Die Hamburger Schule entstand Ende der 1980er Jahre. Frank Spilker wirft einen Blick zurück - und nach vorn.
Vor Kurzem haben „Die Sterne" ihr Jubiläumsalbum „Mach's besser: 25 Jahre Die Sterne" veröffentlicht. Darauf covern befreundete Bands Songs der Mitbegründer der Hamburger Schule, die sich seit einem Vierteljahrhundert in der deutschen Poplandschaft tummeln - meist tanzbar, immer sprachgewaltig, manchmal kryptisch. Im Interview verrät Sänger Frank Spilker (50) wie alles begann, ob man sich vor Björn Höcke fürchten muss und was er von der Elbphilharmonie hält.
Erstmal ist es ein großer Spaß, weil die Perspektive des Konsumenten in Bezug auf die eigenen Lieder sonst nie so da ist. Wenn man die eigene Stimme aufgenommen hört, ist man kritischer. Und man hört auch nicht auf, darüber nachzudenken, was man besser hätte machen können. Dadurch, dass das bei diesen Cover-Versionen nicht so ist, habe ich bei vielen Stücken erstmals gedacht: „Ach ja, ganz geil" oder: „Ja, stimmt". Außerdem wollen wir uns selber feiern - und die vertretenen Bands. Warum? Weil es Spaß macht, zu feiern.
Schließt sich auch ein Kapitel?Ich weiß nicht, ob man das schließen kann. Wir wollen uns ja nicht von der Vergangenheit entkoppeln. Aber ich glaube, dadurch dass man die Rückschau bewusst in den Mittelpunkt stellt, kann man dann auf der nächsten Tour ein paar alte Stücke weniger spielen, ohne dass jemand beleidigt ist.
Sie stammen aus Ostwestfalen. Die Region steht nicht im Ruf einer kulturellen Pilgerstätte.Wenn man in den Siebzigern in einem Haushalt großgeworden ist wie ich, dann gab es den Bertelsmann-Buchclub im Regal und die James-Last-Stimmungsschallplatten. Das war die Grundausstattung unter Handwerkern. Später habe ich viel BFBS gehört, den Sender der britischen Armee. Da kam John Peel, aber auch andere Spartensendungen, Reggae und so.
Was war Ihre erste Schallplatte?Das erste war wohl eine „gefundene" Beatles-Single von einem meiner Brüder. Die erste gekaufte Schallplatte konnte ich mir eigentlich nicht leisten. 20 Mark waren zu viel. Dann kam irgendwas von Abba. Ein totaler Trash. Da habe ich mich dann langsam rausgearbeitet.
Wie wichtig war die westfälische Provinz für das Musikphänomen Hamburger Schule?Das waren schon diverse Keimzellen, die irgendwo in der Provinz angefangen haben. Leute, die vom Land kamen und ein sehr großes Bedürfnis hatten nach Kulturbetrieb, nicht nur aus Westfalen. Es gab da dieses Label „Marsh Marigold" aus Itzehoe. Die hatten eine etwas andere Stoßrichtung als die „Fast weltweit"- Leute aus Ostwestfalen, wo ich dabei war. Und dann gab es diese Keimzelle Kolossale Jugend, die aus Pinneberg kam. Provinziell war das trotzdem nicht. Provinziell sind für mich eigentlich die Leute, die sich abschotten, die diesen Diskurs, der ja die Hamburger Schule ausgemacht hat, gerade nicht suchen.
Ist die Hamburger Schule eigentlich eine Stadtteilschule oder ein Gymnasium?(Lacht) Das ist natürlich schon ein Gymnasium, was die Herkunft der Leute angeht. Wir haben fast alle Abitur und dann vielleicht das Studium geschmissen. Ich finde aber, dass man auch mit einer höheren Schulbildung nicht elitär sein muss.
Zur Schulbildung gehört die deutsche Geschichte. Bereitet es Ihnen Sorgen, wenn AfD-Politiker Björn Höcke das Gedenken an den Holocaust kritisiert?Wir sind ja die Klugscheißer, die 1990 schon gesagt haben: Guckt mal an, es gibt Nazis. Damals hat man gesagt, ist doch nicht so schlimm, oder es heruntergespielt. Es sind durch die AfD jetzt nicht unbedingt mehr Rechte oder Menschen, die dieses Gedankengut vertreten. Ich würde sagen, sie outen sich jetzt einfach. Es wird gesellschaftsfähiger.
Was bedeutet das für die Gesellschaft?Die ganze Hamburger Schule hat sich im Grunde mal gegründet als Reaktion auf diesen wieder erwachenden Nationalstolz nach der WM 1990 und die entsprechenden Übergriffe auf Asylheime in Rostock oder Mölln. Das war ein Grund, zusammen zu agieren, obwohl man eigentlich aus unterschiedlichen Szenen kam. Da war plötzlich etwas, das war wichtiger. Es ist immer noch so, dass die bürgerliche Mitte das realisieren muss und das nicht vertuschen kann, um im Ausland gut auszusehen.
Haben Sie schon Tickets für die Elbphilharmonie gekauft?Ja, tatsächlich. Ich war bei den Einstürzenden Neubauten. Mein erster Eindruck war, die Akustik ist besser als in einer leeren Halle wie dem Kampnagel, oder in einem leeren Theater, wo es keinen akustischen Ausbau gibt, aber auch nicht ideal für eine Rockband. Es ist eigentlich für leisere Töne gemacht. Trotzdem ist das Ambiente natürlich toll und besonders.
Würden Sie dort auch gerne mal spielen?Wenn man damit nicht nachträglich alle Vorgänge legitimiert, die es rund um die Errichtung des Gebäudes gab. Also ich schließe das nicht aus. Wir spielen ja jetzt auch in einer Kirche, was für die Sterne auch nicht typisch ist. Da müsste man sich aber vorher noch ein bisschen rarmachen. Ich würde sagen: in fünf Jahren, zum Dreißigsten.
Arbeiten Sie in der Zwischenzeit an einem neuen Roman?Tue ich. Aber auch dadurch, dass wir jetzt dieses Album realisiert haben, bin ich weit hinter meinem Zeitplan zurück. Ich bin gerade völlig beschämt, dass Heinz Strunk schon wieder einen Roman rausbringt. Wenn ich schnell bin, dauert es bis nächstes Jahr, sonst eher bis 2019.
Zur Person: Frank Spilker
Frank Spilker hat „Die Sterne“ 1992 gemeinsam mit seinen Kollegen gegründet. Der 50-Jährige ist als Gitarrist und Sänger der Kopf der Band, die mit Tocotronic und Blumfeld zu den wichtigsten Vertretern der Hamburger Schule zählt. 2013 veröffentlichte Spilker seinen ersten Roman „Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen“.