Der Glücksforscher Karlheinz Ruckriegel erläutert im FR-Interview, wie die Gesellschaft vom Ehrenamt profitiert und warum der Trend zu einer individualisierten Gesellschaft problematisch ist.
Herr Ruckriegel, was ist Glück? Bei Glück geht es um subjektives Wohlbefinden. Das hat zwei Ausprägungen. Einerseits das emotionale Wohlbefinden. Hier geht es um das Verhältnis zwischen positiven und negativen Gefühlen. Da sollten natürlich die positiven Gefühle deutlich überwiegen. Zum anderen das kognitive Wohlbefinden.
Kognitives Wohlbefinden heißt? Wie wir unser Leben bewerten vor dem Hintergrund unserer Ziele, Wünsche und Erwartungen. Da kommt es entscheidend drauf an, welche Ziele man sich setzt. Diese sollten realistisch und sinnhaft sein. Ziele sollten sich auf persönliches Wachstum, zwischenmenschliche Beziehungen und Beiträge zur Gesellschaft ausrichten. Diese drei Ziele befriedigen unsere psychischen Grundbedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und Zugehörigkeit am besten. Sie spiegeln sich zudem alle in einer ehrenamtlichen Tätigkeit wider. Weniger hilfreich für das subjektive Wohlbefinden sind Ziele wie Schönheit, Popularität und Geld.
Wie hat man den Zusammenhang von Ehrenamt und Glück untersucht? Alle zwei Jahre veröffentlicht die OECD die Studie „How's Life - Measuring Well-being." Ein Teil der 2015er Studie befasst sich mit ehrenamtlichen Tätigkeiten. Da stellt man fest, dass Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, immer im Vergleich zu anderen, die das nicht machen, ein deutlich besseres Verhältnis zwischen positiven und negativen Gefühlen haben und mit ihrem Leben zufriedener sind.
Warum sind ehrenamtlich Tätige glücklicher? Ehrenamt schafft erst mal Sinn. Sinnvolles tun. Ich mache etwas, was anderen hilft. Zudem wirkt es Stress in Zeiten persönlicher Krisen entgegen, ermöglicht soziale Interaktion, liefert soziale Unterstützung und schließlich erhöht es Selbstvertrauen. Ehrenamtlich machen Sie ja das, was Sie machen möchten. Dann sind Sie in so einer Art Positivschleife drin, die Sie nach vorne treibt.
Ehrenamt hat oft den Ruf, erst in der Rente möglich zu sein. Nehmen Sie die Freiwillige Feuerwehr, Malteser, Technisches Hilfswerk, Vereine, Sportvereine. Im Gegenteil, man sollte es parallel zum Beruf machen. Aber man sollte sich erst mal überlegen, wie man seine Zeit verwendet. Wir wissen aus der Glücksforschung, dass es sogenannte Glücksfaktoren gibt. An allererste Stelle stehen gelingende soziale Beziehungen. Durchweg. Egal ob privat, bei der Arbeit oder im Ehrenamt. Eine ehrenamtliche Tätigkeit kann auch einen wichtigen Ausgleich zur beruflichen Tätigkeit schaffen. Sie sind ja frei in der Wahl der Art ihres ehrenamtlichen Engagements. Und im Ruhestand, wenn mehr Zeit verfügbar ist, kann man dieses Engagement dann gezielt weiter ausbauen. Sie schaffen sich damit eine tragfähige Brücke in einen neuen Lebensabschnitt.
Und das schafft Sinn. Das ist vor allem im Alter wichtig, wenn bei vielen die Gefahr der Vereinsamung besteht. In Nürnberg habe ich auf einem Ehrenamtskongress mit einer 80-Jährigen gesprochen, die einmal wöchentlich Kindern vorliest. Sie wusste gar nicht, was passiert wäre, wenn sie das nicht gemacht hätte nach dem Tod ihres Mannes. Oft schließen Menschen ab und geraten in diese Einsamkeitsspirale.
Ist das Ehrenamt als solches unterschätzt? Ja, so ist es. Aus der Glücksforschung und der Psychologie wissen wir, dass das Ehrenamt viel zu unserem Glück, zu unserem subjektiven Wohlbefinden beitragen kann. Ehrenamt ist ein Gewinn fürs Leben. Wir wissen auch, dass Menschen, die zufrieden und glücklich sind, gesünder sind und eine höhere Lebenserwartung haben. Das macht zwischen fünf und zehn Jahren aus. Win-win also.
Der Trend geht aber eher zu einer individualisierten Gesellschaft. Ein Trend hin zu einer mehr individualisierten Gesellschaft ist problematisch. Menschen sind nämlich das sozialste Wesen auf der Erde. Vor ungefähr 400 00 Jahren wurde es nach und nach viel schwerer, Nahrungsmittel zu gewinnen. Es gab zwei Möglichkeiten für die Menschheit: entweder aussterben oder zusammenarbeiten. Die Menschen haben sich für Kooperation entschieden. Kooperation setzt Fairness voraus. Das Soziale, der Umgang mit anderen, spielt deshalb auch eine sehr große Rolle in unserem Leben. Wenn man früher aus der Gesellschaft ausgeschlossen wurde, war das das Todesurteil. Insofern ist dieses Soziale in uns verankert. Wenn ich mich aber nur auf mich selbst konzentriere, dann geht natürlich der soziale Bezug zu anderen Menschen verloren. Damit geht auch die wesentliche Quelle des Glücks verloren - gelingende soziale Beziehungen.
Gibt es noch Luft nach oben beim Engagement? Ich denke schon. Im Vergleich zu andern OECD-Ländern haben wir hier relativ niedrige Arbeitszeiten und viel Urlaub. Wir wissen andererseits aber auch, dass in Deutschland der durchschnittliche Fernsehkonsum bei etwa vier Stunden pro Tag liegt. An Zeitmangel dürfte es bei vielen also nicht liegen. Ehrenamtlich tätig zu sein heißt aktiv im Leben zu sein. Der Fernsehkonsum ist hingegen passiv. Er trägt wenig zu unserem Glück bei. Es besteht deshalb durchaus noch Luft nach oben für das Ehrenamt in Deutschland. Und mehr ehrenamtliches Engagement ist ein Gewinn für alle - im wahrsten Sinn des Wortes.