Frau Dulkiewicz, was ist das Erste, das Ihnen in den Sinn kommt, wenn Sie an Bremen denken?
Ich denke an die Stadtmusikanten, an das charmante Schnoor-Viertel, an den Roland, an das Bremer Rathaus. Ich denke an all die Dinge, von denen ich gehört und gelesen habe, bei denen ich aber noch keine Gelegenheit hatte, sie mit eigenen Augen zu sehen. Aber: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Die bisherigen Versäumnisse hole ich schon im Mai nach, weil ich Bremen im Zuge des 400-jährigen Hafengeburtstags in Vegesack besuche.
Was bedeutet die Städtepartnerschaft zwischen Bremen und Danzig für Sie?
Die Zusammenarbeit zwischen Bremen und Danzig hat sich im Laufe der Zeit verändert. Am Anfang bestand sie vor allem aus der Unterstützung von deutscher Seite. Wir sind zu großem Dank verpflichtet für die moralische und materielle Hilfe, die wir etwa nach der Einführung des Kriegsrechts in Polen im Jahr 1981 erfahren haben. Dann ist uns Bremen mit großer Empathie begegnet, als es 1994 zu einem Großbrand in der Ausstellungshalle in der Danziger Werft kam. Der Leiter der Roland-Klinik, der eine Aktion zur Hilfe der Brandopfer ins Leben rief, Dieter Paschmeyer, wurde zum Ehrenbotschafter Danzigs ernannt und später sogar zum Honorarkonsul der Republik Polen. Uns war es zudem sehr wichtig, von den deutschen Erfahrungen bei der Schaffung der kommunalen Selbstverwaltung zu lernen. Von den Bremer Bürgerinnen und Bürgern lernten wir die Prinzipien der gesellschaftlichen Teilhabe. Und man könnte sagen, es war Bremen, das uns in Brüssel vorgestellt hat. Aber wir haben festgestellt, dass wir uns nicht nur darauf beschränken können, zu nehmen, sondern dass es uns ebenso große Freude macht, zu geben.
Wie sieht dieses Geben aus?
Zum Beispiel im Bereich der Umsetzung großer Investitionsprojekte. Diese Art des Wissenstransfers betraf ehrgeizige Wirtschaftsprojekte in geeigneten postindustriellen Gebieten nach dem Schiffbau, wie etwa den Spacepark in Bremen und Young City in Danzig. Wir handeln gemeinsam, bilden eine Koalition und leisten Unterstützung auch im Bereich internationaler Organisationen, in denen wir Mitglied sind. Ein Beispiel ist der europäische Ausschuss der Regionen. Zudem suchen wir gemeinsam nach Möglichkeiten, andere Städte zu unterstützen, die in einer schwierigeren Situation stecken, etwa Partnerstädte im Osten.
Wie betrachten Sie die heutigen Beziehungen zwischen Polen und Deutschland?
In einer Situation realer Probleme in den polnisch-deutschen Beziehungen stehen die Kommunalverwaltungen vor der Aufgabe, ihre Aktivitäten noch weiter zu intensivieren. Das strahlt positives Klima aus und wirkt sich konstruktiv auf die Handlungen der zentralen Behörden aus, davon bin ich überzeugt. Für uns in Danzig ist es so selbstverständlich, dass unsere Partnerschaft mit Bremen vor 45 Jahren begann. So viele Jahre gemeinsamer Beziehungen fielen in eine Zeit, die unvergleichlich schwieriger ist als die vorübergehenden Turbulenzen, mit denen wir es derzeit zu tun haben. Ganze Generationen von Danziger und Bremer Bürgerinnen und Bürgern waren im Laufe der Jahre an der Umsetzung gemeinsamer Projekte beteiligt. Die Aktivität, Initiative und die Ideen sind dabei unabdingbar für unsere Partnerschaft. Optimal wäre es, wenn diese guten Selbstverwaltungsmodelle auch auf die zentrale Ebene übertragen werden könnten.
Die nationalkonservative Regierungspartei PiS verbreitet auf nationaler Ebene Ressentiments gegen Deutschland. Welche Herausforderungen bestehen für Sie, die Partnerschaft mit einer deutschen Stadt gegen die Opposition im Stadtparlament, also die PiS-Partei oder ihre Sympathisanten, zu verteidigen?
Bei diesen Arten von falschen Streitigkeiten und imaginären Konflikten ist das Schlüsselwort Bildung. Gemeinsam mit unseren deutschen Partnern sind wir das Fundament zweier wichtiger Organisationen unserer Europäischen Gemeinschaft: der Europäischen Union und der Nato. Allen, die nicht auf dem nationalistischen Auge blind sind, muss klar sein, dass die Solidarität der EU-Partner, die Zusammenarbeit und das gegenseitige Vertrauen ein Garant für Frieden und Wohlstand in unserem Teil der Welt sind. Wenn diese ziemlich einfache Botschaft einer zusätzlichen Verstärkung bedarf, werde ich sie auch verstärken.
Wie gehen Sie mit Kritikern der Partnerschaft um? Zum Beispiel haben Menschen Ihnen vorgeworfen, selbst eine Deutsche zu sein, Sie wurden als Nazi beschimpft. Das klingt sehr hart.
