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Leichtathletik: Deutsche Meisterschaften nur für Deutsche

Daniele Biffi rennt leichtfüßig über die Tartanbahn. Seine Spikes berühren den Boden nur kurz, ehe sich seine Füße wieder abdrücken und sich seine Beine kraftvoll heben - Schritt für Schritt. Der 46-Jährige ist einer der besten Leichtathleten seiner Altersklasse. Seit 15 Jahren lebt der Italiener in Deutschland, die 200 und 400 Meter sind seine Spezialstrecken.

Die vergangenen vier Jahre nahm er auch erfolgreich bei den Deutschen Meisterschaften (DM) teil. Seit 2017 jedoch dürfen Biffi und andere Sportler ohne deutschen Pass bei den Meisterschaften in Deutschland nicht mehr starten. Auch deutsche Athleten sind von dieser Neuregelung betroffen: In einem Hamburger Verein beispielsweise kann eine Staffel, die aus drei deutschen Athleten und einem Ausländer besteht, jetzt nicht mehr starten.

Daniele Biffi (Archiv, April 2017)

Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) hat im Juni 2016 das Teilnahmerecht für Deutsche Meisterschaften in der Deutschen Leichtathletik-Ordnung (DLO) geändert. Nach der neuen DLO sind bei der DM nur noch Leichtathleten mit deutschem Pass teilnahmeberechtigt. Seit der Einführung diskutieren betroffene Sportler, Trainer, und Experten darüber, warum der DLV die Änderung eingeführt hat - und wie sinnvoll sie ist.

Nachteile für deutsche Staatsbürger vermeiden

Der Verband führt in seiner Beschlussvorlage diese Gründe an: "Zum einen sind die Geburtsdaten nicht immer eindeutig überprüfbar. Zum anderen ist weder der ständige Aufenthalt im DLV-Gebiet noch der mögliche Start bei Meisterschaften im Heimatland in der Praxis überprüfbar." Zudem sollen laut DLV Nachteile für deutsche Staatsbürger vermieden werden. Zur weiteren Begründung möchten sich DLV-Präsident Jürgen Kessing und Vertreter der Landesverbände aufgrund eines laufenden Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) nicht äußern.

Vor dem Inkrafttreten der Regelung durften Nicht-EU-Staatsbürger teilnehmen, wenn sie mindestens ein Jahr in Deutschland gelebt haben, ein Startrecht für einen deutschen Verein besaßen und im laufenden sowie im vergangenen Jahr nicht für einen Verein ihres Heimatlandes gestartet sind oder an dessen Meisterschaften teilgenommen haben. EU-Bürger mussten dagegen nur seit mindestens einem Jahr ein Startrecht für einen deutschen Verein vorweisen.

Die neue Regelung schließt nun kategorisch alle ausländischen Athleten von deutschen Meisterschaften aus. Im März 2017 haben Biffi und sein Rechtsanwalt Gerald Kornisch vor dem Europäischen Gerichtshof Klage gegen das Teilnahmeverbot eingereicht.

"Das Engagement unserer ausländischen Athleten ist genauso wichtig"

Kornisch sieht in der DLO-Änderung eine Verletzung der demokratischen Grundwerte: Mitglieder der Vereine seien nicht nur deutsche Staatsbürger, die Ungleichbehandlung nicht deutscher Mitglieder sei ungerechtfertigt. "Das Engagement unserer ausländischen Athleten ist genauso groß und wichtig." Er kritisiert, dass der DLV nicht geprüft hätte, welche Folgen die Regeländerung nach sich zieht und wen sie genau betrifft.

Kornisch fehlen zudem Statistiken, aus denen hervorgeht, wie viele Sportler ihr Alter tatsächlich gefälscht haben. Der Geschäftsführer des Hamburger Leichtathletik-Verbands (HHLV) und DLV-Stützpunktkoordinator Klaus Jakobs berichtet zwar, dass es in der Vergangenheit im Jugendbereich einige ausländische Athleten gegeben habe, die bei Jugendmeisterschaften alle Titel gewonnen hätten und älter aussahen als ihre Konkurrenten. Bewiesen wurde ein Betrug jedoch nicht. Jakobs bezeichnet die Neuregelung als "sehr unglücklich."

Auch der Hamburger Leichtathletiktrainer Andreas Grieß hält die neue DLV-Regelung für fragwürdig: "Insbesondere die Sportvereine arbeiten so viel für Integration, mit Blick auf den Fremdenhass und die Vorurteile, die in der Gesellschaft spürbar sind." Gerade jetzt, wo viele Migranten und Flüchtlinge mit Vorurteilen zu kämpfen hätten, setze der DLV mit dieser Regeländerung ein fatales Zeichen, in dem er auf Grundlage von Behauptungen kategorisch alle Ausländer ausschließt.

Welche Regeln gibt es in anderen Sportarten?

Doch auch in anderen Sportarten werden Ausländer zu Deutschen Meisterschaften nicht zugelassen. So gibt es im Schwimmsport zwei separate Meisterschaften. Lediglich an der internationalen DM dürfen ausländische Athleten teilnehmen. Im Radsport dagegen sind seit Jahrzehnten ausschließlich deutsche Athleten startberechtigt. Ein prominentes Beispiel, bei dem Ausländer bei Deutschen Meisterschaften starten beziehungsweise spielen dürfen, ist der Fußball. Sowohl in der Ersten als auch in der Zweiten Bundesliga stehen Spieler aus EU- und Nicht-EU-Ländern auf dem Platz.

In gewisser Weise passt sich der DLV mit dieser neuen Regelung an andere Sportarten an. Dennoch herrscht auch innerhalb des Dachverbands Uneinigkeit: Einige DLV-Landesverbände distanzieren sich deutlich von der Entscheidung. Der HHLV und der Berliner Landesverband (BLV) haben angekündigt, sich für ein uneingeschränktes Teilnahmerecht einzusetzen. Entsprechende Forderungen und Anträge werden jedoch bis heute vom Verbandsrat des DLV vertagt. Es scheint, als verstecke sich der Verband hinter dem Prozess - und als wäre er gespalten. Jakobs sagt: "Im DLV gibt es aktuell mehrere Lösungsansätze."

Unter Trainern und Sportlern besteht Konsens darin, dass zur Lösung der Probleme Regeln gefunden werden müssen, die nicht alle Sportler ohne deutschen Pass ausschließen. "Die Regeländerung war ein Schnellschuss", so Jakobs - eine unüberlegte Entscheidung, allerdings mit weitreichenden Folgen.

Denn im Moment erreichen Bundesfördermittel nur deutsche Athleten. Entscheidet der EuGH, dass die Regelung des DLV diskriminiert, müsste eventuell ebenso geprüft werden, ob nicht auch Ausländer förderberechtigt sind - und das nicht nur in der Leichtathletik. Der Beschluss des EuGH wird 2019 erwartet.

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