1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Wann müssen sich Frauen endlich nicht mehr für ihre Periode schämen?

"Ja, das ist eine Binde!" schreibt das Model Lopamudra auf ihrem Twitter-Account und postet ein Foto dazu. Unter dem Hashtag #letstalkperiod fordern Frauen aus verschiedenen Ländern bei Twitter vermehrt dazu auf, über das Thema Menstruation zu sprechen. Sie wollen die Gesellschaft motivieren, offener mit dem Thema umzugehen.

Dieses Jahr gibt es auf einigen deutschen Festivals, wie dem Lollapalooza in Berlin, sogenannte Menstruationszelte. Dort bekommen (menstruierende) Festival-Besucherinnen kostenlose Periodenprodukte, und können sich mit einem "Bloody Mary" in der Hand entspannen. Die Initiatoren wollen mit ihrem Projekt "The Red Tent" ein ihrer Meinung nach bestehendes Menstruations-Tabu brechen. Auch Stars wie Meghan Markle riefen in den vergangenen Jahren dazu auf, offener über Menstruation zu sprechen. Wie wird in der Öffentlichkeit mit der weiblichen Periode umgegangen? Ist die Menstruation wirklich immer noch ein Tabu-Thema?

77 Prozent der Frauen fühlen sich unwohl mit Männern über ihre Periode zu sprechen

Ein Blick auf aktuelle Studien zeigt: Sex und Periode scheint für die meisten Frauen nicht zusammenzupassen. Die Zyklus-App "Clue" und das Kinsey Institute Condom Use Research Team veröffentlichten 2018 eine Studie zum Thema Sex und Menstruation. Dabei befragten die Forscher 95.000 Frauen in 200 Ländern über die Auswirkungen der Periode auf ihr Sexualleben. Das Ergebnis: nur 15 Prozent der Frauen praktizieren während ihrer Periode sexuelle Aktivitäten. 48 Prozent vermeiden Geschlechtsverkehr während der Menstruationsphase komplett. Sex und Blut passt für viele nicht zusammen - bedeutet das auch, dass das Thema Menstruation ein Tabu ist?

Die Studie " Talking about Periods - An international Investigation" liefert darauf eine klare Antwort: 77 Prozent der befragten deutschen Frauen gaben an, dass sie sich unwohl dabei fühlen mit männlichen Klassenkameraden oder Kollegen über ihre Periode zu sprechen. Zudem sagten 16 Prozent, dass sie schon mal die Schule, Arbeit oder ein anderes Ereignis verpasst haben, aus Angst jemand könnte herausfinden, dass sie ihre Periode haben.

In der Werbung vermeiden die Anbieter von Hygieneartikeln, konkrete Bilder der Periode zu zeigen: Anstatt Blut tränkt eine blaue Flüssigkeit die Binde. Gängige Verpackungsfarben der Produkte sind blau, grün, gelb oder lila.

Anna-Lena Leifermann ist Sexualpädagogin und berät Jugendliche bei profamilia, einer Beratungsstelle für Familienplanung und Sexualpädagogik. Sie nimmt an, dass die Werbung in der Gesellschaft immer möglichst rein und ästhetisch sein soll und damit auch manchmal realitätsfern ist. "Ich bin mir sicher, dass die Werbung einen Einfluss darauf hat, wie offen mit der Periode umgegangen wird", sagt Leifermann.

"Unter uns modernen Frauen ist das schon lange kein Tabuthema mehr"

Doch führt rotes Blut in der Werbung zu einer Enttabuisierung? Ann-Sophie Claus vermarktet mit ihrem Startup "The female company" Bio-Tampons. Sie hat sich bewusst dagegen entschieden, in ihrer Werbung Blut zu zeigen. Das begründet sie so: "Realistische Darstellungen sind super wichtig, aber bei einem Thema, das immer noch einige als eklig bezeichnen, hilft es nicht, im TV mit Blut herumzuspritzen." Während ihrer Unternehmensgründung hat sie die Erfahrung gemacht, dass unter Frauen ganz offen über das Thema gesprochen wird: "Unter uns modernen Frauen ist das schon lange kein Tabuthema mehr, aber gesellschaftlich akzeptiert ist es noch nicht." Auf ihrer Homepage vermarktet sie Tampons, die in hippen Aufbewahrungsboxen verkauft werden. Wenn es kein Tabu geben würde, könnten Tampons und Binden doch genau wie Klopapier sichtbar im Bad aufbewahrt werden.

Auch im familiären und freundschaftlichen Umfeld, scheint die Periode noch immer ein Tabu zu sein. Laut der Umfrage eines Hygiene-Produkte-Herstellers hat nur jede fünfte Frau schon mal mit ihrem Partner über das Thema Menstruation gesprochen. Wenn überhaupt findet ein Gespräch am häufigsten zwischen Mutter und Tochter (60 Prozent) oder mit einer Freundin (52 Prozent) statt. Das Tabu nimmt also schon im jugendlichen Alter Einzug in das Leben von jungen Frauen und Männern.

