Nina Scheu

Journalistin, Mediensprecherin, Zürich

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Die eigenen Kinder - auf Facebook präsentiert

Die Kinder auch hier schützen: Die Privatsphäre von Kindern wird auf Facebook oft vernachlässigt. Ihnen die Chatrooms zu verbieten und gleichzeitig ihre Fotos auf Facebook zu laden, entbehrt nicht einer gewissen Paradoxie. Bild: Reuters

Remos kleiner Neffe Dario ist ein selten hässliches Baby mit schrumpeliger, fleckiger Haut, einem asymmetrischen Gesicht und einem scheinbar konstant zum Schreien aufgerissenen Mund. Dass Remo den Kleinen ganz offenbar vergöttert, mutet seltsam an, wenn man weiss, dass er im Arbeitsalltag als knallharter Recherchejournalist bekannt ist, der kaum je eine persönliche Regung zeigt. Trotzdem braucht man Remo nicht einmal persönlich zu kennen, um seiner Narretei für den wenige Monate alten Schreihals gewahr zu werden. Es genügt, mit einer oder einem seiner rund 700 "Freundinnen" und "Freunde" befreundet zu sein.

Auch vom Anblick des badenden Töchterchens einer Arbeitskollegin wird man auf nicht verschont. Und von den fotografisch festgehaltenen Eskapaden der Teenager, die sich mit ihren Eltern verlinkt haben, die wiederum zum eigenen Freundeskreis gehören, schon gar nicht. Als Mitglied des grössten aller sozialen Onlinenetzwerke stösst man ganz ohne Absicht auf viele private, oft auch peinliche Bilder. Peinlich nicht nur für die darauf abgebildeten Personen, sondern vor allem auch für jene, die sie unbedacht ins Netz gestellt haben.

Ein globales Fotoalbum

Das ist längst zum weltumspannenden Fotoalbum geworden. Kaum jemand schiesst seine Bilder noch mit einer analogen Kamera und lässt sie als Papierprints entwickeln. Entsprechend werden die Erinnerungen auch nicht mehr in Bücher geklebt, sondern eben online "gepostet". Erheiternde Schnappschüsse von alltäglichen Beobachtungen mögen über den engsten Familien- und Freundeskreis hinaus noch einen gewissen Unterhaltungswert aufweisen. Doch schon bei Ferienfotos wird die Sache kritisch. Nicht nur, weil Sonnenuntergänge über dem Meer meist nur für jene interessant sind, die dort waren oder gerade selbst vor Ort schwelgen, sondern weil auf den Fotos oft auch Menschen abgebildet sind, die vielleicht nicht damit einverstanden wären, sich selbst in der Badehose bei der Bildersuche auf Google wiederzufinden. Wenn sie denn gefragt würden.

Daten in die Welt posaunen

Gerade auf Facebook scheint der Drang, aller Welt mitzuteilen, dass man Vater, Mutter, Onkel oder Oma geworden ist, besonders stark zu sein. Baby- und Kinderfotos gehören zum häufigsten, was auf der "Startseite" aufscheint, wo die Aktivitäten der Internetgemeinde ständig aktualisiert werden. Der Stolz auf den eigenen Nachwuchs oder auch nur aufs Göttikind lässt die User offenbar vergessen, dass sich nicht nur wohlwollende, freundliche Mitmenschen, sondern auch viele Pädophile im Internet tummeln. In der Sicht auf das eigene Ego oder auf die prächtig geratene eigene Familie gehen die elementarsten Online-Regeln vergessen, die anderswo längst ganz selbstverständlich befolgt werden.

Es entbehrt nicht einer gewissen Paradoxie, wenn Mütter ihren Töchtern verbieten, in Chatrooms allzu Privates preiszugeben, und andererseits selbst die Fotos aus den Strandferien mit eben jener Tochter auf Facebook stellen. Zumal auf Facebook auch mit anderen sehr privaten Daten meist sehr freizügig umgegangen wird. Von der E-Mail-Adresse bis zur Handynummer, vom Geburtstag über den Zivilstand bis hin zu den familiären Verbindungen: Vieles wird ungeschützt in die Welt posaunt - und erlaubt Rückschlüsse auf Wohnort und Lebensgewohnheiten der Profilbesitzer und ihrer Familien.

Einblicke kontrollieren

Auch wenn man nichts zu verbergen hat, sollten in öffentlich leicht zugänglichen Foren, zu denen neben Facebook und Twitter auch die an Bedeutung verlierenden Netzwerke von Myspace, Netlog, Mein Bild oder auch MSN und viele andere gehören, die Einblickmöglichkeiten für Fremde möglichst restriktiv gehandhabt werden.

Das ist nicht immer ganz einfach, zumal gerade der Branchenriese Facebook ständig die Grundeinstellungen verändert. Konnte man beispielsweise bis vor wenigen Wochen noch Listen erstellen, die den Freunden verschiedene Einsichten nach differenzierten Kriterien verweigerten, kann man jetzt zwar noch Listen erstellen, sie einzeln zu konfigurieren, ist aber nicht mehr möglich. Aber es gibt andere Möglichkeiten, Inhalte nur restriktiv sichtbar zu machen (Konto-Einstellungen -> Privatsphäre -> Inhalte auf Facebook teilen -> benutzerdefiniert). Facebook würde sich derzeit noch hüten, solche Möglichkeiten nicht mehr anzubieten. Es ist aber an den Usern, sich die Mühe zu machen, sich durch die mitunter komplizierten Kontoeinstellungen zu ackern. Und die Privateinstellungen in eigenem Interesse regelmässig zu überprüfen.

Automatische Benachrichtigung

Ebenfalls prüfen sollte man, ob jemand anderes Fotos auf Facebook gestellt hat, auf denen man selbst identifizierbar ist. Vor allem junge Leute sollten regelmässig kontrollieren, was für Bilder von ihnen im Netz kursieren - und versuchen, sie zum Verschwinden zu bringen.

Immerhin kann man sich automatisch benachrichtigen lassen - auch das ist eine Frage der Kontoeinstellungen -, wenn man namentlich auf einem Onlinefoto genannt, also "markiert" oder neudeutsch "getagt" wird. Und natürlich sollte man eine solche Kennzeichnung (durch Anklicken des Links "Markierung entfernen" in der Bildlegende) entfernen. Zwar bleibt das Foto am Ort, allerdings ohne Bezeichnung. Zudem verschwindet es auch aus dem eigenen Profil und aus den Startseiten der Freundinnen und Freunde.

Ewiges Gedächtnis

Eine Garantie, dass diese Kennzeichnungen niemals wieder sichtbar werden, gibt es allerdings nicht: Das Gedächtnis des Internets währt so ewig wie sein Speicherplatz. Von fast jedem Menschen gibt es im World Wide Web Daten, die längst jede Aktualität verloren haben. Dass Scharlatane auch aus solchen "Internetleichen" noch Kapital schlagen, beweisen die sich häufenden Spam-Mails, die "Netzreinigungen" anpreisen und einen vielsagenden "jungfräulichen Internetauftritt" versprechen: Gegen einen nicht unwesentlichen Betrag sollen sämtliche Spuren, die man ungewollt im Netz hinterlassen haben könnte, gelöscht werden. Als ob dies noch möglich wäre! (Tages-Anzeiger)

(Erstellt: 09.11.2010, 20:09 Uhr)

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