Nora Koldehoff

Freie Autorin / Freie Journalistin, Köln

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Sieben Punkte

Ulrich Rückriem (Bild: Tamara Soliz)

Am Sonntag ist der Bildhauer Ulrich Rückriem zu Gast im Talkgottesdienst in der Lutherkirche. „Meine Südstadt" hat ihn vorab zuhause besucht.

Die postkartengroße weiße Pappe vor sich, greift Ulrich Rückriem zu seinem Bleistift und verteilt sieben Punkte auf dem Weiß, die er darauf danach mit einem kleinen Lineal verbindet. „So, so und so", unterstreicht er das Getane, als alle Punkte verbunden sind. „Und um die Verbindungen zu variieren, drücke ich einfach mit dem Zirkel die Punkte auf die nächste Karte durch und verbinde sie anders. So. Jetzt wisst Ihr, wie es geht, jetzt könnt Ihr's selber machen."

Ulrich Rückriem blickt auffordernd. Einen Anspruch darauf, dass nur er seine Arbeit weiterführen dürfe, erhebt er nicht. Bei den Zeichnungen nicht und auch nicht bei den Steinen, mit denen er weltberühmt wurde. Der Kunstmarkt interessiert ihn nicht mehr, stößt ihn ab. „Wenn sich jemand dafür begeistert, was ich tue, kann er das weitermachen. Und wenn ich in die Kneipe gehe, habe ich immer ein paar Zeichnungen dabei, hier in dem Umschlag", sagt er und zieht aus seiner Jacketttasche das Kuvert mit den DIN A6-großen Zeichnungen hervor. „Wenn mir jemand gefällt, sag ich: ‚Such' Dir eine aus!' Manchmal werd' ich dann gefragt, ob ich sie signiere, aber das mache ich nicht. Die Signatur macht es ja kaputt, dann geht es doch gleich um was ganz anderes und eben nicht mehr um die Zeichnung und Idee selbst oder um das Weitergeben."

Für die Zeichnungen gibt es eine sehr genaue Beschreibung: „Auf einem DIN-Format Bogen werden sieben Punkte frei gesetzt. Alle Punkte werden durch Geraden miteinander verbunden, die jeden Punkt nur einmal tangieren und zum Ausgangspunkt zurückkehren. Die entstehenden Flächen, die sich an den Kreuzungspunkten berühren, werden alternierend mit Schwarz und den Grundfarben ausgefüllt." Bei einem Gang durch Wohnung und Atelier in der Südstadt sind in den verschiedenen Variationen mehrere Hundert dieser Zeichnungen zu sehen und mehrere Tausend weitere in Kisten verstaut. Akkurat gehängt, sortiert, gereiht, liegend gestapelt, direkt auf die Wand gemalt, als großer Teppich geknüpft, als Glasdruck und auch die Punkte als Nägel in Holz geschlagen, mit einem Faden verbunden, der die Flächen definiert. Es gibt welche, die sich ähneln, Reihen und Serien, die einem inneren Konzept folgen und auch Zwillinge. Aber nie zwei, die ganz gleich sind. „Ich mache jetzt fast nur noch Zeichnungen", erklärt der Künstler die Menge. „Für die ist das Interesse aber nicht so groß. Alle wollen die Steine. Mach' ich aber nicht mehr. Ich war lange genug im Steinbruch. Das Zeichnen kann ich am Küchentisch machen, ganz meditativ."


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Freitag, 15. September 2017 | Text: Nora Koldehoff

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