Das Wellblechtor zur Aydin Döner Produktion GmbH wird erst auf Nachfrage aufgesummt, genau wie die ganze Geschichte erst auf Nachfrage angebahnt wurde. Die Skepsis kroch beim ersten Telefonat durch die Leitung.
Geht es um Gammelfleisch? Die Branche ist misstrauisch geworden, viele Produzenten in und um Berlin sagten ab. Aber Aydin stimmte zu. Es schickt sich im Massenkonsumzeitalter, mündiger Verbraucher zu sein. Woher stammt mein T-Shirt, die Tomate in meinem Salat? Das Nachvollziehbarkeitsbedürfnis will befriedigt werden, und der Weg des Dönerspießes präzisiert.
Hanifi Aydin, der im Folgenden Herr Aydin genannt wird, weil sein Auftreten dazu veranlasst, empfängt im Geschäftsführerbüro. Große Hände, kleine Augen, ruhige Sätze. Blaue Cordhose zu grauem Strick. Kein streitbarer Dönerkönig wie Remzi Kaplan, eher ein bedächtiger Mittelständler, bei dem Geschäft von Schaffen kommt. West-Berliner und Ostanatole zugleich. 1992 gründete Herr Aydin seine Firma, ohne Studium, Ökonomie brachte er sich selbst bei. Mittlerweile werden seine Spieße nach Prag, Barcelona und in die Mongolei geliefert. Bisschen Tellerwäschermythos, bisschen Gastarbeiterkindromantik, das ist Herr Aydins Geschichte, und sie klingt gut. Er sagt: „Döner ist nicht wie McDonalds. Döner ist Tradition." Frau Merkel habe der Döner gut geschmeckt, sagt Herr Aydin
In der Türkei gab es Kebab, zu deutsch: drehendes Fleisch, einst nur einmal in der Woche, den feinen Leuten als Delikatesse auf dem Teller serviert in den osmanischen Palästen. Helmut von Moltke, Militärberater des Osmanischen Reiches, schrieb 1836 in sein Tagebuch: „Dann erschien auf einer hölzernen Scheibe der Kiebab oder kleine Stückchen Hammelfleisch, am Spieß gebraten und in Brotteig eingewickelt, ein sehr gutes, schmackhaftes Gericht." Tradition: Im Büro von Herrn Aydin stehen ein anatolischer Pflug und ein Foto des Großvaters. Erinnerung pflegen; wissen, woher man kommt. Und woher kommt der Döner, Herr Aydin?
Beim Übergang in die Produktionshalle wird die Rezeption gequert, wo gerahmte Bilder an der Wand die Bundeskanzlerin zeigen, wie sie Fleisch vom Spieß säbelt. Der Frau Merkel habe der Döner gut geschmeckt, sagt der Herr Aydin. Dass die Politik mit der Branche posiert, zeigt: Längst ist der Döner der kleinste kulinarische Nenner der Republik, deutscher als die Currywurst, auf ihn können sich alle einigen, Anzugträger wie Punker. 16 000 Dönerbuden in Deutschland verkaufen pro Tag 600 Tonnen Fleisch, die Dönerindustrie erwirtschaftet einen Jahresumsatz von 3,5 Milliarden Euro. Zum Vergleich: McDonalds macht vier Milliarden im Jahr. Der Döner stellt 60 000 Arbeitsplätze.
Natürlich spielt diese Reportage in Berlin. Gut 1300 Dönerbuden gibt es hier, kein Berliner braucht mehr als fünf Minuten zum Spieß. Längst gehört der Imbiss zum infrastrukturellen Versorgungsstandard. In Berlin residiert der Verein der europäischen Dönerhersteller, in Berlin steigt die Branchenmesse Döga, in Berlin wird das Dönerquartett verlegt. Am Bahnhof Zoo soll Kadir Nurman den Döner erfunden haben. Fleisch im Brot, damals ein Experiment, heute ein Boom. Nurman starb vor einem Jahr mit 80. Er hatte sich sein Rezept nie patentieren lassen.
Adnan Iba trägt einen weißen Kittel, ausgelatschte Loafer, eine Haube, und der Döner sieht noch nicht aus wie ein Döner. Iba sichtet die Kisten mit dem Hack, die aus Schlachtbetrieben eintreffen. Berg um Berg wuchtet er in einen Fleischwolf, der doppelt so hoch ist wie er selbst und fünfmal so breit. Iba sagt nicht viel. Die Sprache, die er am Wolf gelernt hat, ist das Schweigen. 250 Kilo werden von der Maschine einstündig zerkleinert - dann kippt Iba die Masse in einen Wagen, der an die Loren unter Tage erinnert, und schiebt sie durch die Flügeltür. Hier stehen Kasim Arayici, Cafer Attas und Faruk Kanaat, im Lagerhallenneon, im Großküchenkachelweiß. Im Fleisch. Kein Blabla, ein auf null reduziertes Mienenspiel. Mittelalte Anpacker mit linealvermessenem Schnauz, die einmal kurz aufschauen, wenn man eintritt, und danach lange nicht mehr. Maloche in Kants Tradition der ungeselligen Geselligkeit. In ihrer Mitte: ein großer, grauer Tisch. Was folgt, ist fast schon Kunst, vielleicht arbeiten die Männer auch deshalb in sakraler Stille.
Um die Dönerstange schichtet Arayici das gefleischwolfte Hack im Wechsel mit unzerkleinertem Kalbfleisch, das er einer anderen Kiste entnimmt und in Streifen messert, Quer- und Hochrippe. Er schneidet das Fett weg, mehr als 20 Prozent Anteil sollte nie sein. Ein Klumpen aus der Lore, ein Streifen aus der Kiste. Lore, Kiste, Lore, Kiste. Man kann sich verlieren in dieser rhythmisierten Routine, in der Art, wie zwischen Kanaats behandschuhten Händen eine Skulptur wächst. Gunther von Hagens hätte seine helle Freude an dem Job. Dazu das Patsch und Paff der Hände, die den Spieß dauerdrehen und festklopfen, ein Soundteppich wie in Scorseses Raging Bull. Das Tempo macht Staunen, der Mensch als Maschine. Stühle gibt es keine in dem Raum, jeder Handgriff steht. Die Lüftung verweht die Ausdünstungen, trotzdem kriecht der Geruch in die Kittel der drei, die, mundschutztragend, aussehen wie Ärzte - und wie sie am Fleische herumdoktorn, passt der Vergleich fast. Götter in Schweiß. Das täglich Fleisch ist ihr täglich Brot.
Fortsetzung und Original: http://www.tagesspiegel.de/berlin/berliner-tuerkisches-fast-food-wie-entsteht-eigentlich-ein-doener/...