Vor einem Jahr spielten Kraftwerk ebenfalls in Frankfurts Jahrhunderthalle eines ihrer hochpreisigen und innerhalb kürzester Zeit ausverkauften Konzerte, es war ganz grausam, nostalgisch bis auf die Knochen, lächerlich rückwärtsgewandt durfte man dabei zuschauen, wie sich viele, viele, sehr hippe Menschen dabei verlieren, ihre eigene Jugend zu glorifizieren. Wenn man sich je fragte, was an der Retromania des Pop eigentlich das Problem ist - dieses Konzert zeigte mit voller Wucht, wie eine stumpfe Heroisierung des Vergangenen, ohne jeden Bruch, jeden Marker der Jetztzeit, gigantischste Leere produziert. Dazu passte der lasche Sound, viel zu leise, ohne Druck und ohne Bass.
Es war zu befürchten, dass die Pet Shop Boys Ähnliches zu Aufführung bringen würden. Ähnliche Zeit, ähnliche Größenordnung und ebenfalls ein Sound, der mal sehr wichtig war für den Gang des Pop. Nüchtern, abgehetzt, durchgewrungen, strömen die Leute aus den Bussen. In den Schlangen vor dem Eingang, anders als bei den MoMA-promovierten Kraftwerk, ein Mitklatsch-erhoffendes-und-nicht-enttäuscht-werdendes Publikum maximaler Bodenständigkeit. Kein Support ist angesagt, es soll sehr zeitnah um Acht losgehen, es ist zehn vor. Hektik. Ein Mann in Michael-Schumacher-Kartbahn-Kerpen-Shirt fragt beim Catering nach Mettbrötchen.
Einige Texte zu dieser Tour berichteten durchaus begeistert, hier finde größtmögliche Nostalgie statt. Das kann für dieses Konzert zumindest nicht gelten. Weil die Pet Shop Boys das beachtliche Risiko eingehen, selbst größte Hits in neuen, deutlich abweichenden Versionen zu spielen. Sie nehmen Abstand, sie wollen raus aus dem Immer-Wieder der Dienstleistungspopkultur.
Klar, sie verweigern sich nicht völlig, sie spielen die Hits, für anderes scheinen Tennant und Lowe allerdings viel zu freundlich und ihrem Publikum zugewandt. Aber das hier ist total aktuell. Und der Sound klatscht die Leute weg. Mehr Rave. Der Bass ist voll da.
Früh spielen sie „The Pop Kids" zum ersten Mal, einen Song, den man auf Platte leicht unterschätzen kann. Hier aber, mit voller Wucht und in laut, ist das ziemlich überwältigend. Diesmal sind sie ohne Tänzerinnen unterwegs, die Band wird später enthüllt, die Laser tauchen die Halle in ein beruhigendes Grün. Tennant trägt fröhlich-alberne Jacken in Gold, alle sind unfassbar gut gelaunt. Und es ist, ganz ohne Ironie, eine Leistung, so ansteckend positiv drauf zu sein. Als ersten Song der Zugabe - sie spielen insgesamt nicht ganz zwei Stunden - kommt „Domino Dancing", auch überarbeitet, aber noch immer einer der besten Songs der letzten dreißig Jahre.
Obwohl sie Hit um Hit spielen, steigert sich die Entzückung. Die Mitklatscher holen alles aus sich heraus, ein Mann mit Businesshemd und Manschettenknöpfen liegt im Arm seines Nebenmannes, vor ihnen Jacken und Taschen, aufgetürmt wie auf Klassenfahrt, sie singen lautstark mit: „All day, all day, Domino Dancing."
erschienen in der Frankfurter Rundschau, 4.12.2016.