Zweifelsfrei handelt es sich beim Memphis Sound im aktuellen Deutschrap-Untergrund um die tonangebende Spielart. Kein 2018er Jahresrückblick aus unserer Bubble kam ohne eine ausführliche Huldigung der hustensaftgetränkten Kassetten-Kultur aus. Einer der Protagonist*innen dieses mystischen Subgenres kommt aus Hamburg und nennt sich AlphaMob. Seit einigen Jahren veranstaltet er gemeinsam mit Phonkycool die Nite of the Trill, Deutschlands erste Memphis-Party, und bringt nebenbei als Produzent und Labelbetreiber eine Art inoffizielles Best-Of der deutschen Phonk-Szene heraus. „Swaffle Phonk“ nennt sich diese Trilogie, die Instrumental-Tracks mit Feature-Songs mischt und so nebenbei das Werk des Produzenten-Albums wieder cool macht. Der dritte und finale Teil der Reihe erscheint bereits diesen Freitag. Und genau deshalb hat uns AlphaMob in sein Studio eingeladen.
Ich hatte noch nie so einen kurzen Weg zu einem Interview, das ich nicht am heimischen Schreibtisch via Telefonverbindung geführt habe. Lediglich ein paar Gehminuten in das Nachbarviertel Hammerbrook brauche ich von meiner Wohnung am Hamburger Hansaplatz. Dort liegt das Studio von AlphaMob. Auf dem Weg sammle ich noch Jonas ein, der ebenfalls in Hammerbrook wohnt und für die wunderbare Bebilderung dieses Textes verantwortlich ist. Gemeinsam schreiten wir also durch diesen komischen Stadtteil Hamburgs, der zwar super zentral quasi direkt am Hauptbahnhof liegt, aber dennoch so gut wie keine Beachtung findet.
Tatsächlich ist Hammerbrook auch einfach ein kurioser Stadtteil. Auf den Straßen ist wenig los, viele hässliche Bürogebäude aus den 50ern tummeln sich aneinander, stehen teilweise leer oder wurden aufgrund der zentralen Lage von besonders windigen Hotelketten aufgekauft und in Absteigen-Hotels verwandelt. Die wenigen Altbauten, die nicht im zweiten Weltkrieg zerbombt wurden, zerlegen sich mittlerweile mehr und mehr selbst. Und dann kommt da noch eine Straße hinzu, die komplett aus Neubauten der vergangenen paar Jahre besteht und aussieht, als hätten sich Planer*innen bei der Lokalisierung um etwas ein bis zwei Kilometer vertan und Hammerbrook fälschlicherweise für die Hafencity gehalten.
Skuriller Stadtteil, Skurriler Typ
Als sich diese Absurditäten langsam lichten und wir fast das Ende des Stadtteils erreicht haben, sind wir bei der angegeben Adresse angelangt. Das Studio von AlphaMob ist in einem riesigen Kulturkomplex beheimatet, zu dem mit dem Südpol auch einer der größten und bestbesuchtesten Technoclubs der Stadt gehört. Zwischen einem Kanal und Bahnschienen eingequetscht, beherbergt der Komplex neben dem Club und dem Mehrzweckgebäude, in dem das Studio liegt, noch diverse Werkstätten, ein Verleih für Filmproduktionsfahrzeuge, eine Vinyl-Presserei und sogar eine Grünfläche mitsamt kleinem Wäldchen. Nach dem Interview bekommen wir noch eine exklusive Führung über das Gelände, aber dazu später.
Als ich mich dann wie vereinbart am Telefon melde – die Klingel funktioniert in dem für eine unabhängige Kulturinstitution standesgemäß etwas heruntergekommenen Gebäude natürlich nicht – öffnet sich ein Fenster im ersten Stock und ein gut gelaunter AlphaMob begrüßt uns. Als wir noch nicht einmal ganz angekommen sind in dem skurrilen Studio, das sich Deo gemeinsam mit seinem Bruder vor etwa sechs Jahren aufgebaut hat, hält uns der Produzent sichtlich erfreut erst einmal ein Buch mit dem Titel „20 Jahre Hip-Hop in Deutschland.“ aus dem Jahr 2000 unter die Nase. Beim Aufräumen hat sich das gute Stück jüngst wieder angefunden.
