Als am Mittwoch Nachmittag die finalen Vorbereitungen, sowie der tägliche Redaktions-Hokuspokus abgefrühstückt waren, konnte endlich Zino sowie der 4Squad, den MxP-Jungs und Shooting-Star Mortel Gesellschaft geleistet werden. Die sehr kurzen Showcases dienten als Warm-Up für die erste längere Nacht auf St. Pauli. Es folgte eine gehörige Portion Jazz gemischt in die Beats von Suff Daddy und seinen Lunch Birds. Die mittlerweile sehr gut eingespielte, dreiköpfige Formation gab sowohl Birdsongs-Material fürs Tanzbein, als auch ältere Titel fürs Genick zum Besten. Weiter ging es mit dem persönlichen Produzenten-Paradies-Abend bei Nugat. Der als Producer-Wunderkind gestartete Jugendliche spielte reichlich neues Material, welches Lust auf die kommende Ep machte. Nach der sehr introvertierten „ Ward 8"-Ep besingt Nugat auf dem kommenden Release auch weitaus größere Themen aus einer nicht minder persönlichen Sicht. Hierüber und über seine allgemeine Laufbahn unterhielten wir uns zudem noch für ein Producer Spotlight, welches in den kommenden Tagen genau hier zu finden seien wird.
Neben kurzen Stippvisiten bei Indie-Hoffnungen Isolation Berlin und Faber ging es zum Abschluss noch einmal um Hip-Hop. Der Österreicher Wandl präsentierte im Indra Club sein Album „ It's All Good Tho ". Die Beat-Show an den klassischen zwei Turn-Tables litt leider ein wenig unter dem Sound der Discothek und des straffen Zeitplan.
Ausgesprochen unausgeschlafen ging es am Folgetag um 10 Uhr morgens mit Nikos erstem Panel weiter. Mit Danny Bokelmann aka. D-Bo und Max Mönster aka MontanaMax fanden sich zwei Gesprächspartner um über die nicht so viel beleuchtete Business Seite des Rap-Geschäft zu sprechen. Beide ehemaligen Rapper wechselten unlängst auf die andere Seite des Schreibtisch und zeichnen sich mit Major Universal auf der einen und Indie Wolfpack Entertainment auf der anderen Seite für mit mehr als nur eine Handvoll Platten verantwortlich, die in jeder gut sortierten Hip-Hop-Sammlung mit Sicherheit nicht fehlen. Der frühen Stunde und der allgemeinen Katerstimmung, die die Reeperbahn um diese Uhrzeit eigentlich immer ausstrahlt zum Trotz wohnten deutlich mehr Gäste als angenommen der Diskussion um Vergangenheit und Zukunft des Rap-Business bei. Den gesamten Talk, genau wie die folgenden zwei Runden, finden sich natürlich in nicht allzu ferner Zukunft auf dem BACKSPIN YouTube-Kanal. Das nächste BACKSPIN-Panel fand im siebten Stock des Acrotel über den Dächern der Reeperbahn statt. Laut.des Hip-Hop-Koryphäe Dani Fromm, die ehemalige Visions und aktuelle Peta2-Redakteurin Britta Helm sowie Skinny von rap.de diskutierten Nikos These, nach der die Review mittlerweile vollends an Bedeutung verloren hätte. Kurz gesagt: F*ck the Review! Die interessante Diskussion wurde nach der angesetzten Stunde spontan in einem kleineren Kreis vor den nächstbesten Späti verlagert. Einige Bier und Thesen über aktuelle Hip-Hop-Phänomene später fanden sich Zino, Kevin und ich schließlich vor der Bühne des Übel & Gefährlich wieder, auf der Tua einen leider sehr kurzen Querschnitt seines Schaffens gab. Ausgestattet mit einer Dolmetscherin, die die Show künstlerisch für Gehörlose übersetzte, konnte der Auftritt über das aufgrund der zeitlichen Überschneidung verpasste Lil Peep-Konzert hinwegtrösten. Vor allem aufgrund des für ein Festival überragend guten Sounds, sowie natürlich der üppigen Vita des Soundbastlers kristallisierte sich der Gig recht schnell als eines der Highlights des Festivals heraus. Direkt nach Tua enterte Hayiti stilecht in Tupac-Baggys die Bühne. Den Abend ausklingen ließen schließlich zwei drittel von OK Kid aka Kid Ok Soundsystem sowie der überaus interessante Newcomer Kelvin Colt. Keine paar Stunden nach dem Auftritt gab Four Music das Singing des Künstlers bekannt, der mittlerweile in einer Szene Berliner Kunstschaffender um unter anderem Ahzumjot oder Sam angekommen ist. Allgemein zeichnet Kelvyn Colt ein interessanten Stil irgendwo zwischen dem Grime seiner kurzzeitigen Wahlheimat London und dem R'n'B vergangener Generationen aus.
