Patrick Gensing

Journalist, Redakteur, Autor

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Zwei Jahre nach dem Terroranschlag: Das neue Utöya

Zwei Jahre nach dem Terroranschlag

Utöya als Zeichen für Toleranz Vor zwei Jahren ermordete der Rechtsterrorist Breivik 69 Menschen auf Utöya. Die meisten waren Mitglieder der Arbeiterjugend Norwegens AUF, der die Insel gehört. Die AUF plant nun das neue Utöya - als Zeichen für Toleranz und Demokratie.

Von Patrick Gensing, tagesschau.de

Die Wiese frisch gemäht, das Haupthaus frisch gestrichen: Auf Utöya haben in den vergangenen Wochen zahlreiche Freiwillige gearbeitet, um die kleine Insel für die Veranstaltung zum zweiten Jahrestag des rechtsradikalen Terrorangriffs vorzubereiten. Sowohl auf dem herzförmigen Eiland selbst als auch am Anleger in Utvika, rund 500 Meter entfernt am Festland, wird der 69 Opfer gedacht, die Anders Breivik am 22. Juli 2011 ermordete.

Utöya steht damit wieder im Fokus der Öffentlichkeit. Fährt man sonst am Tyrifjord in der ostnorwegischen Provinz Buskerud entlang, fällt Utöya eigentlich kaum auf. Strahlend weiß und rot gestrichene Holzhäuser, großzügige gepflegte Gärten am Festland und eine scheinbar friedliche Insel - wie Hunderte andere in Norwegen.

Das Herz der norwegischen Sozialdemokratie

Doch Utöya ist mehr, es ist das Herz der norwegischen Sozialdemokratie. 1950 bekam die Arbeiterjugend AUF die Insel geschenkt. Viele bekannte Politiker wie Ministerpräsident Jens Stoltenberg oder Thorbjörn Jagland waren AUF-Vorsitzende - und besuchten die Sommerlager auf Utöya. Auch andere Jugendorganisationen wie die des Roten Kreuzes nutzten die Insel für ihre Treffen.

Altgediente Mitglieder der traditionsreichen Arbeiterpartei bezeichneten Utöya als Paradies, wo sie wunderbare Sommerabende verbrachten - und als wohl sichersten Ort der Welt. Bis Anders Breivik 2011 seine Gewehre durchlud und Jagd auf junge Sozialdemokraten machte.

Die Cafeteria als Todesfalle

Tove Lise Granli war als junge Frau 1982 auf Utöya dabei - 2011 besuchte ihr Sohn Jo das AUF-Sommerlager. Er überlebte das Massaker. Sie hilft bei den Instandhaltungsarbeiten, um die Geschehnisse zu verarbeiten, sagt sie im norwegischen Rundfunk NRK. Mit ihrem Sohn sei sie auf der Insel unterwegs gewesen und habe sich angeschaut, wo sich die Jugendlichen vor Breivik versteckt hatten. Die Cafeteria wurde für 13 Menschen zur Todesfalle, in der "Skolestua" (Schulstube) konnten sich hingegen 47 Jugendliche vor dem rechtsradialen Terroristen verstecken. So auch Jo.

Insel zum Jahrestag für Überlebende und Angehörige geöffnet

Zum zweiten Jahrestag ist die Insel für drei Tage für Angehörige der Opfer und Überlebende geöffnet, um ihrer geliebten Menschen zu gedenken, um das Erlebte zu verarbeiten. Einer aktuellen Untersuchung zufolge leiden noch 40 Prozent der Überlebenden an Angstzuständen und Depressionen. Die norwegische Regierung stellte 180 Millionen Kronen (knapp 23 Millionen Euro) bereit, mit denen die Kommunen die psychologischen Behandlungen finanzieren können.

Ragnhild Kaski aus Kirkenes in Nordnorwegen lobt die Hilfe, die sie nach den traumatischen Erlebnissen erhielt. Doch sie kenne viele, die noch Hilfe bedürften, sagte sie NRK. Ohnehin werde sie den Rest ihres Lebens durch den Angriff auf Utöya geprägt, doch das Leben müsse weitergehen.

Die beste Antwort auf den Terror

Auch die AUF will nach vorne schauen - ohne die zu vergessen, die seit dem 22. Juli 2011 fehlen. Die Arbeiterjugend möchte das neue Utöya aufbauen. Die Cafeteria und weitere Gebäude sollen abgerissen, neue errichtet werden. Der Wiederaufbau sei die beste Antwort auf den rechtsradikalen Terrorangriff, meinen die jungen Sozialdemokraten. Auf der Insel soll es eine Gedenkstätte für die Opfer geben, dazu ein neues Hauptgebäude mit Konferenzräumen, Speisesaal, Küche und einem Glockenturm. Auch der Zugang zur Insel soll durch einen neuen Anleger in Utvika erleichtert werden.

Man wolle neue Generationen auf ein hübscheres und sicheres Utöya einladen, in eine neue Umgebung, die den Geist und die Traditionen bewahrt. Ein Ort, an dem Demokratie und Toleranz gelebt werde, verkündet die AUF. Um den Plan umzusetzen, haben die jungen Sozialdemokraten einen Fonds eingerichtet. Im Netz berichten sie über den Fortgang des Projekts. Doch noch fehlt Geld, um das neue Utöya aufzubauen.

Das erste Sommerlager

Nur wenige Kilometer entfernt, in Gulsrud, fand Anfang Juli indes das erste landesweite AUF-Sommerlager nach dem Anschlag auf Utöya statt. Die Sicherheit hatte dabei höchste Priorität, denn insbesondere die Teilnehmer, die das Massaker überlebt haben, sollten sich wohl fühlen. Offenbar funktionierte das Konzept, Anna Kvalö aus Westnorwegen beispielsweise war begeistert von dem Treffen, trotz der schrecklichen Erinnerungen an Utöya.

Breivik wollte den Nachwuchs der Arbeiterpartei als Träger der Idee des Multikulturalismus auslöschen, doch zu dem Sommerlager 2013 kamen weit mehr als 750 Jugendliche, 200 mehr als vor zwei Jahren auf Utöya. Und nach dem Doppelanschlag traten Hunderte Jugendliche der Arbeiterjugend bei, die Zahl der Mitglieder wuchs von rund 9600 auf mehr als 13.000.

Rechtspopulisten könnten Macht übernehmen

Rückenwind, den die Arbeiterpartei dringend gebrauchen kann. Trotz immensen Wohlstands und blendender Wirtschaftslage droht den norwegischen Sozialdemokraten der Machtverlust bei der Wahl im Herbst.

Die Konservativen und die Rechtspopulisten der Fremskrittspartiet könnten dann die Regierung übernehmen. Für die Überlebenden von Utöya wohl ein beklemmender Gedanke: Denn die Jugendorganisation der Rechtspopulisten war von 1997 bis 2007 die politische Heimat von Anders Breivik.

Stand: 22.07.2013 16:01 Uhr

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