1998 kommen die ersten Tapes
Den Einband des muffigen Buchs ziert der Sticker einer Rap-Crew mit dem Namen Derba Durchschnitt. Es handelt sich um das erste Musikprojekt, in dem Deo, so das Namens-Kürzel, mit dem sich der Produzent uns vorstellt, vor 20 Jahren aktiv war. Damals wurden im beschaulichen Heimatort Rendsburg gemeinsam mit einem Kumpel am Mic und dem kleinen Bruder hinter den 1210ern erste Tapes veröffentlicht. Auch vor über zwei Dekaden war Deo für’s Produzieren zuständig. Am Crew-Namen deutlich erkennbar kam der Haupteinfluss der jungen Gruppe aus dem nicht allzu weit entfernten Hamburg. Als kurz nach der Jahrtausendwende erst Deo und wenig später auch sein Bruder nach Hamburg ziehen, verschiebt sich der musikalische Entfaltungsbereich der Beiden.
Da unser Gespräch durch diesen unerwarteten Einstieg doch ziemlich schnell zum Interview wird, fällt Deo plötzlich noch etwas ein. Kurz kramt er in einem Beutel eine kleine Plastik-Dose hervor. „Ich muss noch mein Bühnenkostüm anziehen,“ sagt er und meint damit seinen goldenen Zahnaufsatz, den er sich auf den linken oberen Schneidezahn schiebt. Damit ist die Verwandlung von Deo zu AlphaMob offiziell und wir quatschen weiter über seine musikalische Biografie.
Von Hamburg über England nach Memphis
In Hamburg angekommen stürzen sich die Brüder ins Nachtleben. Von Hip-Hop-Partys auf letzten Auswüchsen der Jam-Kultur geht es über Trip-Hop und Drum’n’Bass zu Techno und House. Als Deo & Z-Man veranstalten die alternativ auch Mafiosi-Bros genannten Brüder Partys, legen auf und veröffentlichen diverse EPs, Singles und ein Album. Die erste Veröffentlichung auf dem eigenen Label Insalata di Nastro, über das bis heute die Tapes und Merch von AlphaMob via Bandcamp in die Welt geschickt werden, sind gemeinsame House-Tapes von 2013.
Kurz danach mieteten sich die Beiden auch in das Studio, welches übrigens auch in dem ein oder anderen Musikvideo zu sehen ist, in Hammerbrook ein. Das alte Studio der Beiden fiel leider der Abrissbirne zum Opfer. Die sechs Jahre, die der etwa 20qm große Raum nun schon auf dem Buckel hat, merkt man ihm auch deutlich an. Das viele analoge Equipment sammelte sich über die Jahre gemeinsam mit den unzähligen Raritäten und Details halt so an. Neben vielen Party-Promo-Postern und eigenen Stickern hängt eine kleine Sammlung an Papp-Masken, bedruckt mit dem Konterfei diverser Promis an der Wand.
Kreatives Chaos mit liebe zum Detail
Mittlerweile steht die gesamte rechte Wand voll mit Synthesizern und einer Hammond Orgel. Gegenüber lagern einige Drum-Computer. Auch Gitarre und Bass finden sich zwischen mehreren Kisten mit allerhand Percussion-Krams, den die Jungs aus einer alten Schule haben. Sogar eine Booth kann, wenn es die Situation verlangt, einfach aufgebaut werden. An der Rückwand steht natürlich, wie in jedem Studio, das etwas auf sich hält, eine alte, sehr tiefe Ledercouch neben einem kleinen Kühlschrank. Der vormalige Inhalt von diesem, nämlich fünf mittlerweile geleerte Sektflaschen, findet sich jetzt im Mülleimer wieder.
Heutzutage produziert Deo aber auch viel Zuhause. Seit etwa einem Jahr ist er Vater und möchte daher vor allem die Abende zuhause verbringen: „Ich nutze vor allem die Zeit, wenn meine Kleine im Bett ist. Da sammle ich dann ein paar Ideen, die ich dann hier im Studio fokussierter ausformuliere.“ Den Anfang macht meist eines der unzähligen Samples auf seinem Rechner. Als die eigenen Plattensammlungen weitgehend abgegrast waren, entschlossen sich Deo und sein Bruder schon vor über fünfzehn Jahren dazu auch in fremden Sammlungen zu wildern. Dafür schließen sie sich dann bei einem Bekannten mit Sekt, Sampler und Laptop eine Nacht lang ein und kommen dann mit prall einem gefülltem Ordner digitalisierter Samples wieder. „Da samplen wir auf blöd einfach alles weg,“ erzählt Deo, öffnet parallel auf seiner Festplatte besagte Ordner und scrollt nicht ohne Stolz einmal grob durch seine wahnsinnige Sample-Bibliothek.
