Vor allem dieses Thema brachte mich dazu, mich überhaupt erst intensiver mit Feminismus zu beschäftigen. Je mehr ich las und mich austauschte, desto größer wurde die Erkenntnis, dass ich selbst nicht die Schuld an Übergriffen trage und dass viele Frauen genau die gleichen Erlebnisse machen - jeden Tag.
Sexuelle Belästigung, die Verharmlosung dieser und die Schuldzuweisung der Opfer sind Mechanismen der patriarchalen Gesellschaft. Das zu realisieren hat mich „erleichtert", ist aber auch gleichzeitig die Grundlage für antreibende Wut.
Meine anfängliche Mir-doch-egal-Mentalität, die ich mir mit Mühe einredete und die mir vor allem eingeredet wurde, wich angestautem Ärger und dem Willen, sich nicht alles gefallen zu lassen. Zu oft schluckte ich den Frust runter, hatte Angst und war auch noch Stunden nach dem Vorfall angespannt. Eine zweite Welle der Wut folgte, wenn ich nach Übergriffen das Gefühl vermittelt bekam, selbst an der Situation schuld gewesen zu sein. Wie so oft wurde kleingeredet, abgewunken, delegitimiert.
2014 wurde das Thema sexuelle Gewalt einer breiteren Masse ins Bewusstsein gerufen. Schuld daran war eine der ersten Hashtag-Kampagnen, unter der Frauen begannen, ihre Erlebnisse mit sexueller Belästigung zu teilen. Unter #YesAllWomen sammelten sich die verschiedensten Erfahrungen. Viele Frauen reihten sich ein, da sie sich durch die Masse ermutigt fühlten, auch ihre Geschichte zu teilen, sodass nach nur einigen Tagen mehr als eine Millionen Tweets unter dem Hashtag zu finden waren.
Man feierte den Anstoß einer überfälligen Debatte - doch wie so oft bei Netzaktionen, verschwand der Hashtag recht schnell wieder aus dem Bewusstsein und mit ihm die Möglichkeit, das Problem anzugehen. Hatte man kurz Hoffnung gefasst, es könnte eine Sensibilität für das Thema entstehen, sah man sich schnell wieder mit Bagatellisierung und Täter-Opfer-Umkehr konfrontiert.
In diesem Herbst machte dann wieder ein Hashtag die Runde. Indem #metoo gepostet wurde, zeigten Frauen, dass sie schon Opfer von Belästigung wurden. Wieder wurde von Übergriffen berichtet. Zwischen #YesAllWomen und #metoo liegen mehr als drei Jahre. Das Prinzip ist gleich! Zwischenzeitlich fanden immer wieder ähnliche Aktionen statt und jedes Mal lief es ähnlich ab: Betroffene berichteten, Nicht-Betroffene reagierten mal mehr mal weniger und die Vorfälle wurden wie ein nie dagewesenes Phänomen rezipiert.
Doch sexuelle Belästigung ist kein Phänomen. Sie findet strukturell statt und zwar auch dann, wenn es kein Schlagwort in den sozialen Netzwerken dazu gibt. Ich frage mich, wie viele Hashtags es noch braucht, um dem Problem auf den Grund zu gehen. Wann führt man endlich Debatten die mehr als nur an der Oberfläche kratzen?
Natürlich erwartet niemand ernsthaft, dass ein Hashtag an sich etwas ändert, aber die Momente, wenn jene Schlagworte kursieren, scheinen die einzigen zu sein, in denen eine Auseinandersetzung möglich ist. Wann anders ist für dieses Thema wohl einfach keine Zeit. Bei vielen macht sich eine Ist-jetzt-auch-mal-wieder-gut-damit-Stimmung breit, mit der man so vielen Internethypes begegnet. Und somit fängt wieder das Kleinreden an - das Abwinken, die Delegitimierung. Der Hashtag verschwindet, doch sexuelle Gewalt bleibt der vielmals ignorierte Alltag.