Nikta Vahid-Moghtada

Freiberufliche Journalistin und Redakteurin, Berlin / Leipzig

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Artikel

Deutsche Politik schaut tatenlos auf die Hinrichtungswelle im Iran


Der Tod durch Erhängen am Baukran, er muss ein langsamer und sehr qualvoller sein. So passiert es derzeit wöchentlich. Kaum ein Morgen vergeht ohne neue Schreckensnachrichten über Hinrichtungen im Iran. Eine nach der anderen, und die Welt schaut anscheinend tatenlos zu.

Zahlen gibt es auch - offizielle Zahlen, die wiederum nur ahnen lassen, wie groß die Dunkelziffer noch sein muss. Mindestens 209 Menschen sind nach UN-Angaben (Zahlen vom Dienstag) seit Anfang des Jahres im Iran hingerichtet worden. Weitere sieben sind am Donnerstag dazugekommen. Das geht aus Auflistungen der in Oslo ansässigen Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights (IHR) hervor.

Das macht durchschnittlich zehn Menschen pro Woche, deren Leben am Baukran endet. Die Zahl sei "erschreckend hoch" und eine der höchsten weltweit, erklärte auch UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk am Dienstag. Und die tatsächliche Zahl der hingerichteten Menschen ist nach UN-Angaben wahrscheinlich noch viel höher.

Hinrichtungen von Minderheitsangehörigen

Und dazu kommt: Es sind hauptsächlich Menschen, die Minderheiten im Iran angehören. Auch das lässt sich durch Auswertungen der IHR belegen. Der Islamischen Republik, in der die Schiiten deutlich dominieren, sind religiöse Minderheiten ein Dorn im Auge. Egal ob die christliche Minderheit, die arabische, oder die sunnitischen Belutschen oder Kurden. Mit Hinrichtungen werden sie aus dem Weg geschafft.

Die meisten der 209 Exekutionen erfolgten wegen des Vorwurfs von Drogen-Vergehen, so die UN. "Die Todesstrafe für Drogendelikte zu verhängen, ist nicht mit internationalen Menschenrechts-Normen und -Standards vereinbar", äußerte sich der UN-Beauftragte Türk. Egal ob Drogendelikte oder der schwammige Vorwurf "Korruption auf Erden" - keiner dieser Vorwürfe sollte eine Todesstrafe rechtfertigen. Das Regime fährt eine klare Schiene: die der Abschreckung und Einschüchterung. In Richtung seiner eigenen Staatsbürgerinnen und -bürger, um sie zu kontrollieren, aber auch in Richtung Westen.

Fall Habib Chaab: Erster EU-Bürger wird hingerichtet

Eine Nachricht ließ die Welt in der vergangenen Woche zumindest kurz aufhorchen: Mit dem schwedisch-iranischen Staatsbürger Habib Chaab wurde erstmals ein europäischer Staatsbürger hingerichtet. Eine Hinrichtung, die ein Zeichen setzt, und zwar kein Gutes. Das Regime schreckt nicht vor der EU zurück. Es schreckt nicht vor Drohungen mit "Konsequenzen" zurück, die in den seltensten Fällen fallen.

Der politische Aktivist Habib Chaab gehörte der iranisch-arabischen Minderheit der Ahwazi an. Chaab war seit Oktober 2020 im Iran inhaftiert, nachdem er während einer Türkei-Reise "verschwunden" und einen Monat später in Teheran vor Gericht gestellt worden war. Ihm wurde vorgeworfen, seit 2005 Angriffe "unter dem Schutz" des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad und des schwedischen Geheimdienstes Sapo verübt zu haben.

Darauf kam zwar eine Reaktion der EU - Außenbeauftragter Josep Borrell bekundet sich via Twitter solidarisch und fordert den Iran auf, Hinrichtungen künftig doch sein zu lassen. Das beeindruckt die Staatsoberhäupter wohl herzlich wenig. Der Fall ist deshalb so beispielhaft, weil er nichts Gutes im Falle eines ebenfalls zum Tode verurteilten deutschen Staatsbürgers im Iran erahnen lässt.

Todesurteil gegen Jamshid Sharmahd in oberster Instanz bestätigt

Ende April hatte der Oberste Gerichtshof im Iran das umstrittene Todesurteil gegen den Deutsch-Iraner Jamshid Sharmahd bestätigt. Sharmahd kam in den 80er Jahren nach Deutschland. Als Regimekritiker in der Diaspora war Sharmahd der iranischen Regierung lange ein Dorn im Auge. Nach einem vereitelten Mordversuch wurde Sharmahd 2020 auf einer Geschäftsreise entführt und ist seitdem im Iran inhaftiert. Wo genau, wissen selbst seine engsten Angehörigen nicht.

Die Anklage gegen den 67-Jährigen lautet "Korruption auf Erden", ein Urteil, das nach mehreren Scheinprozessen gefallen ist und alles und nichts bedeuten kann. Sharmahds Tochter Gazelle, die heute in den USA lebt, setzt sich seitdem unermüdlich für ihren Vater ein. Auch die Politik wird auf den Fall aufmerksam. CDU-Chef Friedrich Merz übernimmt die politische Patenschaft für den Verurteilten. Merz fordert die Freilassung des Verurteilten, aber auch das prallt am Regime ab.

Als Sharmahds Tochter unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen zu Besuch in Berlin ist und sogar ins Kanzleramt geladen wird, finden die Gespräche unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die Bundesregierung scheint an ihrer "stillen Diplomatie" festzuhalten.

Twittersturm für Aufmerksamkeit

Mit einem Twittersturm unter dem Hashtag #SaveSharmahd versuchte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International am Freitag auf das Schicksal des Deutschen aufmerksam zu machen. Bundeskanzler Olaf Scholz hüllt sich in Schweigen, Außenminister Baerbock zeigte sich zwar solidarisch und bestürzt, doch wirklich viel passiert ist bisher nicht.

Am selben Tag folgte die Nachricht über die Freisprechung des im Iran inhaftierten französisch-irischen Staatsbürger Bernard Phelan. Ihm wurde Verbreitung von "Propaganda gegen das Regime" vorgeworfen. Die Freilassung scheint jedoch mehr wie ein Ablenkungsmanöver, in der Hoffnung, dass der Westen wieder einmal darauf hereinfällt - wie etwa im Dezember vergangenen Jahres, als die vermeintliche Auflösung der iranischen "Sittenpolizei" verkündet worden ist.

Dass weitere Hinrichtungen folgen werden, davon ist auszugehen. Doch die iranische Bevölkerung lässt sich davon nicht abschrecken. Auch wenn nicht mehr täglich demonstriert wird, vergeht kaum ein Tag ohne Streiks irgendwo im Land, ohne Videos von tanzenden Iranerinnen und Iranern in den Sozialen Medien. Die Revolution lässt sich nicht einschüchtern.


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