Mit dem veritablen Untergrund-Hit „Du hast geratzt" haben sich Tightill und Donvtello vor knapp zwei Jahren für ihre Hörerschaft eine ähnliche Catch-Phrase geschaffen, wie Haftbefehl einst mit „Chabos" für den Mainstream. Jetzt - nach steil wachsender Aufmerksamkeit, zwei beachtlichen Solo-Alben und ausverkauften Touren auf beiden Seiten - ist es Zeit das ganze Ding mit einem gemeinsamen Mixtape auch endlich Rund zu machen. Wenn „Ratzen und Rennen" diesen Freitag erscheint, markiert das auch das Finale einer absurden Woche auf Untergrund-Tour zwischen Bremen, Hamburg, Berlin und Gräfenhainichen. Bei dem Stopp in Hamburg konnten wir uns einen kleinen Einblick in den Tour-Alltag zwischen Bier am Kiosk, leichtem Lampenfieber und Brathähnchen verschaffen.
Mit letzterem am Drehspieß gebratenen, halben Huhn beginnt unser Zusammentreffen direkt vor der U-Bahn-Station Feldstraße mitten in Hamburg. Der vegane Foodtruck gegenüber des ausgemachten Treffpunktes hatte leider nicht für Alle etwas auf der Speisekarte. Aber für die Position einer Galionsfigur des gesunden Lebensstil sind sowieso weder Tightill noch Donvtello zu haben. Man ist bei Sonnenaufgang nun mal lieber auf weißem Pulver am Corner in Bremen unterwegs, als ausgeschlafen bei der Sun-Up-Yoga-Session auf dem Selbstfindungs-Trip in Indien. Dass sowas auch mal böse endet, wird spätestens auf der vorletzten Anspielstation von „ Ratzen und Rennen" klar. Dort wird dann kurzerhand aus „ Du hast geratzt" der halb ironisch, halb selbstreflexive „ Du hast verkackt "-Remix.
Doch zurück an den Imbiss in Hamburg. Kurz zuvor ist der Großteil der Truppe, bestehend aus den beiden in Retro-Trainingsanzügen gehüllten Protagonisten Tightill und Donvtello, Erotik Toy Records Hausproduzenten Florida Juicy, Kameramann Henrik und ETR-Manager Peter mit dem Zug aus Bremen angereist. Später soll dann im Innenhof vor den legendären Treppen der alten Rinderschlachthalle ein geheimes Konzert gespielt werden. Die Location wird nur per direct message über Instagram rausgegeben. Unangemeldet, mit geliehenem Generator und Anlage und so lange bis die Freunde in Blau die Veranstaltung auflösen - das ist das Motto. In Bremen am vergangenen Wochenende habe das schon ganz gut funktioniert, sind sich eigentlich alle Beteiligten einig. Vor allem hatte man extremes Glück mit der Polizei, die eher als entspannte Ordner auftraten als wie erwartet und an ähnlicher Stelle bereits erlebt mit Schlagstock und Pfefferspray. „Ordner für lau, ist doch voll geil." freut sich Tightill.
Allgemein wird noch ziemlich viel gewitzelt beim Essen. Zwischen Imbiss, Ausladen der Technik für den späteren Gig und dem ersten Bier am Kiosk wird sofort klar, mit was für einer unkonventionellen, aber auch sehr entspannten Mischung an Menschen man es hier zu tun hat, vor allem verglichen mit dem üblichen Deutschrap-Zirkus.
Für jeden, der sich schonmal mit einer der beiden hier aufeinanderprallenden Posses beschäftigt hat, sollte das aber sowieso keine Neuigkeit mehr sein: Auf der einen Seite steht hier die „most sensitiv rapcrew alive" alias Erotik Toy Records aus Bremen. Tightill engagierte sich in den vergangenen Jahren als Kopf und Bindeglied der Bande mit seinem Partner Doubtboy immer erfolgreicher für R'n'B und Herzschmerz. Auf der anderen Seite steht dann das düstere 808 Muzik-Umfeld, mit dem Donvtello aka Moneymaxxx schon seit Anfang der 10er Jahre Oldenburg auf die Karte der deutschen Memphis-Enklaven gebracht hat. Tatsächlich finden sich in der jeweiligen Vita der Beiden mehr Gemeinsamkeiten, als sich bei oberflächlicher Betrachtung der Diskografien vermuten lässt.
