Viele Bewohner der Krim preisen den russischen Präsidenten, Schwierigkeiten lächeln sie ein Jahr nach der Annexion einfach weg. Nur wenige sprechen von Angst.
Ein grauer Straßenköter streunt gemächlich über die Gleise am Bahnhof von Simferopol. Gefahr von einfahrenden Zügen droht hier kaum: Auf den Schienen stehen nur ein paar Lokomotiven und Güterwaggons, der einst rege Betrieb ist zum Erliegen gekommen. Seit Dezember fahren keine Nachtzüge mehr von der Halbinsel Krim nach Kiew, Donezk oder Moskau. Leer hängen die schwarzen Anzeigetafeln im imposanten Bahnhofsgebäude mit den hohen Fensterbögen und Blumenornamenten aus Stein. Von neun Ticketschaltern ist ein einziger besetzt. Es fahren nur Regionalzüge aus der Krim-Hauptstadt nach Sewastopol im Westen der Halbinsel oder in den Norden, wo es nun eine Grenze zur Ukraine gibt.
Ein Jahr ist es her, dass russische Soldaten ohne Hoheitsabzeichen die Krim besetzten und die Macht übernahmen. Eine geplante Geheimoperation, wie immer neue Informationen belegen. Am 16. März stimmte die Mehrheit der 2,3 Millionen Einwohner bei einem umstrittenen und international nicht anerkannten Referendum für die Eingliederung in die Russische Föderation. Was der Westen als russische Annexion und Verstoß gegen das Völkerrecht verurteilt, nennen viele Menschen auf der Krim Wiedervereinigung. Wenn der russische Präsident Wladimir Putin von der "großen zivilisatorischen und sakralen Bedeutung" der Krim spricht, sind die meisten Einwohner weniger ideologisch: Sie hoffen einfach auf mehr Wohlstand.
Ein paar Schritte vom Bahnhof wartet ein Grüppchen älterer Frauen auf Reisende, in den Händen Schilder, die Übernachtungsmöglichkeiten in ihren Wohnungen anbieten. Sie versuchen, ihre Rente aufbessern. Wie ist das neue Leben unter russischer Führung? "Tausendmal besser", antwortet eine der Frauen. Eine andere sagt: "Wir sind glücklich mit unserem Leben. Wir sind glücklich, dass die Krim zu Russland zurückgekehrt ist. Wir sind glücklich mit Putin."
Angst und GehirnwäscheEine dritte Frau will widersprechen, bittet aber zunächst einen Schritt zur Seite. "Die lügt!", rufen ihr die anderen hinterher. Dann erzählt die Frau, die sich Irina nennt: Geld zu verdienen sei schwieriger geworden, besonders im Tourismus, der wichtigsten Branche auf der Halbinsel. Seit der Annexion seien die Preise gestiegen. Zwar brachten die vergangenen Monate vielen höhere Löhne, doch die Inflation fraß das Plus meist wieder auf. Wo die anderen von Glück sprechen, spricht sie von Angst: Für kritische Worte könne man im Gefängnis landen, sagt die Rentnerin mit den grauen Strähnen in den dunklen Haaren. "Jeder hat Angst vor Putin." Sie klagt über die Propaganda und ihre Wirkung, "Gehirnwäsche" nennt sie das.
Für Irina war es angenehmer auf der ukrainischen Krim zu leben als auf der russischen. "Jeden Tag wird es schlechter", sagt sie, in den kommenden fünf Jahren werde sich das wohl auch nicht ändern.
Solche kritischen Töne sind auf der Krim nicht oft zu hören. Wer sich mit der neuen Realität nicht abfinden will oder wirtschaftliche Problemen hat, schweigt, hat die Krim bereits verlassen oder muss Repressionen fürchten, wie die Krimtataren, die muslimische Minderheit der Halbinsel, die gegen die Angliederung an Russland war und das Referendum boykottierte. Jene, die geblieben sind, loben höhere Renten und kostenlose Krankenversicherung.
In Simferopol wehen heute russische Flaggen an allen offiziellen Gebäuden. Ein Handyverkäufer wirbt für Sim-Karten mit russischen Nummern: "Ein Schritt näher an Russland", steht auf seiner Werbeanzeige.