Joey Bargeld wirklich zu verstehen schafft wahrscheinlich nicht einmal Joey Bargeld selbst. Die EP-Reihe mit Kitschkrieg hat gleichermaßen gezeigt, was für ein Freigeist er ist und was für ein Talent in ihm schlummert. Auf jeden Fall steckt da deutlich mehr drin, als nur ewiges Sidekick-Dasein von Trettmann und Haiyti. Jetzt kommt also endlich das Debüt auf Albumlänge und der Ruf eilt ihm schon voraus. In diversen Interviews wird man nicht müde zu betonen, dass jeder Song auf der Platte komplett anders klänge als der nächste. Feste Songstrukturen oder sonstige Konventionen erwartet ja sowieso niemand mehr. Ich bin gespannt, ob Bargeld „Punk is dead" trotzdem zusammenhalten kann.
Eine Selbstliebes-Hymne in Ska-Punk-Gewand dient als Intro. Selbstbewusst gegen alle negativen Stimmen: Bargeld-Mentorin auf drei Minuten Länge. Natürlich ist das etwas stumpf, doch grade deshalb mit extrem hohem Mitgröl-Faktor.
Abgehackter Flow, Cloudy Hook, extrem trippiger Beat. Assoziativ stolpert der Protagonist durch den Trip, den Song zwei darstellt. Lieber nicht ansprechen, ansonsten wird man direkt in den nächsten Schuh-Laden geschickt. Die Hookline klingt wie im Mantra vorgetragene Selbsttherapie. Der stetige Reminder endlich mal aus der ganzen Scheiße von Drogen bis Kater auszubrechen.
Dieser Songs sollte ab sofort im Urban Dictionary als Paradebeispiel für das Wort " Crooner" stehen. Bargeld säuselt direkt in dein Ohr. So gefühlvoll, wie intim. Im Hintergrund rotiert ein feines 80s-Synth-Instrumental von Darko. Starker Song.
Bargeld geht Baden. Wasser-Spritz Samples inklusive. Nachdenkliches Selbstreflektieren und Katerstimmung manövrieren „Britney Spears" schließlich mitten in die Lebenskrise hinein. Ein minimalistischer Beat, der erst langsam hochfährt und in der zweiten Hook dann völlig aufgeht. Spannungsbogen par excellence. Das gesamte Album macht einen sehr detailverliebten Eindruck, „Britney Spears" setzt noch einmal einen drauf.
Deutschpunk-Reminiszenzen und Systemkritik, klassische Kombo. Wie viel bist du Wert? Auch dieses Genre meistern Bargeld und Darko mit Bravour. Es erklingen ausschließlich analoge Sounds, echtes Schlagzeug, viele Gitarren. Die Mehrstimmigkeit in der Hook und auch die kleinen Chor-Einsätze gefallen.
Der erste Gast auf „Punk is dead": Sternschanze meets Vorstadt. Jace liefert ab, der Beat klingt gefährlich, Bargeld lässt sich nicht beirren. Das Ziel: maximaler Vollsuff. Darin sind beide Protagonisten absoluten Profis. Am Ende dreht sich der Beat noch einmal auf links und klingt wie die Musik gewordenen Erinnerungs-Überreste nach einer Filmriss-Nacht. Sehr schöne Wendung.
Darko packt die flächigen Synthesizer aus. Joey Bargelds schnelle Delivery gepaart mit dem abgehackten Beat klingen nach englischen Clubs der 90er. Der perfekte Soundtrack für die nächtliche Autofahrt. Die absichtlich vernuschelte Hook ist streitbar. Mein Fall ist es nicht, gehört aber zweifelsfrei zu Joey Bargeld.
Was für eine Vocal-Performance. Bargeld wird zum ganz großen Sänger. Die Wortwahl und der abstrakte Text sind großartig. Die Anglizismen passen zudem erstaunlich gut in dieses NDW-Gewand. Es ist auf dem gesamten Album sehr angenehm zu hören, wie viel Platz den Beats gelassen wird.
Bargeld reitet die Wellen. Liebenswert schief-gesungener Surfrock mit allen Kalifornia-Klischees. Einigen wird das zu viel sein, ich finde es wahnsinnig charmant. Sonniges Fernweh passend zum langsam einsetzenden Herbst. Und schon wieder kommt Joey Bargeld mit einer komplett neuen Gesangs-Facette um die Ecke. Auch dieses Mal gehts voll auf.
Viel Entspannung scheint der Surf-Urlaub nicht gebracht zu haben. Darko packt das Grime-Brett aus und Joey Bargeld klingt so, wie man ihn in der Kirschkrieg-Zeit kennengelernt hat: Es wird geschrien, gekreischt und gepicht. John Known bringt dafür in Vers zwei ein wenig Struktur in das bargeldsche Chaos. Der Beat macht sehr viel Spaß. Wann hat ein Dosenöffner-Sample je so gut geklungen?
Zweifelsfrei der absolute Hit der Platte. Wenig Text, viel Ohrwurm. Vollkommen logisch die finale Single vor Album-Release. Der klassische Disco-Sound wird erneut mit einer wahnsinnig starken Vocal-Performance versehen. Partys, auf denen dieser Song nicht läuft, werden ab jetzt nicht mehr ernstgenommen.
Neue Deutsche Welle trifft auf auf Frankfurter Untergrund-Gangster. Ungewöhnliche Kombi, klingt dennoch alles andere als falsch.
Bargeld schließt das Album mit einem verschobenen Liebessong. Er legt alle seine Unzulänglichkeiten dar und stellt die entscheidende Frage ohne sie zu beantworten. Der mit Abstand persönlichste und gleichzeitig klarste Song der Platte kommt zum Ende. Ein würdiger Abschluss.
Joey Bargeld liefert ab. Vieles wird probiert und dabei geht so gut wie gar nichts in die Hose. Die vielen verschiedenen Gerne-Bausteine und Sounds ordnen sich allesamt Bargelds einzigartiger Stimme und seinem erstaunlich gereiften Umgang mit dieser unter. Ob schreiend, säuselnd, quietschend, singend, flüsternd oder (ganz selten auch mal) rappend klingt das alles immer passend und dennoch eigen. Auf Strukturen pfeift man zurecht. Selten haben Songs mehr als eine Strophe. Dazu kommt eine sehr detailreiche Produktion von Darko Beats, der eine sehr große musikalische Spannweite zeigt. Darko gelingt es nicht nur die verschiedenen Genres gekonnt in ein 2019er Gewand zu hüllen, sondern vor allem auch in der Bearbeitung von Joey Bargelds Stimme und einer hörbar detailverliebten Arbeitsweise extrem viel aus dem Album herauszuholen. „Punk is Dead" ist das Gefühl von Freiheit in eine Platte gegossen mit einem extrem starken Charakter als Dreh- und Angelpunkt. Teilweise komplex und fast immer abstrakt ist das natürlich nichts für eine breite Öffentlichkeit oder irgendeinen Mainstream. Einmal in der Platte drin, weiß Joey Bargeld allerdings Zuhörer an sich und seine Stimme zu fesseln. 9 Punkte.