Ohne zu übertreiben kann man behaupten, dass Tightill eine der, ja wenn nicht sogar die absurdeste Biografie Deutschraps hinter sich hat. Aus einem sehr linkspolitischen Haushalt in Bremens sogenanntem Steintor-Viertel - eine Nachbarschaft, die gerne im besten Sinne als kleines St. Pauli bezeichnet wird - zieht es ihn durch die halbe Welt. Von der Hausbesetzter-Szene in Barcelona nach Zürich, was aber auf Dauer zu einfach zu sauber ist für den Vagabunden.
Schließlich landet er in Berlin Kreuzberg, um dann vor etwa zwei Jahren zurück nach Bremen zu kommen, um endlich wieder richtig Musik zu machen, Erotik Toy Records zu gründen und einen Untergrund-Hit nach dem anderen in die Welt zu setzten. Deutschrap bekommt hier im Norden einen mehr als angenehmen Gegenpol zu der verklemmten Hypermaskulinität, die sich anderorts immer weiter verschärft. Es geht um Sensibilität, Singsang-Rap und Gefühle, aber eben auch ums Skaten, um Graffiti und um Drogenkonsum.
Vor allem in den letzten beiden Belangen überschneiden sich die Interessen mit denen Donvtellos. Dieser durchlief zwar eine viel klassischere Rap-Sozialisation und fühlt sich neben dem Mikrofon auch mit der Dose vor nem Zug, auf der Breakdance-Pappe und vor allem an den Knöpfen der 808 zuhause. Musikalisch ist das Oldenburger-Urgestein dennoch eigentlich in Memphis beheimatet. Dort wo bereits in den 90ern der Trap erfunden wurde, bevor es das Wort Trap überhaupt gab und vor allem die Three Six Mafia um Juicy J, aber auch Rapper wie Project Pat und Skinny Pimp zu absoluten Rap-Legenden wurden.
Bereits vor gut 25 Jahren schlug eine erste Memphis-Welle dann auch in Westberlin ein und hinterließ hörbaren Einfluss allen voran bei Frauenarzt. Aber auch die damals und bis zu Beginn der Aggro Berlin-Ära verbreiteten Praktik, die eigene Musik in Kassetten-Form aus dem Kofferraum zu verkaufen, wurden aus Memphis übernommen.
In den vergangenen zehn Jahren wurde diesem Trend durch diverse, unabhängig voneinander agierende Crews aus ganz Deutschland neues Leben eingehaucht. Neben Donvtellos 808 Muzik kommt man hier am Berliner Label Hutmacher Entertainment mit Künstlern wie den Saftboys, Klapse Mane oder Big Toe, ebensowenig vorbei, wie an dem Bielefelder One Take One Hit Kollektiv mit Opti Mane vorbei. Vor allem aber ist es wohl dem Heidelberger Memphis-Nerd und mittlerweile beim Major untergekommene Skinny Finsta und dessen DIY-Kassetten-Manufaktur zu verdanken, dass dessen Slogan „ Es geht um Tapes Mane" aktuell Deutschraps Untergrund dominiert, wie keine andere Bewegung. Mittlerweile werden die ausverkauften Tapes für horrende Summen auf Discogs, Ebay und co. angeboten. Donvtellos auf ganze fünf Exemplare limitiertes Debüt Album „ 808 Untergrund Vol. 1 " wechselte letztens für stolze 80€ den Besitzer.
