Liturgy sind im Rahmen des Enjoy-Jazz-Festivals gekommen. Jenes bespielt über Wochen Heidelberg, Mannheim und Ludwigshafen in wunderbarer stilistischer Pluralität. Aber die Bereitschaft, eben auch eher Entferntes einzuladen (hier unter dem irreführenden Label Dark Jazz), kann eben auch zu Missverständnissen führen. Klar, Liturgy wurden jetzt oft genug auch in den traditionellsten Feuilletons gelobt und als Gegenentwurf zum gängigen Metal vorgestellt. Es stimmt ja, sie sind ziemlich unverwechselbar. Aber die Unterscheidung sollte nicht verlaufen zwischen E- und U-Kultur, zwischen bürgerlichem Hoch und popkulturellem Tief.
Es gibt so gar nichts Schönes und Nachahmenswertes an einem solchen Konzert im Sitzen. Das gilt auch für Dave Grohl, der in scheinbar postheroischen Zeiten dafür gefeiert wird, dass er mit gebrochenem Bein auf der Bühne sitzt. Dass sich da einer durchquält, seine totale Leidenschaft bezeugt dadurch, dass er sogar im Sitzen weitermacht, ist dann doch nur der Rockismus zweiten Grades, ohne breitbeiniges Aufbauen auf der Monitorbox. Musik ist eine körperliche Erfahrung. Sie lebt vom Wogen, von der Resonanz.
Vor Liturgy spielt Evan Caminiti dunklen Ambient, der passt zumindest etwas besser zu den Stuhlreihen, aber er fesselt nicht. Wir stehen im Gang, ältere Herrschaften in Classic-Rock-Shirts fragen, ob wir da stehen bleiben wollen. Drei Kids versichern vehement: Ja, bei Liturgy darf man nicht sitzen. Ein Mann fernab beklagt sich lautstark, wir seien egoistisch, da könnten dann doch andere (vier Leute, denen wir Plätze vor uns anbieten) hinter uns nichts sehen.
Liturgy fangen an mit ihrem knapp 40-minütigen Set - ohne Zugabe natürlich, Hardcore-Style. Abzuwarten war vorher, wie sich der elektronischere, glitchy Sound des neuen Albums The Ark Work mit seinem Midi-Glockengebimmel live machen würde. Kurzum, er ist noch vernehmbar, aber die manchmal strapazierenden Höhen treten in den Hintergrund.
"Quetzalcoatl" bleibt in seiner Mischung aus EDM, Rap und Metal dennoch live so irre wie auf Platte. Soll heißen: Es funktioniert perfekt. Sehr dankbar muss man sein, dass sich die Band nun wieder zu viert auf Tour begibt, zwischen den letzten beiden Alben gab es eine Zeit als Duo, ohne Bass und Schlagzeug. Aber, so viel zur Körperlichkeit, die volle ekstatische Kraft entfaltet all das viel besser zu viert - als klassische Rockband.
Liturgy haben so wenig Angst vor dem Pathos wie vor dem Monumentalen. Ihr Umgang mit Minimal Music im Sinne Steve Reichs, mit den Black-Metal-Tremolo-Gitarren und dem Steve-Albini-Groove des Math Rock ist live noch materieller, sehr körperlich. Das Ätherische und Flirrende der vielen Black-Metal-Postrock-Verbinder, die derzeit Erfolg haben, spielt bei Liturgy eine untergeordnete Rolle. Überall scheinen Ecken und Kanten herauszustehen, an denen man sich stößt.
Als Liturgy kurz vor Schluss ihren minimalistischen Überhit "Generation" vom 2011er Album Aesthethica spielen, springt auch der ältere Typ auf, der uns zuvor anmotzte. Jetzt steht er den Leuten endlich im Weg - und tanzt. Cool ist das. Hunter Hunt-Hendrix, der Sänger und Gitarrist, verzieht keine Miene beim Spiel. So bewusst apathisch der Gesang auf dem neuen Album ausfällt, so schaut sein Gesicht live drein. Auch dadurch tritt der phänomenale Drummer Greg Fox noch mehr ins Zentrum, er schießt die Löcher in die Glenn Brancaschen Gitarrenwände. Die Gitarren und der Gesang werden zum Rhythmusinstrument, das Leben haucht Fox ein.
Überhaupt, der euphorische, lebensbejahende, lichtdurchflutete Sound atmet live noch mehr. Das zeigt einer der Höhepunkte: "Kel Valhaal" mit dramatischem Bläserfinale. Als ich schlussendlich ganz euphorisiert die Band anquatsche, schwärmt mir Hunt-Hendrix vom Heidelberger Schloss vor. Passt, dass er so etwas mag. Monumental und etwas entrückt.