Nina Scholz

Journalistin: Tech-Unternehmen, Gewerkschaften

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Artikel

Gesundheitspolitik: Mit harten Bandagen

Pflegestreik. Nach langen Auseinandersetzungen haben die Beschäftigten von Charité und Vivantes einen Tarifvertrag durchsetzen können

Nina Scholz


Die "Berliner Krankenhausbewegung" hat Geschichte geschrieben. Mehrere Wochen streikten die Beschäftigten der beiden großen kommunalen Krankenhäuser Charité und Vivantes gemeinsam mit den privatisierten Vivantes-Töchtern für bessere Arbeitsbedingungen, monatelang kämpften sie aktiv, konnten dabei auf eine jahrelange Organisierungspraxis auf­bauen - und bekamen nach nächtelangen harten Verhandlungen ihren "Tarifvertrag Entlastung". Seit Jahren sind die personelle Unterversorgung der Krankenhäuser und die kaum erträglichen Arbeitsbedingungen der Beschäftigten bekannt. In der Coronakrise wurde den Pflegekräften öffentlich gedankt und Solidarität signalisiert, Politikerinnen und Politiker aller Parteien versprachen (erneut) Reformen – die dann aber (erneut) Lippenbekenntnisse blieben. Stattdessen handelte die Berliner Krankenhausbewegung (erneut) selbst und gewann.

 

Das ist in mehrfacher Hinsicht spektakulär. Zunächst, weil es bis vor wenigen Jahren gar nicht denkbar war, dass Pflegekräfte streiken könnten. Ein Krankenhaus ist keine Fabrik. Patientinnen und Patienten könne man nicht im Stich lassen wie ein Produktionsband. Die moralische Verantwortung der Care-Arbeiter*innen würde das verhindern. Krankheiten, Notfälle, Operationen, Pflege, Neugeborene, Therapien – all das lässt sich nicht einfach absagen. Spektakulär auch, weil hier die Beschäftigten quer durch alle Berufsgruppen gemeinsam kämpfen. Das sind also nicht nur die Pflegekräfte, sondern auch Angestellte der therapeutischen Berufe, Hebammen, Krankentransportpersonal, also alle Bereiche, die unter den Tarifvertrag fallen können: »Bei Vivantes fordern wir außerdem, dass auch die outgesourcten Töchter nach TVöD bezahlt werden[W1] . Bereits seit 2019 tauschen wir uns aus“, berichtet David Wetzel, der als Gesundheits- und Krankenpfleger auf der onkologischen Station der Charité arbeitet, dort in der Betriebsgruppe von Verdi aktiv ist sowie im Koordinierungskreis, kurz Ko-Kreis der Berliner Krankenhausbewegung. Bemerkenswert sind auch die Forderungen der Beschäftigten: »Wir haben eine verbindliche Personalbesetzung sowie einen Belastungsausgleich gefordert, darüber hinaus eine bessere Ausbildungsqualität sowie einen einheitlichen Entlastungstarifvertrag für alle.«

Schon lange vor den Streiks gab es zahlreiche Petitionen und Protestaktionen, um auf die Missstände im Gesundheitswesen aufmerksam zu machen. Die Gesetzgeber sind jedoch ihrer Pflicht, eine gute Krankenhausversorgung zu garantieren, nicht nachkommen. Eine reale Verbesserung der Arbeitsbedingungen blieb aus, die von der großen Koalition 2019 beschlossenen und 2021 reformierten Pflegepersonaluntergrenzen wurden so gut wie nicht Realität. Verdi kritisiert, dass sie nur für wenige Krankenhausbereiche eingeführt wurden und auch nicht verbindlich umgesetzt werden.

Auf ungenügende Reformen, den Pflegenotstand und die Lippenbekenntnisse der Politiker reagierte die Berliner Krankenhausbewegung mit einem Arbeitskampf, den sie zehn Monate vorbereitete. Wie gut die Gesundheitsarbeiter organisiert sind, konnten sie bereits im Frühjahr unter Beweis stellen. Bereits 120 Tage vor dem Streik, am 12. Mai 2021, übergaben 500 Aktive der Berliner Landesregierung eine Mehrheitspetition: 8.400 Beschäftigte, die Mehrheit bei Vivantes und Charité, haben nicht nur die Forderungen unterschrieben, sondern stellten sich im Mai bereits hinter den Plan, am Ende der Frist gegebenenfalls zu streiken. Der Motor dieser Kämpfe ist die jahrelange Organisierungspraxis. Die Mehrheitspetition ist eines der Arbeitskampfwerkzeuge, die die US-amerikanische Organizerin Jane McAlevey als Stärketests bezeichnet.

