Nora Schmitt-Sausen

Journalistin Schwerpunkt USA, Berlin

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Artikel

US-Gesundheitsreform: Republikaner geraten unter Druck

Obamacare abschaffen - so lautete eines der zentralen Wahlversprechen von Donald Trump. Die Realität zeigt: Ganz so einfach ist das nicht.

Donald Trump ist in seinem Element: Mit dem ihm eigenen Selbstbewusstsein und leuchtend roter Krawatte, der Leitfarbe von Amerikas Konservativen, steht er Ende Februar am Rednerpult der Conservative Political Action Conference (CPAC) und posaunt in Wahlkampfmanier los: „Obamacare funktioniert nicht. (...) Wir werden es ändern. Wir werden es besser machen. Wir machen es weniger teuer, wir machen es viel besser. Obamacare versichert sehr wenige Menschen. (...) Wir werden Obamacare abschaffen und ersetzen." Jubelrufe und Applaus im Publikum. Beim Jahrestreffen von Amerikas Konservativen in National Harbor im US-Bundesstat Maryland treffen Trumps klare Ansagen den Nerv der Zuhörer. Die Gesundheitsreform, die 20 Millionen US-Amerikanern eine Kran­ken­ver­siche­rung gebracht hat, ist weiterhin ein Hassobjekt für viele konservative US-Amerikaner.


Erste Bewährungsprobe für Donald Trump


Washington D.C, nur wenige Tage später: Trump hält seine mit Spannung erwartete erste Rede vor dem US-Kongress. Flankiert von seinem Vize Mike Pence und Paul Ryan, dem Sprecher des Repräsentantenhauses - beide vehemente Gegner von Obamacare -, ist der Präsident auch diesmal um markige Worte nicht verlegen. Die Gesundheitsreform sei ein „Desaster", der Versicherungsmarkt breche zusammen, viele US-Bürger schutzlos. „Obamacare kollabiert, und wir müssen entschlossen handeln, um alle Amerikaner zu schützen."


Fest steht: Die Reform des Affordable Care Acts, allgemein bekannt als Obamacare, ist Trumps erste große Bewährungsprobe. Der Republikaner weiß, wie wichtig ein Erfolg für ihn ist. Die Gesundheitsreform ist das erste große Gesetz, das sich die neue Regierung auf die politische Agenda gesetzt hat. Im Wahlkampf hatte Trump immer und immer wieder gegen Obamas Reform gewettert - und angekündigt, das Gesetz innerhalb kurzer Zeit abzuschaffen und zu ersetzen. Mehr noch: Trump hat wiederholt versprochen, die durch Obamacare erwirkten Verbesserungen im Versicherungsmarkt zu erhalten, die Gesundheitskosten für die Versicherten zu verringern und weniger Staatsmittel zu investieren. Und auch dies: Kein Amerikaner werde durch die Reform der Reform seine Kran­ken­ver­siche­rung verlieren.

Immerhin: Die Erkenntnis darüber, dass es leichtere Themen als Gesundheitspolitik gibt, scheint auch bei Trump inzwischen angekommen zu sein. Bei einem Treffen mit Amerikas Gouverneuren im Weißen Haus räumte er laut US-Medienberichten kürzlich ein, dass er sich nicht bewusst gewesen sei, wie schwierig Gesundheitsgesetzgebung ist. „Ich muss Ihnen sagen, es ist ein unglaublich komplexes Thema. Niemand wusste, dass Gesundheitsversorgung so kompliziert sein kann."


Trumps Pläne: Versicherungspflicht fällt


Anfang März wird es dann endlich konkret. Die Republikaner legen ihren lange erwarteten Gesetzesentwurf vor, mit dem sie Obamacare den Garaus machen wollen. Der „American Health Care Act" hat es in sich.


Der Vorstoß bedeutet das Ende von der verpflichtenden Kran­ken­ver­siche­rung, die durch Obama in einem historischen Schritt erstmals in den USA eingeführt worden ist. Es entfallen sämtliche direkte staatliche Zuschüsse beim Abschluss einer Versicherung. Die Ausweitung von Medicaid, dem staatlichen Versicherungsprogramm für sozial schwache Amerikaner, wird zurückgenommen. 31 von 50 Bundesstaaten hatten Medicaid in den vergangenen Jahren ausgeweitet. Allein dadurch haben unter Obama zehn Millionen bislang unversicherte US-Bürger Zugang zur Versorgung erhalten.


Eine völlige Abkehr der Obamacare-Prinzipien sieht der Gesetzesentwurf der Konservativen aber nicht vor. Denn: Auch die Regierung Trump möchte die US-Bürger zum Erwerb einer Kran­ken­ver­siche­rung motivieren. Wer freiwillig eine Kran­ken­ver­siche­rung abschließt, erhält Steuernachlässe zwischen 2 000 und 4 000 Dollar, abhängig vom Alter. Die unter Obama eingeführten Strafzahlungen für US-Bürger, die sich nicht versichern, soll es künftig aber nicht mehr geben.


