Nora Koldehoff

Freie Autorin / Freie Journalistin, Köln

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"Was vom Nachlass übrig blieb"

Infotafeln am Bauzaun der Archiv-Einsturzstelle von Reinhard Matz (Bild: Tamara Soliz)

Der eine Nachlass war in den Regalen des ersten Stockwerks schon inventarisiert, als mutmaßlich Folgen der U-Bahn-Arbeiten das Stadtarchiv zerstörten: Tausende von Briefen und Fotos, Dokumenten und Erinnerungen, die das Leben und Wirken von L. Fritz Gruber dokumentierten. Gruber war einer der bedeutendsten Fotokuratoren und -vermittler der Welt, der ab 1950 Köln durch die Bilderschauen zur „photokina" zum Mittelpunkt der Fotowelt machte.

Der andere Nachlass war gerade erst im Stadtarchiv eingetroffen. Nach langen Verhandlungen stand er noch in Kartons gleich neben den Gruber-Regalen. Dort warteten Briefe und Textfragmente, biografische Zeugnisse und Romanentwürfe des Literaturnobelpreisträgers Heinrich Böll noch auf ihre Aufarbeitung, als die Wände am Waidmarkt erst schwankten und dann in eine große Grube aus Erde und Wasser stürzten.


Seither vereint Renate Gruber und René Böll das Warten: Was wird wiedergefunden? Was ist noch lesbar? Wird sich das Leben des Ehemanns L. Fritz Gruber und des Vaters Heinrich Böll wenigstens ansatzweise wieder rekonstruieren, wird sich jemals wieder nutzen lassen, was ihre Erben dem Stadtarchiv anvertraut hatten, weil sie es für bewahrenswert hielten? „Ich habe keine große Hoffnung", sagt René Böll. Von seinem Atelier im Kunsthaus Rhenania in der Südstadt aus blickt er auf den Rhein. „Die Stadt spricht immer wieder stolz davon, dass 95 Prozent der Archivalien geborgen worden seien. Aber was heißt das denn? Was konnte identifiziert werden? Ich habe Papierstücke gesehen, bei denen ich Mühe habe, sie tatsächlich als die Handschrift meines Vaters zu erkennen. Und ich kenne diese Handschrift wahrscheinlich so gut wie kaum ein Zweiter. Die Stadt hat mich bislang aber nicht um Hilfe gebeten. Ich glaube weder an die 95 Prozent noch an die 30 Jahre, die die Rekonstruktion des Stadtarchivs angeblich dauert. Wenn es so weiter geht wie bisher, wird es viel viel länger dauern. Das erleben wir alle nicht mehr."

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Montag, 4. März 2013 | Text: Nora Koldehoff


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