 

Organizing ist hierzulande seit einiger Zeit zum Buzzword geworden, das tatsächlich  die wenig extravagante Form von Arbeitskämpfen bezeichnet, die in manchen US-amerikanischen Gewerkschaften seit fast hundert Jahren praktiziert wird. Jane McAlevey erklärt ihren Ansatz so: »Beim Organisieren geht es darum, reale Macht langfristig aufzubauen. Es geht darum zu gewinnen. Ich habe das Organisieren bei Leuten gelernt, denen es wiederum von Gewerkschaftsorganizerinnen der 1930er beigebracht wurde. Die waren Mitglieder der CIO, der radikaleren der beiden großen Industriegewerkschaften in den 1930ern. Diese Gewerkschaft hatte damals viele Mitglieder, viel Macht und Einfluss. Die sind strategisch vorgegangen. Sie haben sich notiert, wo viele Menschen arbeiten, wen sie schon erreicht haben und wen nicht. Dann sind sie die Fabriken durchgegangen, Etage für Etage, Büro für Büro, Abteilung für Abteilung, bis der Letzte überzeugt war, bis es eine maximale Beteiligung an den Streiks gab[W2] 

Diesen Ansatz, reale Macht aufzubauen statt auf Repräsentation und kurzfristige, wenn auch vielleicht spektakuläre Mobilisierungen zu setzen, gibt sie in ihren (Online-)Schulungen weiter, die auch von Aktiven der Berliner Krankenhausbewegung besucht wurden: Station für Station haben die Aktiven der Krankenhausbewegung organisiert, die Mehrheitspetition – genauso wie eine später überreichte Fotopetition – ist der Stärketest, der sowohl dem Arbeitgeber als auch den Beschäftigten nach innen zeigt: Du bist nicht allein, wir sind eine Mehrheit, die bereit ist zu kämpfen und auch zu streiken. Ein Schritt dorthin sind die organisierenden Einzelgespräche, erklärt Wetzel: »Wir konnten unseren Kollegen klarmachen, dass wir ein konkretes Angebot machen können, damit sie ihre Wut kanalisieren und in etwas Produktives umwandeln können. Wir können zusammen kämpfen und haben einen Plan. Viele Kollegen sind wütend. Für sie kam die Berliner Krankenhausbewegung gerade zum richtigen Zeitpunkt.« Möglichkeiten zur Organisierung und konkrete Handlungsoptionen bieten einen Ausweg aus dem Alltagsfrust und erlauben es, Politikerinnen und Politikern mit Stärke und konkreten Forderungen gegenüberzutreten. »Es selbst in die Hand nehmen«, beschreibt Wetzel diesen Ansatz. »Wir haben in elf Krankenhäusern Strukturen aufgebaut, die streikfähig und durchsetzungsstark sind, und zwar über die Berufsgruppen hinweg, von den examinierten Pflegekräften, den Auszubildenden bis hin zu Kollegen, die im Labor arbeiten.«

»Seit wir vor einem Jahr mit dem Organisieren begonnen haben, sind 2.200 Kollegen der Gewerkschaft neu beigetreten. Das wird uns auch in Zukunft enorm den Rücken stärken.« Verdi musste sich genau wie die Gesundheitsarbeiter selbst allerdings erst für diese Methoden und Kämpfe öffnen. »Es gibt mittlerweile eine große Bereitschaft bei der Gewerkschaft, diese Auseinandersetzungen zu führen, und eine Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Methoden wie dem Organizing« erzählt Wetzel. »Verdi kann gerade gar nicht anders, als sich dem sehr stark zuzuwenden.«

Das ist auch das Ergebnis eines Machtkampfes innerhalb der Gewerkschaft. Lange Zeit wollte sie Tarifkämpfe aussparen und strebte stattdessen eine Gesetzesänderung ohne aktive Beteiligung der Beschäftigten an. Nachdem dieser Konflikt weitestgehend ausgefochten war, begann das mitunter mühsame Überzeugen der Kolleg*innen vor Ort, dass sich Kämpfen lohnen kann. »Es ist mittlerweile allen aktiven Teilen der Berliner Krankenhausbewegung klar, dass der Motor der gesellschaftlichen Veränderungen die Gewerkschaft ist.« Aber eben vor allem, weil sich die Gewerkschaft selbst geändert hat, erklärt Wetzel: »Die Ehrenamtlichen sind bei den Gesundheitsarbeitern gegenüber den Hauptamtlichen in einer starken Position. Mittlerweile wissen wir auch, dass, wenn wir bei Hauptamtlichen mit unseren Ideen auf Granit beißen, diese Idee nicht automatisch begraben ist. Das ist in manchen anderen Verdi-Fachbereichen nicht der Fall.«

