In Yellowknife, sagen selbst die Kälte gewohnten Kanadier, ist der Winter zu Hause. Wahr ist, dass in der Subarktis der Winter ziemlich schattig ist. Ziemlich sehr schattig sogar. Im Januar beträgt die Durchschnittstemperatur knackige minus 26 Grad, aber minus 35 und kälter gelten auch noch als normal.
Wahr ist auch, dass Yellowknife weit weg von allem ist. Die Hauptstadt der kanadischen Northwest Territories hat zwar 21.000 Einwohner, ist aber von so viel Leere umgeben, dass man auf Google Maps eine Weile mit dem Cursor umherirrt, bis man sie am Nordufer des Großen Sklavensees findet. Zum Polarkreis sind es 400 Kilometer, zur nächsten größeren Stadt, Edmonton, 1500 Kilometer. Die einen nennen es Isolation, die anderen Glückseligkeit.
Unwahr hingegen ist, dass man sich im winterlichen Yellowknife zu Tode langweilt. Im Gegenteil. Dieser Tage zieht es Besucher aus aller Welt in die Kälte "up there" - so wie uns. Wir tun hier die fünf Dinge, die auf unserer To-Do-Liste stehen, seit wir die TV-Serien "Ice Road Truckers" und "Ice Pilots" gesehen haben.
Tipp eins: Schleichfahrt über die Eisstraße
Als Erstes erkunden wir die Eisstraße über den Großen Sklavensee. Gegenüber von Yellowknife liegt Dettah, ein Dorf der Dene-Indianer. Im Sommer führt der Weg dorthin rund um eine Bucht und ist 27 Kilometer lang, im Winter geht es sieben Kilometer direkt über den See: Die "Ice Road to Dettah" ist 25 Meter breit und wird jedes Jahr Ende Dezember eröffnet. Dann ist die Eisdecke wenigstens 40 Zentimeter dick.
Straßenbautrupps messen regelmäßig die Dicke des Eises, testen die Tragfähigkeit, fräsen die Schneeoberfläche und rauen das Eis für Gummireifen auf. Sobald das Eis brüchig erscheint, bohren sie Löcher, um die Schwachstellen zu fluten und vom Frost versiegeln zu lassen. Wir genießen die Fahrt durch das blütenreine Weiß.
Zu gern würden wir aufs Gas treten, doch erlaubt sind nur 40 km/h. Denn wer zu schnell fährt, erzeugt unter dem Eis eine Heckwelle, die zu Rissen führen und nachfolgende Autofahrer in Gefahr bringen kann. Wir sind also brav und kommen in der Folgezeit fast jede Nacht wieder. Der Nordlichter wegen.
Tipp zwei: Tanz der Nordlichter
Nordlichter fotografieren macht süchtig. Schuld daran ist auch Carlos Gonzales, Chef von Yellowknife Outdoor Adventures und blauäugiger Sohn spanischer Einwanderer. Gleich am ersten Abend fahren wir mit ihm auf Motorschlitten zu seiner Hütte auf einem Felsen im Großen Sklavensee. Die Nacht ist sternenklar, die Milchstraße erkennbar. Es sind minus 30 Grad, doch die Spezialanzüge halten warm.
Yellowknife wirbt mit der weltweit höchsten Erfolgsrate um Nordlichterfans, und tatsächlich: Nach Mitternacht verwandelt sich eine langgezogene graue Wolke in einen Schleier von immer kräftigerem Grün. Wir haben die Kameras schon eingestelllt: ISO 4000, Blende 2,8, Belichtung 10 Sekunden, Brennweite 16 mm - und auf ein Stativ montiert.
Tipp drei: Stadtbesichtigung bei minus 25 Grad
Yellowknifes Old Town liegt auf einer schmalen Halbinsel mit einem hohen Felsen in der Mitte. Wo sich früher die Blockhütten der Goldsucher drängten, schmiegen sich nun die eleganten Residenzen der Besserverdiener an die Felswände. Was sagte Carlos Gonzales? Yellowknife ist nichts für Faulpelze. Wer sich nicht scheut zuzupacken, findet schnell einen Job. Allerdings sind die Lebenshaltungskosten im hohen Norden hoch: Ein gutes Leben kostet, Miete und Auto inklusive, leicht 150.000 Dollar im Jahr.