Es gibt zudem einige zentrale Obamacare-Elemente, die der trumpsche American Health Care Act beibehält. So soll es den Krankenversicherern beispielsweise weiterhin nicht möglich sein, US-Bürger aufgrund von Vorerkrankungen abzulehnen. Auch sieht der Gesetzesentwurf vor, dass junge Erwachsene bis 26 Jahre über ihre Eltern versichert bleiben können. Die Versicherer dürfen die Zahlungen von Versorgungsleistungen nicht auf eine festgeschriebene Summe beschränken. All diese Aspekte waren mit Obamacare eingeführt worden.


Mehr Wettbewerb im Versicherungsmarkt


Das zukünftige System soll nach Wunsch der republikanischen Regierung wieder stärker am freien Markt orientiert sein. Die Rolle des Staates möchten die Republikaner reduziert sehen. Das Kalkül: Ein möglichst wenig regulierter Markt soll zu einem größeren Wettbewerb im Versicherungswesen führen. Dadurch sollen die Kosten für Versicherungspolicen sinken. Zum Hintergrund: Gestiegene Preise für Versicherungspolicen sowie der Rückzug von Anbietern aus dem Versicherungsmarkt setzen Obamacare zunehmend unter Druck.

Der Präsident zeigt sich mit dem ersten Gesetzesentwurf zufrieden. Über seinen liebsten Kommunikationskanal, den Kurznachrichtendienst Twitter, verkündet er sogleich: „Unser wunderbares neues Gesetz zur Kran­ken­ver­siche­rung ist nun zur Überprüfung und Verhandlung draußen."


Doch schnell ist eines offensichtlich: Der erhoffte Applaus für den ersten Wurf bleibt aus. Nicht nur die oppositionierenden Demokraten laufen - erwartungsgemäß - Sturm gegen das Gesetz. Selbst innerhalb der republikanischen Partei gibt es Widerstand. Die Kritik ist scharf - und kommt gleich von zwei Seiten.


Einmal von rechts außen: Republikanischen Hardlinern geht der Gesetzesentwurf nicht weit genug. Die stramm Konservativen sehen in dem ersten Aufschlag zur Reform der Gesundheitsversorgung in den USA noch zu viel Obamacare und zu viel Staat. Der Begriff von „Obamacare Light" macht in Washington zunehmend die Runde. Die Kritik: Die Gesetzesvorlage befreie die Mittelschicht nicht von der Bürde hoher Versicherungsbeiträge. Zudem enthalte der Entwurf noch zu viele Regularien.


Kaum minder problematisch ist für Trump die Kritik einer nicht unerheblichen Anzahl von moderaten Parteikollegen. Diese fürchten, dass das Zurückdrehen der Medicaid-Ausweitung viele Amerikaner ohne Versicherung dastehen lässt - und sie als Abgeordnete am Ende den Preis in Form von entzogener Wählergunst zahlen. Denn: Ob der Unsicherheit über die Zukunft von Obamacare ist ein Rumoren in der amerikanischen Gesellschaft zu spüren. Bei Bürgerversammlungen in ihren Wahlbezirken mussten sich republikanische Abgeordnete im Februar landesweit besorgten Bürgern stellen und ihnen versichern, dass Washington die Gesundheitsreform in ihrem Sinne korrigieren wird.


US-Ärzte sind gegen die Abschaffung von Obamacare


Trump mutmaßte damals, dass die teils sehr aufgebrachten Bürger vom gegnerischen Lager geschickt wurden, um medienwirksamen Protest zu inszenieren. Der Präsident kommentierte via Twitter: „Die sogenannten wütenden Massen in Heimatbezirken einiger Republikaner sind in zahlreichen Fällen von liberalen Aktivisten geplant. Traurig!" Dabei: Viele der Amerikaner, die unter Obamacare Zugang zur Gesundheitsversorgung gefunden haben, sind Trump-Wähler - und sie fürchten nun um ihre Kran­ken­ver­siche­rung.


Zu aufgebrachten Bürgern und skeptischen Politikern gesellen sich weitere gewichtige Gegenspieler: zentrale medizinische Standesorganisationen der USA. Sehr konkret - und sehr schnell - machten sie deutlich, was sie von den Plänen der Regierung halten: nicht viel.