Unterstützung kam außerdem von außen: Die gewerkschaftsnahe Agentur »Organiz.ing« hat sich auf die namensgebenden Methoden spezialisiert, entwirft spezielle Kampagnen und hat die kämpfenden Krankenhausbeschäftigten schon öfter bei Telefonaktionen und großen Mobilisierungen unterstützt. Bevor sich die Krankenhausarbeiter reale Organisationsmacht aufgebaut haben, blieben sie in der Rolle der Bittsteller.

 

Im Koalitionsvertrag der Rot-rot-grünen Landesregierung von 2016 waren die Investitionen in die kommunalen Berliner Krankenhäuser vereinbart worden. Die Akzeptanz und Unterstützung für die Anliegen der Gesundheitsarbeiterinnen und -arbeiter ist seit Beginn der Coronakrise in der Bevölkerung enorm gewachsen, die Medien berichteten so oft wie nie über die Missstände in der Pflege. Der Zeitpunkt des 100-tägigen Ultimatums war zudem strategisch gut gewählt: Schon 2019 hatten in Jena die Beschäftigten des Uniklinikums die Landesregierung in den Wochen des Thüringer Wahlkampfs unter Druck gesetzt, sodass diese im Tarifkampf einlenken musste. Auch in Berlin fiel die Wahl des Abgeordnetenhauses in den Zeitraum des Arbeitskampfes. Bestreikt wurde auch hier ein öffentlicher Träger, und mit Michael Müller (SPD) saß außerdem der regierende Bürgermeister im Aufsichtsrat der Charité. Warum waren die Arbeitskämpfe trotzdem so lang und zäh? »Es gab politische Entscheidungsträger, die unseren Forderungen mit Lippenbekentnissen zugestimmt haben, sich dann aber nicht aktiv für eine Umsetzung eingesetzt haben«, erklärt Wetzel. »Die Geschäftsführungen haben sicher auch darauf spekuliert, dass uns die Luft ausgeht. Sie haben unsere Organisierung, unserer Durchhaltevermögen und den Rückhalt, den wir in der Bevölkerung haben, unterschätzt.«

Diese Organisierungsmacht wurde bald erneut unter Beweis gestellt: Nach dem Ende des Ultimatums und einem Warnstreik Ende August 2021, leitete Verdi die Urabstimmung für einen unbefristeten Streik ein. Am 6. September 2021 gab die Gewerkschaft bekannt, dass an der Charité 97,85 Prozent, bei Vivantes 98,45 Prozent und in den Tochterunternehmen 98,82 Prozent der gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten für den Arbeitskampf gestimmt hatten. Am 9. September 2021 trat die Berliner Krankenhausbewegung in den Streik. Als sie einen Monat später, am 9. Oktober 2021, unter dem Motto »Wir retten euch – Wer rettet uns?« mit mehreren tausend Unterstützern in Berlin demonstrierten, drückten dort die ebenfalls streikenden Kuriere des Gorilla-Lieferdienstes und Aktive des Volksentscheids »Deutsche Wohnen & Co enteignen«, die soeben den berlinweiten Volksentscheid zur Vergesellschaftung großer, privater Wohnungsunternehmen gewonnen hatten, ihre Solidarität aus.

Dass bei all diesen Voraussetzungen die Kämpfe trotzdem hart und lang waren, liegt nicht nur an einer dickköpfigen Unternehmensführung oder am Versagen einzelner Politiker, sondern an der Logik der Ökonomisierung des Gesundheitswesens, die mit Ursache für die Belastungen der Gesundheitsarbeiter*innen und die schlechte Versorgung ist. Im Durchschnitt muss eine Pflegekraft in deutschen Krankenhäusern 10,3 Patienten versorgen. Damit ist das deutsche Gesundheitssystem europäisches Schlusslicht. Wesentlicher Baustein der Krankenhausfinanzierung ist das Fallpauschalensystem. Behandlungen werden seit 2003 über feste Fallpauschalen vergütet, Englisch: Diagnosis Related Groups (DRGs), die knapp bemessen sind und die Krankenhäuser unter Kostendruck setzen. Die Fallpauschalen werden aus den Durchschnittskosten der Krankenhäuser errechnet, aus denen dann der Personaleinsatz abgeleitet wird. Die Frage danach, wie Pflege überhaupt aussehen soll und könnte, wird damit verunmöglicht. Stattdessen wird jede Ausgabe, die über diesen Durchschnittskosten liegt, zum Problem, da das Krankenhaus dann nicht die gewünschten Profite oder mindestens die schwarze Null erwirtschaftet. Da Personalkosten der größte Posten ist, sparen die Unternehmensführungen meist dort, also am Pflegepersonal und den Servicebeschäftigten. Letztere sind sowohl bei Vivantes als auch der Charité zum Zwecke der Ausgliederung aus den Tarifverträgen in privatisierte Töchter outgesourct worden.

