Nora Koldehoff

Freie Autorin / Freie Journalistin, Köln

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"Es war nicht meine Aufgabe, das infrage zu stellen"

Szene aus "Die Ermittlung" (Bild: Meyer Originals)

 "Ich habe nur meinen Dienst gemacht. Wo man mich hinstellt, da mache ich meinen Dienst."

Die Bühne ist karg im Freien Werkstatt Theater, ein Bühnenbild kaum vorhanden. Im leeren Raum tropft das Wasser von der Decke, im hinteren Teil stehen aufrechte Holzbretter und am vorderen Bühnenrand wenige Holzkisten. In der Raummitte ein Haufen, der aus vertrockneten Blumen bestehen könnte.

Die vier Protagonisten schauen sich um. „Kennen Sie diesen Raum?" Niemand kennt ihn, keiner der Vier scheint überhaupt irgendetwas darüber zu wissen, was hier vor sich ging. Und selbstredend hatte sich auch keiner von ihnen an irgendetwas beteiligt, an dem Schrecklichen, über das man im Nachhinein so viel hörte.

"Die Ermittlung" ist ein Stück des Schriftstellers Peter Weiss, das 1965 an mehreren Spielorten gleichzeitig uraufgeführt wurde – zwanzig Jahre nach Kriegsende, zehn Jahre nach Rückkehr der deutschen Kriegsgefangenen. Die Aufarbeitung der Jahre 1933 bis 1945 war ein gesellschaftliches Tabu. Darüber endlich zu sprechen, sollte erst die Generation der 68er fordern. Drei Jahre zuvor thematisiert bereits "Die Ermittlung" den ersten Auschwitz-Prozess, der von 1963 bis 1965 im Frankfurter Rathaus, dem "Römer" durchgeführt wurde, und bei dem erstmalig 22 Bewacher und Angestellte vor Gericht standen.

Peter Weiss hatte zahlreiche Prozesstage im Zuschauerraum mitverfolgt und bei einem Außentermin des Gerichtes das KZ in Auschwitz auch selbst angesehen. Sein ausschließlich aus Zitaten montiertes Stück basiert auf dem, was er selbst dort sah und hörte, sowie auf den akribischen Protokollen des Journalisten Bernd Naumann.

Das Freie Werkstatt Theater im Zugweg hat als kleines Theater eine Neubearbeitung von Weiss' Stück vorgenommen, das in seiner verdichteten Form vortrefflich gelungen ist. Von der ursprünglichen Inszenierung mit dreißig Darstellern reduziert Regisseur Ulrich Hub das Ensemble auf vier der Angeklagten. Diese stellen aber nicht nur ihre angeblich lautere Position dar, sondern übernehmen auch stellvertretend Aussagen der Zeugen – „Er schoss wahllos in die Leute hinein" – und Fragen der Richter und der Staatsanwaltschaft. „Was dachten Sie, als Sie den Rauch der Schornsteine sahen?


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Montag, 14. September 2015 | Text: Nora Koldehoff

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