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An der Führungsvollzeit rütteln

Manchmal sind Forschungsfragen so heikel, dass es schwierig ist, Teilnehmer für eine Studie zu finden. „Wir hier am Institut für Gender und Diversität in Organisationen sind sehr gut vernetzt", erzählt Helga Eberherr, Soziologin an der WU Wien, „aber es war in der Tat eine Herausforderung, diese Stichprobe zu füllen." Eberherr und ihre Institutschefin, Regine Bendl, wollten Unternehmen aus dem kommerziellen wie dem Non-Profit-Bereich gewinnen, um sie zu fragen: Mit welchem „Gleichstellungsdruck" - bezogen auf die Gleichstellung von Mann und Frau, aber auch auf Diversität insgesamt - sehen Sie sich konfrontiert? Und wie verarbeiten Sie diesen intern?

An dem Projekt mit dem Titel „Gender Cage revisited: Zur Rekonfiguration von Geschlechterdifferenzierungen" waren auch die deutsche Phillips-Universität in Marburg sowie die Fachhochschule Nordwestschweiz beteiligt. Finanziert hat es u. a. der österreichische Wissenschaftsfonds FWF.

Schließlich gewann das Forscherteam doch 16 Unternehmen für die Studie, zehn davon aus dem Profit-Sektor (in den Branchen Technologie, Unternehmensberatung, Pharma), sechs aus dem Non-Profit-Bereich (Wohlfahrt, Umwelt) - jedes von ihnen ein „Big Player". Wem die Forscher in die Unternehmensseelen blickten, lässt sich aber nicht sagen, weil die Studie anonymisiert wurde.

Dafür wurden Geschäftsberichte analysiert, Einzelinterviews in der Führungsetage und mit Personalvertretern geführt, Gruppendiskussionen und Workshops im mittleren Management gehalten und außerdem auch das Befinden niederrangiger Mitarbeiter online erhoben, etwa: Wie nehmen sie Ihre Arbeitszeiten wahr? Müssen Sie immer erreichbar sein? „Da zeigten sich die Vereinbarkeit von Job und Privatleben und etwaige Gleichstellungswidersprüche ganz konkret", sagt Eberherr.

Den sechs aus Österreich beteiligten Unternehmen bzw. deren Human-Ressources-Verantwortlichen spiegelten Eberherr und ihr Team nach ihrer Untersuchung „Handlungsperspektiven" zurück: damit die Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung die Praxis bereichern können. „Das ist dann auch sehr geschätzt worden."

Keine 80-Stunden-Wochen

Was sind nun solche Ergebnisse der Unternehmensanalyse? Erstens seien Führungspositionen sehr stark als Vollzeitstellen konnotiert, sagt Eberherr. „Führung kann innerhalb eines Unternehmens aber auch anders als mit 60- oder 80-Stunden-Arbeitswochen geregelt werden", das hätten vor allem Non-Profit-Organisationen bereits erkannt: „Dort wird an der Führungsvollzeit gerüttelt." Wenn sich diese Ansicht weiter verbreite, hätten Frauen - die häufig nur Teilzeit arbeiten - künftig bessere Aussicht, in den Unternehmenshierarchien aufzusteigen.

Zweitens: Der Druck auf die Unternehmen, Gleichstellungs- und Diversitätsstrategien zu entwickeln, entstehe weniger aus ihrem eigenen Antrieb, er komme vor allem von außen. Etwa dann, wenn bei einer Antragstellung z. B. für ein EU-Projekt Diversität eingefordert würde oder die Firmenleitung im geschäftsrelevanten Umfeld verstärkt wahrnimmt, man brauche eine solche Strategie. Wie engagiert diese dann umgesetzt wird, hänge auch vom Unternehmenszweck der betreffenden Organisation ab, so Eberherr: „Ist Gleichstellung bzw. Diversität dort im Kerngeschäft verankert, passiert die Umsetzung viel effizienter - im Profit- wie im Non-Profit-Bereich."

Wenig überraschend ist das Ergebnis, dass die Gleichstellungs- oder Diversitätsbekenntnisse der Unternehmensführungen auf Papier viel rascher gefasst sind oder weiter gehen, als es danach ihre Umsetzung in der Praxis tut. Brauchte es deshalb mehr Quoten, die schließlich eine unmittelbare Überprüfung der tatsächlich erreichten Gleichstellung zuließen? „Wir reden ja schon lange davon, Frauen verstärkt in Führungspositionen zu bringen", sagt Eberherr, „die Wirksamkeit stellt sich aber nicht ein. An einem Punkt müsste man dann schon sagen: Wir brauchen eine Frauen- und Migrationsquote, um die verschiedenen Gruppen in unserer Gesellschaft entsprechend darzustellen."

Schweizer „Sonderurlaub"

In Profit-Unternehmen sei die Quote häufig als leistungsfeindlich konnotiert. Doch, so Bendl: „Wenn man professionell damit umgeht, geht's ja darum, Frauen bei gleicher Qualifikation vorzuziehen, was dem Leistungsverständnis nicht widerspricht."

Auch der Ländervergleich ist dank paralleler Untersuchungen bei den deutschsprachigen Nachbarn möglich: „In Sachen Gleichstellungsrecht etwa", so Bendl, „sind wir in Österreich doch relativ weit im Vergleich zur Schweiz." Als Beispiel nennen die Forscherinnen die gesetzlich nicht existierenden Karenzregelungen: In Schweizer Unternehmen gelte es schon als großes Zugeständnis, weiblichen wie männlichen Angestellten Sonderurlaub für wenige Wochen „Karenzzeit" zu gewähren.


("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2017)

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