Nora Koldehoff

Freie Autorin / Freie Journalistin, Köln

3 Abos und 1 Abonnent
Artikel

"Was soll der ganze Scheiß?"

Mörtter in Aktion (Bild: Tamara Soliz)

Die Aktion drohte um ein Haar zu enden, bevor sie wirklich begonnen hatte. Rund 200 Zuschauer hatten sich auf dem Platz versammelt, um die selbstbewusst als „Reformation II" angekündigte Ausrufung einer neuer These zu hören, als es zu Unstimmigkeiten zwischen dem Kirchenmann und der staatlichen Obrigkeit kam. Diesmal ging es allerdings nicht um Martin Luther, sondern um Hans Mörtter, Pfarrer in der Südstädter Lutherkirche.

In Anlehnung an den „performativen Akt des Thesenanschlags" - sei er so vonstatten gegangen, wie überliefert, oder auch anders - der den Inhalt der Worte erst „lebendig mache", gestaltete sich Mörtters neue Reformation bewusst provokativ. Dass eine Provokation allerdings von Seiten Luthers beabsichtigt war, wird von Kirchenhistorikern angezweifelt. Selbst mit dem legendären Nageln der Thesen an die Kirchentür nicht, denn dies war wohl für derlei Vorbringungen damals eine gängige und oft vollzogene Vorgehensweise.

Am Chlodwigplatz jedenfalls durfte es nach einer kurzen Diskussion mit zwei Polizisten, ob die Aktion als unangemeldete Demonstration zu werten sei, dann aber doch losgehen. Routiniert stellte sich der Pfarrer mit je einer deformierten Luther-Figur in der Hand für die Presse in Pose und demonstrierte damit die Ergebnisse der vorangegangenen Tage: Seit Freitag, dem 27. Oktober, war für die Kölner Aktion in 95 europäischen Städten stündlich je eine Luther-Playmobil-Figur auf einer Kochstelle geschmolzen und mit dem Anfangsbuchstaben der jeweiligen Stadt versehen worden. Zusammengesetzt ergeben sie die neue These „Für uneinschränkbare Nächstenwürde mit respektvollster Menschenliebe und grenzenlosestem Grundvertrauen". Ausgedacht hatten sich die Aktion der Kurator der Ausstellungen in der Lutherkirche Rochus Aust und Mörtter selbst.

„Verzicht auf Spektakel"„Für uneinschränkbare Nächstenwürde mit respektvollster Menschenliebe und grenzenlosestem Grundvertrauen"

Hans Mörtter fasste in einer kurzen Ansprache zusammen, worum es Aust und ihm bei der Kunst-Intervention „L95h" ging. Die Reformations-Feierlichkeiten im Jubiläumsjahr hätten statt der Gegenwart die Vergangenheit im Blick und seien erst recht nicht in die Zukunft gerichtet. Außerdem stehe allein Luther im Mittelpunkt, obwohl es in der Reformationsgeschichte auch andere wichtige Köpfe gegeben habe - so der Pfarrer der immerhin nach diesem Reformator benannten Kirche. Die Vermarktung der Luther-Figur als Spielzeug - und dann noch exklusiv über die Evangelische Kirche Deutschland - symbolisiere für ihn zudem eine inhaltsleere Kommerzialisierung der Person. Wenn Luther selbst die Reformationsfeierlichkeiten verfolgen könnte, so der Pfarrer, würde er sicherlich ausrufen „Was soll der ganze Scheiß?".

Angekündigt hatte Hans Mörtter nicht weniger als die Ausrufung einer neuen, eigenen These zum 500. Reformationsjubiläum. Dafür habe man sich bewusst – und, so der Pastor, „ohne Spektakel" – nicht in die eigenen Kirchenmauern zurückgezogen, sondern an einen öffentlichen Platz begeben, an dem schon die „Arsch-huh"-Bewegung ihren Anfang nahm. Die These blieb als angekündigt „grundmenschliche Ansage" dann eher unkonkret und sollte mit drei „Einwürfen" ergänzt werden, zu deren Formulierung die Teilnehmer*innen in einer Prozession zur Lutherkirche zogen. Begleitet wurde der Zug von einer Klanginstallation: Aus Zink-Schalltrichtern tönte eine Soundcollage unterschiedlichster akustischer Elemente aus verschiedenen Religionen: Glockenläuten zum Beispiel, Muezzinrufe und Gesänge.

„Reformation II" im Innenhof der Lutherkirche.

Im Innenhof der Lutherkirche stellte Mörtter seine drei Einwürfe dann vor. Er forderte als Kerngedanken einer „Reformation II" eine „respektvolle Menschenliebe" gemäß der von Jesus laut Lukasevangelium gemachten Vorgabe: „Und wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, so tut ihnen auch."


(...)


Donnerstag, 2. November 2017 | Text: Nora Koldehoff



Zum Original