Ein wenig ausgeruhter als am Vortag ging es zu einer moderateren Uhrzeit in den Festival-Freitag an das noch fehlende BACKSPIN-Panel. Während der Mob aus Industrie-Leuten, Journalisten und sogenannten Delegates bereits von Frei-Suff-Empfang zu Frei-Suff-Empfang zog, ging es in der von Falk Schacht und Broadly-Chefredakteurin Lisa Ludwig moderierten Runde um die Position der Frau im hiesigen Rap-Geschäft. Hierzu lieferte vor allem Lady Bitch Ray ein flammendes Inferno an Thesen, die mit Melbeatz, Pilz und Helen Fares diskutiert wurden. Am späteren Abend performten schließlich DiscoCtrl, Slowy & 12Vince, Dardan und die Locosquad ihr Talent auf der Bühne des BACKSPIN-Abend. Vor allem bei den Hamburger Verfechtern des Boom-Bap platze der Laden, wahrscheinlich auch durch den Lokal-Bonus induziert, aus allen Nähten.
Am abschließenden Samstag drehte sich nicht mehr allzu viel um Hip-Hop, bis auf ein kleines Highlight am frühen Abend: Jace brachte seine Flavour Gang sowie die SDT-Squad eine Bühnezwischen den Geldautomaten und Schreibtischen der Hamburger Sparkasse. Die kleine, eher provisorisch anmutenden Bühne sah sich also in kürzester Zeit von einer ganzen Horde wild umherspringender Rapper malträtiert. Auch wenn die Show noch etwas chaotisch verlief, wird nicht nur wegen der viel verheißenden „ Vorschuss"-Ep noch einiges von dem Hamburger Nachwuchs-MC zu erwarten sein. Der Rest des Festivals wurde zunächst in der prestigeträchtigen wie umstrittenen Elbphilharmonie bei der Berliner Elektro-Koryphäe Daniel Brand und seiner Band und schließlich bei den großartigen Headlinern von Portugal The Man verbracht. Bei letzteren versuchte sich gar Kumpel und „ Lang Lebe der Tod" Feature-Partner Casper als Roadie oder wahlweise Barkeeper und brachte der Band kurzerhand Whiskey-Shots auf die Bühne.
Allgemein lässt sich sagen, dass das Reeperbahn Festival sehr viel richtig macht. Das größte Club-Festival Europas besticht vor allem durch ein sehr gutes und quer durch alle Genres qualitativ hochwertiges Booking, eine breitgefächerte Location-Landschaft sowie die Möglichkeit E-Mail-Kontakten aus der Industrie auch mal ein Gesicht zuzuschreiben. Das Festival bringt unkonventionelle Konzerte in die Elbphilharmonie, welche im Übrigen auch Elektro-Sinfonien einen bombastischen Sound verleiht, und in eine Haspa-Filliale. Es schafft einen Platz für junge Künstler, sich der Musik-Welt vorzustellen, sowie erhabenen Bands und Artists großartige Shows abzuliefern, fern von der hektischen Meute, die sich auf konventionellen 40.000-Menschen Festivals anfindet.