Nora Koldehoff

Freie Autorin / Freie Journalistin, Köln

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Artikel

Lesestoff: Anti-Rassismus

Wenn es um Rassismus geht, ist die Zahl derer, die müde abwinken, größer, als man wahrhaben möchte. Alles schon gehört, alles schon durchgekaut und man war doch auch schon auf ganz vielen Demos, um zu zeigen, wo man steht. Und das ist ja auch gut und wichtig. Aber noch viel wichtiger ist es eben gerade für diejenigen, die nicht von Rassismus betroffen sind, zu wissen, was sie eben alles nicht wissen. Anders ist nämlich wohl kaum zu erklären, warum sich internalisierter Rassismus so beharrlich in unser aller Köpfe hält.

Die aufklärenden Bücher von Alice Hasters („Was Weiße nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten"), Tupoka Ogette („Exit Racism" / „Und jetzt du"), Kübra Gümüşay („Sprache und Sein") und vielen anderen Autor:innen sind längst Standardwerke. Sie bieten auch für Diejenigen Basiswissen und Neuigkeiten, die behaupten, sich seit überhaupt immer mit dem Thema auszukennen.

Aber nicht nur in Sachbüchern, auch in der Belletristik lässt sich Lesevergnügen mit Dazulernen verbinden.


Mithu Sanyal: "Identitti"

„Identitti alias Mixed-Race-Wonder-Woman" lautet der Username der Bloggerin und Heldin des Romans, Nivedita Anand. Die Tochter einer deutschen Mutter und eines indischen Vaters kämpft mit dem Grund-Gefühl, nirgendwo wirklich dazuzugehören. Nicht deutsch genug für Deutsche, nicht indisch genug in den Augen indischer Kinder, die sie „Coconut" nennen - innen in Wahrheit weiß. Nivedita studiert an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf Postcolonial Studies bei der ebenso angesehenen, wie gefürchteten Professorin Sawaswati: jener Professorin, die Weiße direkt von ihren Seminaren ausschließt und ihre Studierenden ermutigt und unterstützt - allen voran ihre Lieblingsschülerin Nivedita.
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Jasmina Kuhnke: "Schwarzes Herz"

„Schwarzes Herz" ist das Romandebüt von Comedy- und Drehbuchautorin Jasmina Kuhnke, die sich auf Twitter „Quattromilf" nennt - „Mom I'd like to follow." Dort ist sie eine der lautesten und präsentesten Stimmen des Landes gegen Rasismus und macht auf Diskriminierung und rechte Hetze aufmerksam. Dafür zahlt Kuhnke einen hohen Preis: Sie wird derartig massiv bedroht, dass sie mit ihrer Familie im vergangenen Jahr kurzfristig umziehen musste, als ihre Privatadresse geleakt wurde. Die Personen in ihrem Roman haben keine Namen, denn die Geschichte ist eine schmerzhaft alltägliche und steht stellvertretend für viele ähnliche Geschichten - die der Autorin eingeschlossen. Ihre Protagonistin ist die Tochter einer Serbokroatin und eines unbekannten Vaters aus Gambia; der Stiefvater ist gewalttätig. Ohne Schutz ist sie rassistischen Anfeindungen und Tätlichkeiten ausgesetzt.
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Deniz Ohde: "Streulicht"

Auch in Deniz Ohdes Romandebüt geht es um eine Heldin, die namenlos bleibt. Man erfährt nur, dass sie einen „öffentlichen" Vornamen hat und einen „geheimen". Als Kind einer türkischen Mutter und eines deutschen Industriearbeiters weiß sie, dass nur der nicht-türkische ihr Türen offen hält. Früh scheint trotzdem ihr Weg vorgezeichnet, denn so sehr sie sich bemüht, bleibt es schwer, vorwärts zu kommen, wenn Lehrpersonen und Mitschüler*innen Vorurteile haben und ihre rassistische Haltung ohne Konsequenzen ausleben. Das Gefühl, sich fremd und nicht dazugehörig zu fühlen prägen die Jugend der Protagonistin ebenso, wie das wie die Sprachlosigkeit - innerhalb der Familie und auch für sich selbst.
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Kiley Reed: "Such a fun age"

Emira ist Schwarz und Babysitterin in einer jungen, hippen und aufgeschlossenen weißen Familie. Nach einer Party springt sie für eine spontan angefragte späte Betreuung ihres Schützlings ein, weil die Eltern gerade eine Krise zu bewältigen haben. Um das Kind von den häuslichen Dramen wegzubringen, unternehmen die beiden einen Ausflug in das nahegelegene Geschäft, in dem sie auch tagsüber oft Zeit verbringen. Prompt wird sie aufgrund der späten Uhrzeit verdächtigt, das Kind entführt zu haben. Ein anderer Kunde, der ihr beistehen will und ihre Nähe sucht, filmt die Szene. Emira ist das Intermezzo vor allem unangenehm. Sie möchte ihren eigenen Weg wählen dürfen, mit dem Zwischenfall umzugehen. Doch das erweist sich als schwieriger, als gedacht.
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Text: Nora Koldehoff


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