Marko Rohlfs bahnt sich den Weg durch das hohe Gras. Es hat geregnet an diesem Vormittag im August, die Insekten halten sich also versteckt. Kein Zirpen ist zu hören, das sonst zwischen den Pflanzen auf dem Campus der Uni Bremen tönt, keine Biene schwirrt herum. Aber dort, zwischen zwei Halmen, hat sich eine große Spinne ihr Zuhause eingerichtet, die hat Rohlfs schon einen Tag zuvor entdeckt. Es ist eine Wespenspinne, erklärt er, der als Professor für Evolutionsökologie mitverantwortlich dafür ist, dass einige Grünflächen an der Uni seit vielen Monaten vor sich hin wuchern. Rohlfs hat zusammen mit einer Gruppe von Studierenden und Dozenten das Projekt „Campus goes Biodiverse“ initiiert – eine Antwort auf das Artensterben.
Pflanzen und Insekten haben sich angesiedelt
Seit 2019 wurden einige Wiesen nicht oder nicht mehr so oft gemäht. Schilder weisen an den Grünflächen darauf hin: „Wilde Wiese? Hier wächst Artenvielfalt!“, steht darauf geschrieben. Und in der Tat: In den knapp zwei Jahren, in denen das Projekt läuft, haben sich sichtbar Pflanzen und Insekten angesiedelt. Hasenklee, kanadisches Berufkraut, Schafgarbe, Johanniskraut und Disteln gedeihen um die Uni herum. Manche würden das als Unkraut bezeichnen – Rohlfs und seine Projektgruppe sehen darin das Gegenteil.
„Das
ist alles Lebensraum“, sagt Rohlfs. Lebensraum, der den Pflanzen und
Insekten in Städten genommen wird. Mit dramatischen Konsequenzen: Eine
prominente Studie von Krefelder Entomologen stellte einen Rückgang der
fliegenden Insekten um mehr als 75 Prozent in 27 Jahren fest. Die Gründe
für den Rückgang der Biodiversität
sind noch nicht abschließend erforscht. Was sich aber ziemlich sicher
sagen lässt: Intensive Landwirtschaft, der Einsatz von Pestiziden und
der fehlende Lebensraum gehören zu den Hauptfaktoren.
Marko Rohlfs
ist überzeugt: „Wir brauchen ein aktives Nichtstun.“ Damit meint er vor
allem, dass Grünflächen seltener und gezielter gemäht werden, und zwar
möglichst nicht nur auf dem Unicampus. Denn häufige Mahd verhindere,
dass Pflanzen und Insekten ihre Lebenszyklen nicht abschließen können.
Das wiederum habe Konsequenzen für Vögel und Fledermäuse, die sich von
Insekten ernähren. Die Projektgruppe hat sich vorerst dagegen
entschieden, Pflanzensamen auszusäen. Es gehe zunächst einmal darum,
eine Analyse anzustellen: Was bietet der Boden? Welche Insekten leben
dort? Welche Pflanzen siedeln sich an? Einige Bachelor- und
Masterarbeiten wurden bereits im Laufe des Projekts verfasst.
Ideales Grünflächenmanagement
Daniel Kohler ist so einer, der für seine Masterarbeit die
Insekten und Pflanzen auf dem Campus erforscht. Vor allem soll es um die
Beziehung zwischen ihnen gehen und welche Mahd für beide Seiten ideal
ist – denn Pflanzen und Insekten haben unterschiedliche Bedürfnisse.
Während für die einen Arten eine häufigere Mahd günstiger ist, ist es
für die anderen besser, wenn man gar nicht mäht. Ein ideales
Grünflächenmanagement ist das Ziel.
Um zu erfassen, welche Pflanzen
und Insekten sich auf dem Campus angesiedelt haben, nutzen die Biologen
verschiedene Methoden. Zum einen kann jede und jeder in der App
iNaturalist Fotos hochladen. Die App erkennt verschiedene Arten und
benennt sie, allerdings nur, wenn sie deutlich genug abgebildet sind.
Dann fängt die Gruppe mit Keschern Insekten ein, um sie später unter dem
Mikroskop und mit einem Buch zur Hand zu bestimmen. Die meisten Tiere
schicken sie zu speziellen Firmen zur sogenannten Sequenzierung, um die
Arten anhand ihrer DNA zu bestimmen.
Manchmal bekäme die Gruppe E-Mails von Menschen, die sich
beschweren, dass jemand über die Grünflächen läuft, erzählt Antonia
Otte, die sich um die Öffentlichkeitsarbeit des Projekts kümmert. Aber
das sei gewollt, betont Marko Rohlfs. „Wir haben ein verkorkstes
Naturschutzverständnis“, meint er. Eigentlich müsse auf den Schildern
stehen: „Betreten erlaubt.“ Denn nur indem Menschen mit der Natur in
Berührung kämen, könne man ein besseres Verständnis schaffen. „Es
braucht eine Veränderung in den Köpfen. Auch, damit die Leute nicht mehr
so häufig Rasen mähen.“
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