Inhaltlich dreht und drehte sich die Memphis-Musik vor allem um Depressionen, übermäßigen Drogenkonsum und dessen Folgen sowie überzogene Gewaltfantasien bis in den Horrorcore hinein. Was auf „ Ratzen und Rennen" auffällt, ist die dazugehörige reflexive Ebene, die anderer Orts häufig auf der Strecke bleibt. So muss bei dem Untergrund-Gig etwas später dann auch die zu früh applaudierende Crowd für den zweiten, nachdenklichen Teil des Songs „ Gewalt " noch einmal zurück gehalten werden.
Aber springen wir noch einmal vor den Konzert-Beginn zurück. Als es dann schließlich ernst werden soll, werden die beiden Protagonisten schon noch etwas nervös. Kommen überhaupt genug Leute zur Show? Wie schnell sind wohl die Bullen vor Ort um das Ganze zu beenden? In Bremen lief zwar alles glatt, aber in Bremen hat man eben auch Heimspiel. Schnell wird noch der ein oder andere Hamburger-Kumpel abtelefoniert und eingeladen. Auch wird das Bier für eine Nerven-beruhigende Dose Whiskey-Cola eingetauscht. „Ich gebe mein Bestes, das Ganze so voll wie möglich aussehen zu lassen", versucht Henrik mit der Kamera in der Hand auch etwas hilflos zu besänftigen.
Sobald das Duo dann den ersten Song spielt, stellen sich sämtliche Befürchtungen als absoluter Quatsch heraus. Mehrere Hundert Menschen sind gekommen, freuen sich die neuen Songs endlich hören zu können und auch die Polizei ist nicht in Sicht. Alle beteiligten sind sichtlich zufrieden mit der Aktion. Das Konzert am Folgetag in Berlin übertrifft dann sogar nochmal die beiden Vorherigen, wie man mir einige Tage später berichtet. Sogar ein bisschen zu doll sei es am Ende gewesen: Irgendwann flogen dann neben der pogenden Masse wohl auch ein paar Bierflaschen durch die Zwischenebene der U-Bahnstation am Hermannplatz in Berlin Neukölln. Auf dem Splash ging die Untergrund-Tour dann ähnlich eskalierend zu Ende.
Wie sich die Beiden ungleichen Charaktere auf der Bühne ergänzen ist definitiv das Besondere an dieser eigentlich absurden Kombination aus dem immer in schwarz gekleideten Stakkato-Flow-Monster und dem unverkrampften R'n'B-Träumer. „ Ratzen und Rennen" ist von diesem Gegensatz durchzogen, der sich jedoch nie wirklich nach Kompromiss anhört. Es ist der logische Treffpunkt zwischen Doubletime-Gewitter und Crooner-Tum. Die Dynamik stimmt. Mit fortschreitender Spielzeit der Platte entschleunigt sich die Atmosphäre dann immer weiter, ähnlich dem Aufwachen nach einer durchzechten Nacht. Schließlich croont dann auch Donvtello auf „ Schluck aus der Flasche " in feinster AutoTune-Manier über den Beat.
Als man sich nach dem Konzert glücklich und etwas angetrunken in den Bus nach Berlin verabschiedet, kommen bei der Musikauswahl für die drei Stunden auf der Autobahn allerdings doch wieder Differenzen auf. Schließlich nimmt Donvtello etwas genervt murmelnd auf der Rückbank platz, während Tightill und Florida Juicy sich auf dem Vordersitz bereits lachend mit der Playlist beschäftigen. Ganz ohne Stress kann dann Hamburg allerdings doch nicht verlassen werden: Einer Anwohnerin, unter deren offenem Schlafzimmer-Fenster der gemietete Bulli geparkt wurde, sind die durch durch das gelungene Konzert vielleicht etwas euphorischeren Gespräche um Zehn Uhr am Abend zu laut. Munter pöbelt sie also aus dem ersten Stock drauflos, bis Tightill schließlich zur allgemeinen Erheiterung aller Anwesenden, die sich nicht im Haus befinden, munter zurückpöbelt.