals kolo­ni­sier­ten Län­dern entschuldigen.

Der Mei­nung ist auch Sevim Dağ­de­len, die die jet­zi­ge Regie­rung in der Ver­ant­wor­tung sieht: "Es spricht der gera­de von den Grü­nen gebets­müh­len­ar­tig dekla­rier­ten wer­te­ba­sier­ten Außen­po­li­tik Hohn, wenn die Ampel-Regie­rung nicht bereit ist, den deut­schen Kolo­nia­lis­mus als Unrechts­herr­schaft anzu­er­ken­nen." Ein Grund, war­um die Bun­des­re­gie­rung beim The­ma Auf­ar­bei­tung des Kolo­nia­lis­mus so schwer tut, ist die Angst vor Repa­ra­tio­nen, erklärt Ima­ni von ECCHR.

Sevim Dağ­de­len sieht hin­ter dem schlep­pen­den Pro­zess noch mehr: "Die Nach­läs­sig­keit, mit der von den Spit­zen im Aus­wär­ti­gen Amt die his­to­ri­sche Ver­ant­wor­tung Deutsch­lands in Kame­run und die Bit­te um Ent­schul­di­gung und Ver­ge­bung kolo­nia­ler Ver­bre­chen ganz offen­sicht­lich behan­delt, ist ein trau­ri­ger Beleg für die anhal­ten­de neo­ko­lo­nia­le Igno­ranz." Letzt­end­lich kommt es auf die poli­ti­schen Akteu­re sowohl inner­halb der betrof­fe­nen Gemein­den, den post­ko­lo­nia­len Staa­ten selbst sowie Aktivist*innen aus der Erin­ne­rungs­po­li­tik an, den Druck auf die Bun­des­re­gie­rung wei­ter aufzubauen.

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