Im August stimmt Chomsky einem Interview in unserer Reihe „Lernen von den Alten" zu. Sein Terminkalender aber ist so voll, dass es bis Mitte Dezember dauern wird, bis er Zeit für ein Gespräch hat. Im Videocall spricht er über die globale Klimakrise, den weltweiten Protest junger Menschen, über Kapitalismus und Klassenkampf, darüber, ob Alexandria Ocasio-Cortez irgendwann Präsidentin der USA werden wird und warum Donald Trump seiner Meinung nach Genie und zugleich größenwahnsinniger Soziopath ist.
Noam Chomsky: Ich denke, ein intelligenter Außerirdischer würde eine Spezies sehen, die zwar ihre intellektuellen Fähigkeiten entwickelt hat, aber es gleichzeitig versäumte, ihre moralischen Fähigkeiten richtig auszubilden. Eine Spezies, die auf einen Abgrund zurast, obwohl sie genau weiß, was sie tut. Im Grunde ist ihr das aber egal. Vor ein paar Wochen fand ein Treffen in Glasgow statt ( die UN-Klimakonferenz, Anm. der Red.). Dort kamen die Anführer der Welt im Grunde zu dem Schluss, dass wir erstmal nichts tun werden. Nun, die Erde brennt. Das ist bestens bekannt und kein Geheimnis.
Dafür gibt es eine einfache Lösung, die ganz und gar nicht utopisch ist. Wir müssen zurück zu einer gesünderen und anständigeren Form des staatlich kontrollierten Kapitalismus. Das wäre aber erst der Anfang. Im Moment jedoch haben wir 40 Jahre unerbittlichen Klassenkampf hinter uns, den man Neoliberalismus nennt. Er soll sicherstellen, dass die sehr Reichen und die großen Unternehmen unter allen Umständen ihre Interessen wahrnehmen können.
Ich würde ihnen sagen, sie sollen die Augen öffnen. Es gibt in der Tat eine bestimmte Klasse, die sehr wohl versteht, dass es Klassen gibt: die Klasse der wirtschaftlichen Elite. Sie setzt alle Mittel ein, um ihre Interessen durchzusetzen. Das ist keine neue Erkenntnis. Man kann bis zu Adam Smith (schottischer Wirtschaftsphilosoph und Vordenker des Kapitalismus, Anm. der Red.) zurückgehen, der das 1767 schon beschrieben hat, und zwar in Worten, die sehr gut auf die Gegenwart zutreffen. Die Herren der Menschheit sind demnach die Kaufleute und Fabrikanten Englands. Sie sorgten dafür, dass sie genügend Einfluss auf die Regierung haben, damit - und jetzt zitiere ich ihn - ihre eigenen Interessen am meisten beachtet werden, egal wie schlimm die Effekte auf andere sein mögen. Das ist Klassenkampf.
Noam Chomsky im Videocall mit unserem Autoren.
Screenshot: Patrick Wehner
Werfen wir einen Blick auf die Gegenwart. Wir befinden uns in einer globalen Klimakrise. Banken und Energiekonzerne stehen unter großem öffentlichem Druck, diesen verheerenden Wettlauf zu beenden, bevor er in einer Katastrophe endet. Sie machen einige, meist rhetorische Schritte, um zu zeigen, dass sie etwas gegen die Klimakrise unternehmen. Und was passiert im Verborgenen? Große Lobbygruppen, finanziert von Konzernen, fordern, dass US-Bundesstaaten Gesetze erlassen, um diejenigen Banken zu bestrafen, die nicht mehr in fossile Energie investieren wollen. Man muss sich also von der Illusion befreien, dass es keinen Klassenkampf auf Kosten der allgemeinen Bevölkerung gibt. Sonst wird man nichts erreichen. Dabei sind die richtigen Lösungen längst bekannt.Es gibt eine Resolution im US-Kongress, eingebracht von Alexandria Ocasio-Cortez. Sie legt im Detail die richtigen Mechanismen zur Überwindung der Klimakrise dar. Nur kennt diese Resolution fast niemand. Wenn die Menschen davon wüssten, könnten sie sich dafür einsetzen, dass sie zu einem Gesetz wird.
Der Alternative für Deutschland. Die Einstellungen sind ähnlich. Wenn die Dinge so weiterlaufen, wird Trump oder jemand, der ist wie er, im Jahr 2024 wieder ins Amt gehievt. In den republikanischen Bundesstaaten werden gerade Gesetze verabschiedet, die den republikanischen Gesetzgebern die Mittel an die Hand geben, die Wahl zu kippen, wenn sie gegen sie ausfällt. Dies geschieht in einem Bundesstaat nach dem anderen, um sicherzustellen, dass die extreme Rechte die ständige Kontrolle über das Wahlsystem hat. Ganz gleich, wie die Wahl eigentlich ausfällt. All das passiert gerade jetzt.
Nun, wir haben bereits vier Jahre erlebt, die uns zeigen, was das bedeuten würde. Trump ist ein soziopathischer Größenwahnsinniger. Er kümmert sich um nichts, außer um sich selbst. Und er ist gleichzeitig ein cleverer Politiker. Er weiß, wie man vorgehen muss. Darin ist er ein Genie. Es gibt zwei Dinge, die für ihn wichtig sind. Erstens muss er den sehr Reichen und dem Unternehmenssektor versichern, dass er sich für ihre Interessen einsetzt.
Zweitens muss er eine Wählerbasis schaffen. Die Republikaner haben seit Nixon verstanden, dass sie mit ihrer Politik im Grunde überhaupt keine Wählerbasis mobilisieren können. Man kann nicht einfach zu den Wählern gehen und sagen: Ich arbeite nur für die großen Konzerne und die Reichen, wählt mich! Also muss man das Thema wechseln. Die Menschen sollen sich um alles andere, nur nicht um die eigentliche Politik Gedanken machen. Zum Beispiel über den vermeintlichen Niedergang der weißen Rasse. Das geht weit zurück in der amerikanischen Geschichte. Vor 100, 120 Jahren war der damalige US-Präsident Theodore Roosevelt ein verbitterter, gewalttätiger Rassist, der sich Sorgen machte, dass weiße Frauen nicht genug Kinder bekämen und Women of Color zu viele Kinder hätten.
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