Kein Bock auf Schwanzvergleich und Machotum
Entgegen dem gängigen Stereotyp eines Hänger-Produzenten mit unzähligen Skizzen auf dem zugemülltem Desktop, findet sich auf AlphaMobs Rechner nur wenig Ausschussware. „Songs fertig zu machen, das ist für mich auch die Competition beim Produzieren.“ Die meisten Songs, die es nicht auf „Swaffle Phonk“ geschafft haben, wurden aus einem anderen Grund aussortiert. Die Texte von ein bis zwei Rappern passten dem jungen Vater nicht. Diese hypermaskuline Ader, die vielen Rappern anhaftet, geht ihm schon lange auf den Geist: „Ich komm ja klar mit Proll Sound oder hartem Sound. Aber wenn das einfach komplett erniedrigend ist, ohne irgendwelche Selbstironie oder Kritik, kann ich da einfach nichts mit anfangen.“
Dennoch lässt sich auch auf dem finalen Teil der „Swaffle Phonk“-Trilogie die eine oder andere verbale Entgleisung finden. AlphaMob erklärt das so, dass es immer auf den jeweiligen Charakter und auch dessen Ernsthaftigkeit mit sich selbst ankommt, wie er einen Text auffasst. Dazu gehören Selbstreflexion im Gesamtwerk, Übertreibungen innerhalb einer Rollenprosa und auch die Fähigkeit mal über sich selbst zu lachen gleichermaßen. Es ist völlig logisch, dass es auf einem Producer-Album auch um Wettbewerb zwischen den Gast-Rapper*innen geht. Das lädt nur ein zu klassisch übertriebenem Proll-Gehabe. Für inhaltlich tief gehende Songs sind nunmal eher zusammenhängende Alben geschaffen, als für sich stehende Songs auf so einer Compilation.
Der Grund für Deos Affinität mit dem Memphis-Sounds, der nun seit geraumer Zeit den Hauptteil seiner musikalischen Identität bestimmt, liegt auch hier begraben. Moderne US-Rap-Entwürfe, die den 90er Sound der sagenumwobenen Stadt in Tennessee zitieren, von Bones, den Suicide Boys oder auch Asap Rocky, entfachten vor fast zehn Jahren Deos immer noch glühende Liebe für den Phonk. Das Besondere neben dem Sound sind für ihn vor allem die zugelassenen Emotionen. Anstatt sich dem ewigen Schwanzvergleich zu widmen, stellen die meisten Protagonist*innen des Subgenres ihre inneren Abgründe schonungslos zur Schau.
Sensibilität und Tanz anstelle von Aggression und Moshpit
Deswegen haben AlphaMob und seine langjährige Bekannte Phonkycool, die davor mit der Damn Son Party-Reihe bereits die ersten Trap-Partys in die Hansestadt gebracht hatte, die Nite of the Trill ins Leben gerufen. Damals noch in dem illegalen Club Kranich an den Elbbrücken und später dann vor allem im mittlerweile geschlossenen Golem, feierten sie die ersten Memphis-Partys in Deutschland, auf denen auch ein gewisser Skinny Finsta sowie Caramelo ihre Live-Premieren feierten. Auslöser für den Wunsch nach einer solchen Party war die meist männlich konnotierte und aggressive Grundstimmung der Travis Scott‘schen Moshpit-Generation. Der grenzenlose Turn-Up lässt nunmal selten Platz für Gefühl oder Tanz.
An eine einzige Schlüssel-Platte, die ihn an das düstere Memphis-Universum der 90er gefesselt hat, kann sich AlphaMob derweil nicht erinnern, dafür aber an einen bestimmten Urlaub: „Ich hab so ‘ne Website entdeckt, wo so ein Typ 700 Memphis Tapes hochgeladen hat. Die habe ich mir dann über die Wochen in Indien gegeben und da war es vorbei.“
Aus diesem Archiv zieht er übrigens auch die meisten der charakteristischen Vocal-Samples, die in bester Chopped and Screwed-Manier in fast allen AlphaMob-Instrumentals herumschwirren. Eine zweite Schlüssel-Rolle in seinen Produktionen hat die Cowbell inne. In einem älteren Interview sagte Deo mal sinngemäß, dass im Optimalfall kein Song ohne eine Kuhglocke auskommt. Kein Wunder also, dass im Studio logischerweise auch eine echte Kuhglocke herumfliegt.
