Lukas hat zwei Mamas, zwei Papas, vier Omas und vier Opas. Und an Weihnachten entsprechend viel Schokolade. Lukas lebt in einer Regenbogenfamilie. Seine Mamas sind lesbisch und seine Papas sind schwul. Vier Eltern also. Und genau so lautet der Titel des Dokumentarfilms von Filmemacherin Eva Maschke über ihren Bruder und seine ungewöhnliche Familie: "Vier werden Eltern". Im Sommer wird er in Arte laufen.
Thomas Maschke, 35, sitzt im Café Rido in der Freiburger Innenstadt. Vor ihm dampft ein Flammkuchen. Noch schnell etwas essen. In einer Stunde werden die Zuschauer in den Kinosaal des Friedrichsbaus strömen und an seinem Familienleben auf der Großleinwand teilnehmen. Sie werden Sebastian, seinen Freund, und die zwei Mütter Cindy und Josy kennenlernen. Das Grüne Kino hat den Filmabend organisiert. Das passt. Maschke arbeitet für die Grünen im Bundestag. Der Umzug von Köln in die Hauptstadt hat ihm ein Abenteuer beschert, dass er nicht mal ansatzweise vorausahnen konnte.
Vor fünf Jahren zog Thomas Maschke nach Berlin. Er war noch keine eineinhalb Monate dort, da traf er Sebastian. Die beiden Männer verliebten sich. Sie genossen ihre Zweisamkeit, gingen Händchen haltend durch den Park, kochten gemeinsam. Das, was Verliebte eben tun. Nach einigen Wochen weiht ihn Sebastian, 35, in seine Familienpläne ein: Zusammen mit einem lesbischen Pärchen wolle er ein Kind großziehen. Die Idee sei in engem Austausch mit Cindy und Josy entstanden.
Thomas Maschke lacht. "Ich war überrascht. Das war alles neu für mich: Dass Sebastian sich ein Kind wünschte, dass ich Vater werden könnte, dass zwei Frauen involviert sein würden - es war sehr viel Input", sagt der Politologe.
Wie die bürokratischen Hürden meistern, wie die gemeinsame Kindererziehung organisieren?
In den nächsten Wochen sprechen die beiden Männer viel über eine mögliche Elternschaft. Thomas gefällt der Gedanke zunehmend. Doch wie würden sie den Alltag organisieren, wie einen Konsens finden, wenn es um die Kindererziehung ging, wie die bürokratischen Hürden meistern? Und wollten die Frauen überhaupt einen weiteren Vater? Die beiden Pärchen verabreden sich. Politologe und Student in Westberlin treffen auf Kinderkrankenschwester und kaufmännische Angestellte aus Ostberlin.
Bei einem Abendessen lernen die Frauen Thomas kennen und finden ihn sympathisch. Er wirkt solide, offen, verlässlich. Doch reicht das, um gemeinsam ein Kind großzuziehen? Langsam nähern sich die Paare einander an, sprechen über ihre Vorstellungen von Erziehung, die Wohnsituation und ihre Rechte. Und schließlich steht der Plan: Sebastian würde Cindy per Becherchen-Methode ein Kind zeugen. Künstliche Befruchtung ohne Arzt. Die Hälfte der Woche soll der Nachwuchs bei den Vätern leben, die andere Hälfte bei den Müttern. Also zwei Wohnungen, zwei Pärchen, zwei Kinderzimmer.
"Man teilt sein Kind mit Menschen, die man nicht liebt"
Mehrere Wochen später. Cindy ist schwanger. Nach so viel Planung sollte das Abenteuer also losgehen. Alle sind aufgeregt, erzählen ihren Familien davon. Strampler werden gekauft. Bettchen aufgestellt. Namen gesucht. Wie soll der Kleine heißen? Lukas, Emilio? Oder doch lieber Hannes? Jeder darf zehn Namen aussuchen. Von 40 Namen kommen vier in die Endauswahl. Der Rest wird ausgeknobelt. Neun Monate später gibt Lukas seinen ersten Schrei von sich.