Wir klettern die Treppe zum mitten in Old Town liegenden Bush Pilot's Monument hinauf und genießen den Rundblick auf Back Bay, Altstadt und den schneeweiß strahlenden Großen Sklavensee. Das Mahnmal gedenkt der Buschpiloten, die in dieser subarktischen Wildnis ihr Leben verloren. Unser Atem dampft in der Sonne, der Schnee knackt unter den Stiefeln.
Mittags kehren wir im Dancing Moose Café unterhalb des Pilotendenkmals ein und ordern Eggs Benedict. Die junge Kellnerin ist aus Deutschland und mit Work & Travel-Visum hier. Sie liebt jede Minute hier, sagt sie.
Tipp vier: Hecheln mit Huskys
Die tägliche Anziehprozedur - warme Unterwäsche, drei Lagen Oberbekleidung, Handschuhe, Mütze - wird bald Routine. Am einzigen bedeckten Tag gehen wir Hundeschlittenfahren. Hundeschlitten gehören zu den Northwest Territories wie Buschflugzeuge und Eisstraßen. Bei Grant Beck, Inhaber von Beck's Kennels und wortkarge Musher-Institution im kanadischen Norden, dürfen wir selbst Musher spielen.
Unsere Alaskan Huskys zerren so ungeduldig, dass wir uns mit aller Kraft auf die Bremsen stellen müssen. "Fallt nicht runter", warnt Beck noch, "die warten nicht auf euch!" Dann gibt er das Kommando, und unsere Gespanne fahren los. Wir fliegen förmlich rund um den Grace Lake, einen zwischen runde Felsen gebetteten See vor den Toren der Stadt. Eine kurze Tour zwar, bei der wir jedoch die Lust der Hunde am Laufen und Ziehen bewundern lernen.
Tipp fünf: Im Oldtimer fliegen
"Die einzigen heute noch im Linienbetrieb eingesetzten DC-3 fliegen auf der von Buffalo Airways bedienten Strecke Yellowknife-Hay River in den Nordwest-Territorien von Kanada", ist auf Wikipedia zu lesen. Was uns faszinierte: Die letzten DC-3 wurden 1945 gebaut und warfen während der Berlin-Blockade als "Rosinenbomber" Nahrungsmittel ab.
Zweimal für 45 Minuten fliegen wir dicht über dem im rosafarbenen Morgenlicht schimmernden Großen Sklavensee. Buffalo Airways, ein 1970 gegründeter Familienbetrieb und Star von "Ice Pilots", bietet vor allem Charterdienste an. Für Minen- und Diamantengesellschaften transportieren ihre Flugzeuge alles, was sich an Bord verstauen lässt.
Am Einstieg geht es entsprechend unzeremoniell zu. Erst balancieren wir über eine wackelige Treppe, dann ducken wir uns unter einem als Windschutz in die Tür gehängten Sack hindurch, zuletzt zwängen wir uns an bis unter die Decke gestapelten Frachtkartons vorbei in den kleinen Passagierraum. Die Sitze sind gepolstert und urgemütlich, die Kopfschoner giftgrün.
Wir merken gar nicht, dass wir abheben, so sacht und gleichmäßig brummend hebt sich die DC-3 in den noch dunkelblauen Morgenhimmel. Als wir die Reiseflughöhe erreichen, schenkt der nun zum Steward mutierte Mechaniker den zwei Dutzend Passagieren Kaffee ein. Uns erlaubt er den Gang nach vorn, ins Cockpit. Wo gibt es das sonst noch dieser Tage?
Die beiden Piloten sind blutjunge Kerle. Als der Co-Pilot mich bemerkt, nickt er mir kurz zu und widmet sich dann wieder den Instrumenten. Die sind jünger als er. An Bord dieser 70 Jahre alten Maschine finden wir das durchaus beruhigend.
Ole Helmhausen ist als freier Autor für Spiegel Online tätig. Die Reise erfolgte mit Unterstützung von Spectacular Northwest Territories.
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