 

Neoliberaler Kahlschlag

Outsourcing, zusammengekürzte Dienstpläne und Fallpauschalen sind direkte Folgen der Ökonomisierung des Gesundheitswesens. Mit dem Siegeszug des Neoliberalismus wurden ab Mitte der 1990er die Fallpauschalen, eingeführt, begleitet von massivem Stellenabbau im Pflegebereich. Zwischen 1997 und 2007 wurden 48.000 Stellen abgebaut, das sind 15 Prozent des gesamten Pflegedienstes der Krankenhäuser[W3] .[1] Gebäudereinigung, Küche, Krankentransport und Wäschereien wurden ausgegliedert und privatisiert. Über die Fallpauschalen werden medizinische Behandlungen vergütet, die von Ärzten erbracht werden. In welchem Maß Pfleger*innen daran beteiligt sind, wird nicht berücksichtigt. Also ist ihre Arbeit nicht »erlösrelevant«.

Gegen diese als Sachzwänge erscheinende Austeritätspolitik kämpfen die Krankenhausbeschäftigten seit mindestens 2008. Bereits damals demonstrierten in Berlin 130.000 Krankenhausbeschäftigte und ihre Unterstützer gegen die Sparmaßnahmen und für bessere Arbeitsbedingungen. Zudem überreichten sie der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) 185.000 Unterschriften. Ab 2010 wurden in der Verdi-Betriebsgruppe an der Berliner Charité zwei wegweisende Werkzeuge entwickelt: Einerseits wurde der Fokus stärker auf Personalbemessung in Tarifvertragsverhandlungen gelegt, gleichzeitig wurde das Konzept des Betten- und Stationsschließungsstreiks entwickelt. 2011 wurde er das erste Mal erprobt: Fünf Tage wurden große Teile der Charité bestreikt. 90 Prozent der Operationen mussten ausfallen, die Charité erlitt finanzielle Verluste. »Alles, was verschiebbar ist oder wir absagen können, wird runtergefahren. Es werden noch Notfälle versorgt, aber der restliche Krankenhausbetrieb wird heruntergefahren«, erklärt Wetzel das Prinzip. Vorab meldet die Gewerkschaft dem Arbeitgeber die Betten und Stationen, die wegen des Streiks geschlossen werden müssen. Die Verantwortung liegt dann beim Arbeitgeber. Die Krankenhausbeschäftigten haben so einen Hebel zu streiken, ohne den moralischen Druck, sie würden »ihre Patienten im Stich lassen, den viele von uns fühlen«, erklärt Wetzel. Gleichzeitig treffen sie die Unternehmensführung des Krankenhauses dort, wo es wehtut.

 

»Tarifvertrag Entlastung«

Der erste »Tarifvertrag Entlastung« wurde vier Jahre später von den Beschäftigten der Charité erkämpft, nachdem elf Tage lang 20 Stationen und 1.000 Betten bestreikt worden waren. Er sollte den Krankenhausbeschäftigten Werkzeuge [W4] an die Hand geben, damit sie der Überbelastung und dem Personalmangel in ihrem Arbeitsalltag entgegenwirken können. »Dieser Tarifvertrag war ein Meilenstein, weil er die Forderung nach mehr Personal und Entlastung tarifierbar gemacht hat«, berichtet Wetzel. Tatsächlich wurde der Tarifvertrag eine Blaupause für weitere Tarifverträge dieser Art in Kliniken in ganz Deutschland: »17 Kliniken haben sich bundesweit dieser Idee angeschlossen, haben unsere Ideen aufgegriffen und verbessert«, so Wetzel. Auf den Tarifverträgen der Unikliniken Jena und Mainz baut jetzt wiederum der aktuelle in Berlin auf.