Die Wurzeln im Kopf, aber kein Platz für Engstirnigkeit
„Swaffle Phonk 3“ öffnet sich dennoch mehr denn je auch anderen Einflüssen und lässt auch Rapper*innen zu Wort kommen, die nicht vornehmlich im Memphis-Teich schwimmen. Neben dem Hamburger Jace und Errdeka, für den AlphaMob letztes Jahr ein Konzert Hamburg eröffnen durfte, sorgt die Wienerin Keke auf dem Song „Mehr davon“ für ein absoluten Highlight der Platte. „Swaffle Phonk“-Stammgäste wie die bereits angesprochenen Skinny Finsta und Caramelo dürfen natürlich auch nicht fehlen. Vor allem letzterer untermauert auf „Schiebedach“ noch einmal sein Dasein als einer der meist unterschätzten Rapper in Deutschland.
Zum Ende des Interviews verrät mir AlphaMob noch, was es mit seinem neuen Label Alpheus Recs auf sich hat. Entgegen meiner Vermutung, er wolle mit seinem neu erstandenen Kassetten-Vervielfältigungs-Gerät der Heidelberger Tape-Manufaktur von Skinny Finsta den Rang ablaufen, will Deo auf seinem Label vor allem junge Künstler herausbringen und sein Wissen über die Industrie weitergeben. Vor etwa einem Jahr ist ein größerer Indie-Label-Chef aus Hamburg mit der Idee an ihn herangetreten. Das Angebot war so gut, dass er lange nach einem Haken gesucht hat. „Ich hab mir gedacht, das kann doch nicht wahr sein. Es gab keinen Haken,“ freut sich Deo.
„Ich hab ja auch immer dieses klassische kreativ-prekäre Dasein geführt. Und auf einmal kamen dann diese ganzen Fäden, die ich immer so gemacht habe zu einem Zopf zusammen. Und das ist jetzt mein Job“. Label-Management, A&R, Vertrieb, Presse-Arbeit, Veranstaltungsorganisation, Merch-Macherei. All die Jobs, die sich Deo über die letzten Jahre quasi als Hobby, ohne davon viel Geld zu sehen, selbst beigebracht hat, kann er jetzt endlich auch mit angemessenen Budget hauptberuflich machen. Die Freude darüber steht ihm ins Gesicht geschrieben. Die Zeiten, in denen er nebenbei noch Filmmusik und DJ-Promo für den Lebensunterhalt durchzieht, sind endlich vorbei.
Aus Hobby wird Job, aus Hustle wird Leidenschaft
Als wir so langsam mit dem Interview zum Ende kommen, fällt mir erst auf wie lange wir eigentlich gequatscht haben. Als mein Fragenkatalog sich dem Ende neigt und Fotograf Jonas übernimmt, fällt mir noch ein weiteres Detail im Studio auf: an einem Regal hängen zwei aus Bügelperlen gemachte Tapes. Die haben ihm zwei Nachbarstöchter mal geschenkt, nachdem sie von seiner Liebe für das veraltete Medium erfuhren.
Nachdem auch Jonas mit den Fotos durch ist, gehen wir noch kurz raus in den nassen Hamburger Herbst und lassen uns durch den gewaltigen Kultur-Komplex führen. Zu unserem Glück stehen sogar die Türen des Südpol auf. Also bleibt uns glücklicherweise auch das Innenleben des Clubs nicht verborgen. In der kleinen Area im ersten Stock liegt noch der Party-Müll vom Wochenende. An den Wänden zeugen mit Kreide beschriftete Timetable-Tafeln von Partys, die weit über nur eine Nacht hinausreichen. Tagsüber und nüchtern in einer leeren Disko zu stehen ist ein bisschen wie eine kaputte Rolltreppe hochzulaufen: irgendwie falsch. Und dennoch versprüht der Ort, der wie Deo nebenbei bemerkt über eine der besten Anlagen der ganzen Stadt verfügt, eine sehr angenehmen DIY-Charme.
Bevor wir uns von Deo verabschieden, gibt er uns beiden noch jeweils ein Sticker-Paket und seine neuste Merch-Errungenschaft, einen AlphaMob-Pin, mit. „Das ganze Geld, das von den Tapes und vom Merch reinkommt, wird ständig in neuen Kram reinvestiert, da kommen also immer mal wieder neue Gimmicks!“