Die Eltern sind euphorisch, kreisen um den Kleinen wie Satelliten. Cindy stillt Lukas mehrere Wochen. Als die Stillzeit endet, will Sebastian sein Kind öfter sehen - es war so abgemacht. Die Mütter winden sich. "Man teilt sein Kind mit Menschen, die man nicht liebt", sagt Josy. Es ist ein harter, aber ehrlicher Satz. Die Paare sind Bekannte. Nicht mehr, nicht weniger. Sebastian bekommt Panik. Noch waren sie nicht auf dem Amt, noch hat er nicht das gemeinsame Sorgerecht. Thomas versucht, Sebastian zu beruhigen. Doch der reagiert empfindlich, glaubt, dass Thomas nur so ruhig ist, weil es nicht sein leiblicher Sohn ist. Es ist die erste Krise.
Nicht die eigenen Rechte, sondern das Wohl des Kindes im Blick behalten
In dieser Zeit wenden sich die Erwachsenen an das Regenbogenfamilienzentrum in Berlin. Die Beraterin kennt sich mit den Herausforderungen und Ängsten der Regenbogenfamilien aus. Sie sagt einen Satz, den heute alle als entscheidend bezeichnen. "Versuchen Sie nicht, sich durch verschiedene Rechte abzusichern, sondern behalten sie das Wohl des Kindes im Blick."
Doch warum überhaupt eine Regenbogenfamilie? Geht es nicht unkomplizierter? In Deutschland und in den meisten Ländern der Welt dürfen schwule Pärchen kein Kind adoptieren. Um gemeinsam ein Kind großzuziehen, muss einer der Männer ein Kind adoptieren und kann anschließend nachweisen, dass sein Lebensgefährte ebenso eine feste Bezugsperson ist.
Bei lesbischen Paaren läuft es ähnlich, mit dem Unterschied, dass sie kein Kind adoptieren müssen, sondern per künstlicher Befruchtung eigene Kinder austragen können und somit automatisch das Sorgerecht haben. Manchmal schließen sich schwule und lesbische Paare zusammen, um dem Kind den Kontakt zur leiblichen Mutter und zum leiblichen Vater zu ermöglichen.
Alle Beteiligten müssen sich erst einmal miteinander arrangieren
"Für schwule Männer ist es schwer, ein lesbisches Paar zu finden, das sich auf einen Vater einlässt", sagt Sebastian. Cindy und Josy wagen das Abenteuer. Sie vertrauen den Männern. Dass ihnen der Mutterinstinkt für kurze Zeit in die Quere kam, hat sie selbst überrascht. "In der ersten Nacht, in der Lukas bei seinen Papas übernachtet hat, war es echt schlimm für mich. Ich hab mir alle möglichen Fragen gestellt: Merken die überhaupt, wann was los ist?", sagt Josy.
Im Film brabbelt Lukas "Papi" und "Papa" vor sich hin, während er den Brei mampft, den Sebastian ihm verabreicht. Mit großen Augen schaut er seinen Vater an. Dann kiekst er und patscht mit der Hand auf den Tisch. Die beiden Männer schauen sich an, lächeln.
Nicht immer geht es so harmonisch zu. Da wird schon mal die Keksfrage gestellt. Wie hast du's mit den Vollkornkeksen? Im Film reicht Cindy Lukas einen Schokokeks, nach dem er sofort greift. Sebastian legt ihm einen Vollkornkeks daneben. Er ist gesundheitsbewusst und will den Frauen zeigen, dass Lukas die Vollkornkekse besser schmecken. Als Lukas den Schokokeks liegen lässt und nach dem Vollkornkeks greift, grinst Sebastian triumphierend. Cindy verdreht die Augen. Es ist wie in anderen Familien auch. Erziehungsmethoden, Essen, Freiheiten - man ist sich nicht immer einig.