Die Gegenüberstellung unserer Partnerschaft mit der angeblichen Nazi-Inspiration ist mir nicht bekannt. Wenn wir versuchen, über konkrete Fakten und die wirklichen Auswirkungen unserer Beziehungen zu sprechen, stellt sich heraus, dass Kritiker keine Argumente gegen die Offenheit gegenüber ausländischen Partnern haben werden. Wir sollten ohne Komplexe und schmerzhaft ehrlich über unsere Vergangenheit sprechen, aber wir dürfen uns nicht erlauben, die Gegenwart zu vergessen und Pläne für die Zukunft zu schmieden.
Seit in Deutschland Rechtspopulisten in den Parlamenten sitzen, werden Politiker und Politikerinnen im privaten Leben verstärkt angegriffen. Wie erleben Sie das in Ihrer Stadt?
Es ist ein sehr schmerzhaftes Thema in Danzig und gleichzeitig stellt es einfach eine echte Bedrohung dar. Mein Vorgänger im Büro des Präsidenten von Danzig, Pawel Adamowicz, wurde zum tödlichen Opfer einer geballten Hasskampagne. Die Begleitung durch einen bewaffneten Sicherheitsdienst ist zum Teil meines Lebens geworden. Das ist keine Laune, sondern ein Ergebnis der Dutzenden Bedrohungen, mit denen ich regelmäßig überflutet werde. Sie können sich sicherlich nicht der Angst ergeben und von der Angst gelähmt werden. In Danzig haben wir das Motto: nec temere nec timide, also weder unbesonnen noch furchtsam. Das ist ein tolles Motto für alle, die trotz des Gegenteils wissen, dass sie eine wichtige Aufgabe zu erfüllen haben.
Pawel-Adamowicz-Straße in Bremen, die Straße wurde in GEdenken an den ermordeten Danziger Stadtpräsidenten benannt. Es handelt sich um das Gelände des Quartiers Ellener Hof.
Foto: Elisabeth SchindlerWie hilft Ihnen die Partnerschaft mit Bremen, gegen die nationalkonservativen Entwicklungen im Land anzukommen?
Internationale Beziehungen, das Kennenlernen anderer Perspektiven zur Bewertung derselben Phänomene können uns nur bereichern. Offenheit und Gesprächsbereitschaft sind die Basis für eine verlässliche Einschätzung der uns umgebenden, komplizierten Realität. Das lehren uns die Kontakte zu unseren ausländischen Partnern, darunter Bremen.
Auch wenn Danzig eine sehr weltoffene Stadt ist und Sie als Präsidentin Minderheiten unterstützen, werden diese doch teils offen diskriminiert. So fuhr etwa vor ein paar Jahren ein Bus mit homophoben Aussagen durch die Stadt. Wie gehen Sie damit um?
Diskriminierung, Hassreden und Intoleranz sind keine Phänomene, die nur polnische Städte betreffen. Sie sprachen gerade selbst von Politikern in Deutschland, die Opfer von Angriffen werden. Die Verrohung der Sprache in der öffentlichen Debatte wird zu einer Zivilisationskrankheit. Wir müssen versuchen, dagegen vorzugehen. Und eine solche Form des effektivsten Damms ist die oben erwähnte Bildung. Der Schlüsselaspekt besteht darin, den Bürgerinnen und Bürgern Informationen über aktuelle soziale und politische Herausforderungen in Polen und auf der ganzen Welt zur Verfügung zu stellen. Es braucht eine Förderung eines Dialogs zwischen verschiedenen ideologischen, politischen, religiösen und weltanschaulichen Umfeldern.
Was konkret tut Danzig, um diese Ziele zu erreichen?
Es ist unerlässlich, eine Schulbildung zu entwickeln, die auf Menschenrechten und Grundwerten basiert. Danzig geht mit gutem Beispiel dafür voran, indem wir ein Pilotprogramm namens Danziger Bürgerunterricht gestartet haben. Außerdem wurde in unserer Stadt das Modell zur Integration von Einwanderern für die Verwaltung von Migration und Integration auf lokaler Ebene geschaffen. Das Ziel des Modells ist es, die Unabhängigkeit von Einwanderern zu stärken, indem es ihnen Informationen und Kenntnisse vermittelt, die für ein gutes Leben in Danzig erforderlich sind. Andererseits sollen Institutionen, deren Kunden immer häufiger Einwanderer sind, darauf vorbereitet werden, ihnen gleichberechtigt mit den Einwohnern von Danzig Dienstleistungen anzubieten.
Gibt es etwas, was Sie sich für die Zukunft der Partnerschaft zwischen Bremen und Danzig wünschen würden?
Die heutigen Akteure der Zusammenarbeit sind Einwohner unserer Städte, die tägliche Kontakte und lebendige Beziehungen unterhalten und Dutzende verschiedener Initiativen umsetzen. Wir haben längst das Stadium überschritten, in dem dieser Austausch einen "offiziellen Koordinator" benötigte. Unsere Rolle ist mehr, zu helfen und nicht zu stören, als zu initiieren. Initiatorinnen und Initiatoren sind bereits Vertreter verschiedener Lebenswelten in unseren Städten – dies ist eine Phase der Graswurzel- und organischen Arbeit. Ich wünsche unserer Partnerschaft, dass vor allem junge Menschen in den Kreis der Initiatoren und Autoren neuer Initiativen und Projekte kommen.
Das Gespräch führte Patricia Friedek.
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