Sexualpädagogin Leifermann glaubt, dass der Ursprung für die Tabuisierung der Periode in der fehlenden Aufklärung liegt. "Wer aufgeklärt ist, kann mit der Menstruation ganz anders umgehen", erklärt sie.

Sexual- und Sozialpädagoge Andreas Gloel ist zusätzlich der Meinung, dass auch das gesellschaftliche Schönheitsideal bereits in der Jugend einen Einfluss hat: "Die Periode gilt als nicht rein. Um das Bild einer sexuell attraktiven Frau zu halten, wird relativ wenig über die Periode gesprochen."

Der Mythos, die Menstruation mache unrein, wird übrigens in allen großen Weltreligionen vertreten. Beispiel gefällig? Im Alten Testament heißt es: "Wenn ein Weib ihres Leibes Blutfluss hat, die soll sieben Tage unrein geachtet werden; wer sie anrührt, der wird unrein sein bis auf den Abend."

Doch es gibt auch kulturelle Gegenbeispiele: Wenn in Japan ein Mädchen das erste Mal ihre Regel bekommt, wird sie von ihrer Familie beschenkt und bekocht. Wie schön wäre es, wenn wir in Deutschland auch für unsere erste Regel gefeiert werden würden.

In vielen Elternhäusern finde keine grundlegende Aufklärung statt

Leifermann weist außerdem auf klare Mängel in der schulischen Sexualaufklärung hin. Sie berichtet, dass Jugendliche oft nur den biologischen Prozess des Kinderkriegens lernen. "Die wichtigen Fragen, wie Mädchen mit ihrer Periode im Alltag umgehen, werden oft ausgelassen", kritisiert Leifermann die Lehrplanung.

In den Bildungsplänen für Grundschulen und weiterführende Schulen wird tatsächlich kein spezifisches Wissen in Bezug auf den weiblichen Zyklus und die Periode erwähnt. In den Bildungsplänen der Hamburger Schulbehörde heißt es beispielsweise: "Die schulische Sexualerziehung knüpft an die Sexualerziehung des Elternhauses und der Kindertagesstätte an und ergänzt diese". Der Fokus der Lehrpläne in Deutschland ist klar: Aufklärung ist in erster Linie die Verantwortung der Eltern.

Dass die Aufklärung nicht immer ausreichend ist, lassen diese Zahlen vermuten: 17 Prozent der weiblichen Jugendlichen und jeder dritte Junge wissen einer Umfrage der Aufklärungsplattform "Erdbeerwoche" zufolge nicht, was das Wort Menstruation bedeutet. Zudem glauben laut der Studie 53 Prozent der Jungen, dass die Periode der Verhütung beim Sex dient. "Es fehlt ein Aufklärungsunterricht ab Klasse 10, der jugendgerecht über die Periode informiert", sagen die Autorinnen des Buchs "Ebbe und Blut", Eva Wünsch und Luisa Stömer.

Die Aktivistin Penelope Kemekenidou, die sich für Frauenrechte einsetzt, sieht immer noch ein klares Tabu in dem Thema. "Die Menschen sind nicht ruhig, weil sie kein Problem sehen, sondern weil es ihnen unangenehm ist, über das Thema zu sprechen", sagt sie. Wünsch und Stömer berichten zudem, dass es auch Menschen gibt, die dazu auffordern, nicht über das Thema zu sprechen. Sie haben schon oft erlebt, dass mit Hass-Kommentaren unter ihren Veröffentlichungen reagiert wurde.

Ist die Menstruation immer noch ein Tabu? Ja. Können wir das ändern? Auf jeden Fall. Dabei steht umfassende Aufklärung an erster Stelle. Schritt 2: Jeder kann die eigenen Grenzen, die wir uns im Alltag selber setzen, überprüfen. Denn: "Hat jemand einen Tampon?" sollte keine Frage sein, für die sich irgendwer im Büro oder Café schämen muss.

Neuer Podcast: Entspannen während der Periode

Manchen Frauen geht es richtig gut während der Periode. Andere leiden unter starken Schmerzen und Krämpfen. Egal, wie ihr es erlebt, dieser Podcast ist euch und eurer Menstruation gewidmet: 15 Minuten nur für dich und deinen Körper, wenn du gerade deine Tage hast.

Sexualtherapeutin Susanna Sitari-Rescio führt euch darin in euren Körper und führt eure Aufmerksamkeit zu den Bewegungen und dem Prozess, der in eurem Körper während dieser Zeit stattfindet.

Wir wünschen euch viel Spaß der vorerst letzten Folge der #sexbewusst-Podcastreihe.

Alle Podcasts der NEON-Reihe mit Übungen und Meditationen findet ihr hier.
Zum Original