"In der Kita haben sie am Anfang nicht verstanden, warum Lukas von vier verschiedenen Personen abgeholt wird", sagt Thomas Maschke
In einer anderen Szene im Film kniet Thomas vor seinem Sohn und zieht ihm die Schuhe an. "Und jetzt der nächste Stinkefuß", sagt er. Er küsst ihn und winkt ihn zum Abschied zu. Sebastian übernimmt jetzt und radelt den Kleinen in die Kita. Alles eingespielt. Sehen sich die Väter und die Mütter, umarmen sie sich, streichen sich über den Rücken. Es wirkt vertraut und freundschaftlich. "In der Kita haben sie am Anfang nicht verstanden, warum Lukas von vier verschiedenen Personen abgeholt wird", sagt Thomas. Die Neugier sei aber immer sehr offen gezeigt worden. Die Menschen hätten einfach viele Fragen. Er findet das okay.
Diese Erfahrung macht auch eine andere Regenbogenfamilie. Miriam van Buiren und Gabi Frenz sitzen in ihrem Wohnzimmer in der Freiburger Wiehre. Jakob rutscht mit einer Decke auf dem Boden herum. Thea malt Kreise auf ein Blatt Papier, das auf dem Holzesstisch liegt. "Die Menschen sind einfach neugierig, aber ich beantworte die Fragen gern", sagt Miriam. Sie arbeitet als Kinderärztin. Gabi als Krankenschwester. Als Miriam sich ein Kind wünschte, war Gabi schon 40. "Für mich war klar, dass Miriam die Kinder bekommen würde", sagt sie. Fehlten nur noch die Männer. Miriam war mit einem schwulen Arzt befreundet. Ihn und seinen Lebensgefährten luden die beiden ein und fragten sie gegen Mitte des Abendessens, ob sie sich vorstellen könnten per Becherchen-Methode ein Kind zu zeugen. Die beiden fielen aus allen Wolken. Gabi lacht, wenn sie daran zurückdenkt. "Es war uns natürlich klar, dass die das erst mal verdauen mussten", sagt sie. "Bis zur Schwangerschaft vergingen dann auch noch zweieinhalb Jahre". Es war ein Prozess. "Peter und Andreas machen ihre Sache großartig. Auch wenn es mal um kitzelige Themen geht, bewahren sie immer die Ruhe", sagt Miriam.
Was sagen eigentlich die Kinder zu ihrer Situation?
Und wie blickt der kleine Jakob auf seine Regenbogenfamilie? Verstehen die anderen Kinder, was das ist? "Nicht so wirklich", antwortet er. "Ich sage einfach immer, dass ich zwei Papas und zwei Mamas haben." Mit seinen zwei Vätern verreist Jakob oft. Er war schon in Südtirol und auf Elba. Am besten hat es ihm in Südafrika gefallen. Es hat Vorteile ein Regenbogenkind zu sein: doppelt so viele Reisen. Und sicher gibt es da auch ein paar Erziehungsschlupflöcher? Dinge, die bei den Mamas erlaubt sind, bei den Papas aber nicht. Und umgekehrt. "Ja", kräht Thea, "schlagen, beißen, treten". Gabi runzelt die Stirn: "Das dürft ihr bei uns auch nicht". Thea lacht und sagt: "Stimmt". Es ist eine beruhigende Vorstellung, dass der ganz normale Wahnsinn auch vor Regenbogenfamilien keinen Halt zu machen scheint.
Sowohl bei der Berliner als auch bei der Freiburger Regenbogenfamilie ist das Vertrauen zwischen den Papas und Mamas mit der Zeit gewachsen. So sehr, dass der kleine Berliner Lukas sogar noch eine kleine Schwester bekommen hat - Leni. Sie ist die leibliche Tochter von Josy und Thomas. Es gibt also zwei weitere biologische Eltern. Einmal im Monat treffen sie sich. Sie sitzen zu viert mit ihren Handys auf dem Sofa und tragen in den Kalender ein, wann Lukas und Leni wo sind: drei Tage bei den einen, drei bei den anderen. Einige Eltern in ihrem Umfeld reagieren neidisch. "Ihr habt es gut, ihr habt drei Tage für euch als Paar. Ich muss für sowas immer Tage im Voraus den Babysitter konsultieren." Solche Sätze hören die Paare öfter. Dann schauen sich Josy und Cindy, Thomas und Sebastian wissend an. Das Leben als Regenbogenfamilie birgt andere Herausforderungen.
Autor: Nadine Zeller
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