Bad Tölz - Einmal in der Woche lässt Sepp Fischer sein normales Leben zurück. Dann schlägt er sich mit einem Messer und einem Feuerstein durch die Wälder - und begeistert damit tausende Menschen auf der ganzen Welt.
Wenn Sepp Fischer in seinen Keller in einer Bad Tölzer Reihenhaussiedlung geht, dann lässt er die Welt das erste Mal hinter sich. Dort unten, auf vier Quadratmetern, hat er alles, was er braucht, um zu überleben. Wasserfilter, Zelte, Äxte, ein selbstgebautes Blasrohr, Unterlegmatten, Feuerbogen. In der Ecke steht ein kleiner Weihnachtsbaum aus Plastik. Und Messer, Fischer hat jede Menge Messer. „Zum Saufuadern", sagt er und grinst stolz. Sepp Fischer, 42, Khaki-Hemd, blaue Kappe und Zündstein-Anhänger um den Hals, ist Survival-Experte. Ein Überlebenskünstler. Der Rüdiger Nehberg von Tölz.
Das zweite Mal lässt Fischer die Welt hinter sich, wenn er wie fast jeden Freitag sein Auto auf dem Waldparkplatz abstellt und die ersten Meter unter den Bäumen spaziert. Das ist die magische Grenze zwischen Arbeit, Stadt und diesem Kribbeln, das Fischer Freiheit nennt.
Es ist Freitagmorgen, über Bad Tölz hängen dicke Regenwolken. Sepp Fischer schlüpft in seine Stiefel und packt seinen Rucksack. Er will raus aus der Stadt. Weg von den Autos, dem Lärm, rein in den Wald. „Einen Tag in der Woche arbeite ich mir dafür raus", erzählt der Familienvater. Gemeinsam mit ein paar Freunden gehört ihm eine Tölzer Firma, die Reklametafeln und Namensschilder für Büros herstellt.
Fischers Ziel ist der Sylvensteinspeicher. Er steckt ein Messer ein, die Schnur für seinen Feuerbogen, das Mini-Stativ für seine Kamera - und zwei frische Forellen. Gekaufte Forellen. Einen Angelschein hat er nämlich nicht. Links und rechts ragen dicke Bäume in seinen Weg hinein, hin und wieder nieselt es. Alle 20 Meter bleibt er stehen, bückt sich hinunter zu einer Pflanze, riecht daran und isst sie. Etliche Kurse in Pflanzenkunde hat er gemacht, sagt er, die brauchst Du auch, manche Pflanzen sind ja giftig. Für Heilkunde hingegen interessiert er sich nicht. „Ich wollte bei den Kursen immer wissen, ob man die Pflanze auch essen kann." Survival-Grundlage. In einem alten Flussbett schlägt er sein Lager auf. Er zupft ein wenig Flechte von einem Baum, sein Zunder. Mit drei Stücken Holz und seinen bloßen Händen macht er sich ein kleines Feuer in einer Grube. „Da drin kann nichts passieren", erklärt er.
Während er ins Feuer schaut und ein paar dürre Äste nachlegt, erzählt Fischer noch von einem weiteren Leben, dass er führt. Neben seiner Arbeit, neben seinem Wald. Fischer hat einen Youtube-Kanal. Seit knapp zwei Jahren stellt er Videos von sich ins Internet. Die zeigen ihn, wie er sich Schneeschuhe bastelt, Lager baut, in einer Schneehöhle in den Bergen überlebt. Knapp 800 000 Mal wurde sein Kanal „Waldhandwerk" angeklickt. Aus Amerika schicken sie ihm Geschenke als Dankeschön für die Videos, in Saudi-Arabien hat er ebenfalls eine treue Fangemeinde. Denn der gebürtige Österreicher moderiert seine Videos nicht auf Deutsch, sondern auf Englisch. Einem recht sympathischen Englisch. Sepp Fischer kann zwar auf sechs, sieben Arten Feuer machen, ohne dabei ein Feuerzeug auch nur anzuschauen. Handbohrer, Feuerbogen, Quartzstein, zur Not auch Stahlwolle und Neun-Volt-Batterie. Doch mit seinem Englisch halte er es so wie Boulevard-Zeitungen mit ihren Artikeln. „Ich red' halt meine 50 Wörter", sagt er.
Sepp Fischer steckt seine Forellen auf Äste und hält sie über das Feuer. Gerade ist er über zwei Dinge sehr glücklich. Dass es hier im Wald keine Braunbären gibt. Und dass er hier draußen frei sein darf.