Die American Medical Association war eine der ersten Organisationen, die ihre Ablehnung der Reformpläne öffentlich machte. Die Ärztevertretung fürchtet, dass „Millionen Amerikaner ihre Kran­ken­ver­siche­rung und Unterstützungsleistungen verlieren". Ins selbe Horn blasen weitere zentrale Akteure des Gesundheitswesens wie die gewichtige American Hospital Association und die Association of American Medical Colleges. In einem gemeinsamen Brief an die Abgeordneten im US-Kongress drückten die Organisationen ihre „ernste Sorge" über die Pläne der Republikaner aus. Der Gesetzesentwurf führe zu massiver Instabilität im Versicherungsmarkt und erschwere den Bürgern den Zugang zur Versorgung.

Vergangene Woche dann ein weiterer Rückschlag: Das unabhängige Budgetbüro des Kongresses (CBO) legte seine Berechnungen zu den Auswirkungen der republikanischen Pläne vor. Das Ergebnis ist für die Regierung verheerend. Das CBO prognostiziert, dass allein im ersten Jahr 14 Millionen Bürger weniger versichert sein werden als derzeit. Bis 2026 könnten 24 Millionen Amerikaner ihren Versicherungsschutz verlieren.

Das Trump-Lager stürzte sich nach Bekanntwerden dieser Zahlen auf die einzig guten Nachrichten, die der CBO-Bericht für sie bereithält: Das Budgetbüro hat berechnet, dass unter den republikanischen Reformplänen viel Geld eingespart wird - 337 Milliarden US-Dollar bis zum Jahr 2026 - und dass die Prämien für Versicherungspolicen mittelfristig sinken werden.


Geräuschlos passiert in Washington in diesen Tagen wenig: Teile der republikanischen Parteispitze, darunter der neue Ge­sund­heits­mi­nis­ter Tom Price, stellten nach der Veröffentlichung der für Trump hoch schwierigen Zahlen die Arbeitsweise des renommierten CBO infrage.


Die Pläne der Republikaner treffen die sozial Schwachen


Die Demokraten könnten sich ob des heftigen Gegenwinds, den Trump erhält, entspannt zurücklehnen. Doch allein Chuck Schumer, demokratischer Sprecher im Senat, macht bei jeder Gelegenheit deutlich, was er von den Plänen der Republikaner hält. „Nach sieben Jahren, in denen immer und immer wieder über das Gleiche geredet worden ist, hätte man annehmen können, die Republikaner seien in der Lage, einen besseren Vorschlag zu machen", sagte er. Es sei eine „moralische Verpflichtung" gegen die Gesetzesvorlage zu stimmen. Die republikanischen Pläne träfen vor allem sozial Schwache, Menschen mittleren Alters und begünstigen Amerikas Reiche.


Nach und nach sickert diese Erkenntnis wohl auch bei immer mehr Republikanern durch. Laut einem Bericht der New York Times werden einige Konservative zunehmend „nervös" und fordern Korrekturen an der Gesetzesvorlage - zugunsten von geringverdienenden älteren Bürgern und Bundesstaaten, die viele schwer zu versichernde Bürger zu versorgen haben.

Businessmann Trump gilt als erfahrener „Dealmaker". In Sachen Gesundheitsreform kann er das nun beweisen.


Nora Schmitt-Sausen


Trumps Reform der Reform - die nächsten Schritte

Wie geht es weiter? Die Republikaner haben in beiden Kammern des US-Kongresses die Mehrheit inne und besitzen damit eigentlich gute Karten, ihre politischen Vorhaben umzusetzen. Aktuell wird das Gesetz im Repräsentantenhaus diskutiert, danach folgt die Abstimmung im Senat. Die Zustimmung beider Kammern ist nötig, um die Reform durchzubringen.

Doch um bei den Abstimmungen erfolgreich zu sein, muss das Trump-Team zunächst die Abweichler in den eigenen Reihen einfangen. Damit haben die reformwilligen Konservativen bereits begonnen - und der Präsident mischt mit.

Seit Bekanntwerden des Entwurfs finden in Washington vor und hinter den Kulissen zahlreiche Gespräche statt, um die Skeptiker auf Linie zu bringen. Trumps persönlicher Einsatz ist dabei sehr gefragt - und auch außerhalb Washingtons wichtig. Vergangene Woche sprach der Präsident vor 10 000 Bürgern in Nashville, US-Bundesstaat Tennessee, und warb offensiv um Unterstützung für das Gesetzesvorhaben.

Im US-Senat soll der American Health Care Act möglichst bereits im April debattiert werden. Doch hier sind noch mehr Vorbehalte zu erwarten als im Repräsentantenhaus. Raum für viele Abweichler gibt die Stimmenverteilung in der Kammer nicht her: Die Republikaner besitzen nur eine Mehrheit von zwei Stimmen. Die Mitwirkung der Demokraten gilt als ausgeschlossen. Sie werden wohl genauso einhellig gegen den American Health Care Act stimmen, wie einst die Republikaner dem Affordable Care Act jede Zustimmung verweigerten.

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