In der Bundeshauptstadt hatten die Pflegearbeiter*innen in der Zwischenzeit festgestellt, dass der 2015 abgeschlossene Tarifvertrag keine Verfahren enthielt, die für die einzelnen Beschäftigten Be- und Entlastung regeln. Für dieses Problem haben ihre Kolleg*innen in Mainz und Jena den individuellen Belastungsausgleich eingeführt, der sich praktisch umsetzen lässt. Wetzel: »Werden die Schichten nicht entsprechend besetzt, sammeln[W5] [NS6]  die Beschäftigten Belastungspunkte. Bei einer bestimmten Anzahl von Belastungspunkten wird ihnen im übernächsten Dienstplan eine Freischicht eingetragen. Sie können sich den Betrag aber auch auszahlen oder auf ein Arbeitszeitkonto einzahlen lassen.« Dieses Ausgleichsverfahren wurde im Oktober 2019 am Universitätsklinikum Jena sowie im Dezember 2020 in der Universitätsmedizin Mainz in den jeweiligen mit Verdi abgeschlossenen »Tarifvertrag Entlastung« aufgenommen.

Der »Tarifvertrag Entlastung« ist ein Modell, um Leistungsdruck und individuelle Belastung möglichst zu verobjektivieren und zu kollektivieren, also sowohl dem individuellen Ausbrennen als auch den individualisierten Mikrokämpfen von Beschäftigten und Betriebsräten entgegenzuwirken. Ein wichtiger Schlüssel dabei ist die Personalbemessungsregel. Doch wieviel Personal ist genug Personal? Und welches Personal? Dabei ist es genauso relevant, die Krankheiten nach Betreuungsintensität aufzuschlüsseln wie den Ausbildungsgrad der Beschäftigten, hinzu kommen weitere Faktoren betrieblicher Abläufe. Die Beschäftigten forderten deshalb, sie selbst sollen diejenigen sein, die die Personalbemessung festlegen. Detaillierte Erfassung von Arbeitsschritten und -abläufen war bisher ein Mittel der Unternehmen, um Profite zu steigern. Nun sollte der Spieß umgekehrt werden.

In Berlin lenkte nach über einem Monat Streik erst die Geschäftsführung der Charité, dann die von Vivantes ein. Bis zum 30. November 2021 soll der »Tarifvertrag Entlastung« ausgearbeitet werden und zum 1. Januar 2022 in Kraft treten. Die Streiks wurden ausgesetzt. Der Streik der Vivantes-Töchter dauert allerdings an: »Die Kollegen streiken weiterhin unvermindert stark für eine angemessene Bezahlung und es bewegt sich auch etwas am Verhandlungstisch«, beschreibt Wetzel die Situation. »Aber allen Entscheidungsträgern muss klar sein: »Wir sind als eine Bewegung gestartet und werden weiterhin gemeinsam kämpfen und Druck auf die Politik machen, bis auch dieser Teil der Berliner Krankenhausbewegung erfolgreich ist.« Für ihn ist der Kampf auch nach einem erfolgreichen Tarifabschluss nicht beendet: »Wir werden auch für die Einhaltung des Tarifvertrags weiterkämpfen.«

 

Nur eine Etappe

Den größeren Kampf nimmt die Bewegung bereits in den Blick: »Wir sind jetzt mit vielen Krankenhäusern im Kontakt um den Kampf um Entlastung an anderer Stelle weiterzuführen, wir werden aber auch unseren Kampf gegen die Ökonomisierung in den Krankenhäusern generell fortsetzen.« Trotz des bitteren Beigeschmacks, dass die Töchterunternehmen noch weiterstreiken müssen, hat der fast einjährige Kampf der Berliner Krankenhausbewegung Signalwirkungen: Wenn Charité und Vivantes tausende neue Pflegekräfte einstellen müssen, verbessern sich nicht nur die Arbeitsbedingungen in diesen Häusern, auch die konkurrierenden Krankenhäuser müssen reagieren. Die Krankenhausbewegung hat außerdem gezeigt, wie man gemeinsam und organisiert Macht gegen ökonomischen Druck und Privatisierungen aufbauen und Forderungen durchsetzen kann. In Berlin wurde ein Arbeitskampf gegen die Austerität geführt und gewonnen. Die Ergebnisse werden sich nicht nur an anderen Krankenhäusern, sondern in vielen kommenden (Arbeits-)Kämpfen zeigen.



[1] Latza, Jan / Weinberg, Harald: Pflegenotstand, Ökonomisierung und Widerstand – Klassenkämpfe in der Krankenpflege. In: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung (15.03.2021)

 

 


 [W1]Zitat?

 [W2]Quelle

 [W3]Quelle?

 [W4]Es wäre schön, hier Konkreteres zu erfahren: Welche Werkzeuge sind es denn?

 [W5]Das ist in deinem Original so gelb - weiß nicht, warum ...

 [NS6]Ich auch nicht…


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