Moritz Jacobi

Journalist, Brandenburg (Havel), Brandenburg, Deutschland

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Artikel

Delitzscher Soldaten sterben bei Unfall auf A2: Lkw-Fahrer verurteilt

Delitzsch. Als der Hauptgefreite Robin Pfefferle und der Oberstabsgefreite Christoph Sauter am frühen Morgen des 26. April 2021 in ihren Unimog steigen, hält niemand für möglich, dass die beiden Soldaten aus der Feldwebel-Boldt-Kaserne die vor ihnen liegende Fahrt in einer Militär-Kolonne nicht überleben würden. Das Wetter ist prächtig, die Stimmung gut, so beschreiben es ihre Kameraden später im Zeugenstand.

Ziel des Konvois ist der Truppenübungsplatz bei Klietz (Sachsen-Anhalt), mit der gewählten Route über die A9 und A2 gute 230 Kilometer entfernt. Doch nach etwas über der Hälfte der Strecke, nur einen Kilometer vor der Anschlussstelle Lehnin, geschieht das Unfassbare. Obwohl an fünfzehnter Stelle, also ziemlich genau in der Mitte der langsamen Kolonne fahrend, werden Robin Pfefferle und Christoph Sauter in einen fatalen Auffahrunfall verwickelt.


Horror-Crash auf der A2: zwei Menschen sterben noch am Unfallort


Ungebremst fährt der etwa 19 Meter lange Sattelschlepper einer Spedition, der sich zuvor mit der überhöhten Geschwindigkeit von 90 km/h in den Konvoi eingefädelt hat, auf ihren rund 30 km/h langsameren Unimog auf. Die Wucht des Aufpralls schleudert den Unimog förmlich in die Luft – und mit dem Dach gegen den Stahlpfeiler eines Entfernungsschilds.

Die massive Verformung des Fahrzeugs und die schweren Verletzungen lassen den Insassen praktisch keine Überlebenschance. Bei Eintreffen des Rettungswagens kommt für die beiden jede Hilfe zu spät, die Bilder vom Horror-Crash gehen durch die Presse.


Amtsgericht Brandenburg verurteilt polnischen Lkw-Fahrer


Ein Jahr nach dem Unfall ist nun der Unfallverursacher im Amtsgericht Brandenburg rechtskräftig wegen fahrlässiger Tötung verurteilt worden: zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung sowie einer Geldstrafe von 2000 Euro zugunsten des Weißen Rings e. V. Der aus Polen stammende Artur K. war zum Zeitpunkt des Unfalls für eine Spedition in Schwanebeck (Sachsen-Anhalt) unterwegs und bereits seit 2007 als Berufskraftfahrer tätig.

Der heute 36-Jährige wird als versierter Lkw-Fahrer mit tadellosem Fahrverhalten beschrieben. Seine früheren Arbeitgeber, diverse Registerauszüge, sein Lenk- und Ruhezeitenprotokoll sowie die Fahrdaten seines Sattelschleppers belegen das. Allein seine Fahrlässigkeit und Unaufmerksamkeit in jenen entscheidenden Sekunden und Sekundenbruchteilen haben zwei Menschen das Leben gekostet.


Tempomat und Notbremsassistent mit Tücken


Die Untersuchungen des DEKRA-Gutachters Oliver Wagner lassen keinen Zweifel daran, dass der mit Tempomat fahrende Artur K. unmittelbar vor dem Aufprall zwar nach links auf die Mittelspur zog, jedoch nicht abbremste. Der aktivierte Notbremsassistent des Lkw schalte seine sogenannte Warnkaskade bei derartigem Aktivwerden des Fahrers wieder ab, anstatt eine Notbremsung einzuleiten, so der Sachverständige.

Die für diese besonders unglückliche Verkettung vieler Umstände naheliegende Frage „Was wäre, wenn …?“ beschäftigt auch die Nebenklägerschaft. Was können, sollen und dürfen Fahrassistenzsysteme leisten, um den Menschen zu schützen, ohne ihn zu beeinträchtigen? „Ich gehe davon aus, dass wenn der Fahrer nicht gelenkt und stattdessen das System automatisch gebremst hätte, dieser Unfall theoretisch hätte vermieden werden können“, so Oliver Wagner.

Angeklagter gesteht Fehlverhalten ein

Bedingt durch seinen damaligen Schockzustand kann Artur K. den Unfallhergang heute nicht mehr rekonstruieren: „Der Moment entzieht sich meiner Erinnerung.“ Denn der ledige Mann, der bei seinen Eltern lebt, erleidet noch am Unfallort einen Zusammenbruch und ist nach eigenen Angaben seelisch schwer mitgenommen. Seit einem Jahr ist er deswegen in psychologischer Behandlung.

Ihm zugute hält das Gericht, dass er sich als polnischer Staatsbürger dem Verfahren in Deutschland gestellt hat und seine Schuld gleich zu Beginn der Verhandlung vollumfänglich eingesteht. Artur K. gibt an, den Tempomat auf 90 km/h eingestellt zu haben. „Ich weiß, dass nur 80 km/h erlaubt sind, aber es gilt meist eine Toleranz von zehn Prozent. Damit habe ich in polizeilichen Kontrollen früher auch keine Probleme gehabt.“

Dennoch kann das Gericht nur das konkrete Vergehen der Fahrlässigkeit bestrafen, nicht aber die fatalen Folgen. „Es gibt immer wieder Verfahren, die mich auch nach 30 Jahren Berufserfahrung nicht kalt lassen“, so Staatsanwalt Gernot Remen. „Es wird hier letztendlich niemand zufriedengestellt werden können.“ Denn was sind zwei Menschenleben wert?


Lkw-Fahrer bittet um Vergebung


Den Übersetzungen seines Dolmetschers folgend, wirkt Artur K. grüblerisch, sackt immer tiefer in sich zusammen. Der Lkw-Fahrer ringt zeitweise um Fassung und bittet schlussendlich unter Tränen die Angehörigen um Vergebung – zum ersten Mal überhaupt. Auch auf ihm laste das Ereignis schwer. „Es bleibt mir nur, mich aufrichtig bei Ihnen zu entschuldigen.“

Im Saal anwesend sind neben Vertretern der Bundeswehr auch die Eltern von Robin Pfefferle, die gemeinsam mit den Hinterbliebenen von Christoph Sauter die Nebenklägerschaft bilden. Für ihren Verlust kann das deutsche Strafrecht keine Wiedergutmachung anbieten. Einen Tag nach der Verhandlung, am Dienstag den 11. Mai, wäre Robin Pfefferle 22 Jahre alt geworden.

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