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Sicherheit von Hamburg: Wer schützt uns?

An einem Wochenende im August sitzen 15 Männer und Frauen in einem Seminarraum der Reichspräsident-Ebert-Kaserne in Iserbrook und schauen einen Film über den Krieg. Sie tragen praktische Outdoorkleidung, Fleecejacken und Karohemden, und schauen dabei zu, wie auf dem Monitor Soldaten mit Sturmgewehren zu einem Gebäude am Waldrand rennen, hineinstürmen und das Haus sichern. Das sind keine Szenen aus der - es handelt sich um einen Werbefilm. Gezeigt wird er von der Heimatschutzkompanie Hamburg, die den Zuschauerinnen und Zuschauern damit zweierlei verdeutlichen will: Solche Szenen des Häuserkampfes sind, jedenfalls theoretisch, auch in Hamburg denkbar. Und die Soldaten in dem Film, die mit Helmen, Schutzwesten und Gewehren ihre Heimat verteidigen: Das könntet ihr sein!

Die Hamburger Heimatschutzkompanie hat ein Problem. Sie soll im Ernstfall dabei helfen, die Hansestadt zu schützen. "Territoriale Verteidigung" heißt das bei der Bundeswehr. Lange Zeit schien die Vorstellung absurd, dass eines Tages wieder Panzer auf Hamburg zurollen könnten wie zuletzt im Zweiten Weltkrieg oder dass Saboteure und feindliche Agenten die Kraftwerke oder die Wasserversorgung Hamburgs angreifen. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar ist dieses Szenario zwar immer noch unwahrscheinlich, aber nicht mehr völlig undenkbar. Damit wird ein Problem sichtbar, das bislang so gut wie niemanden interessiert hat: Es gibt kaum Soldatinnen und Soldaten, die Hamburg im Ernstfall verteidigen könnten. Von den 144 Stellen der Heimatschutzkompanie sind zurzeit nur 87 besetzt. Deshalb sucht die Kompanie nach zusätzlichen Reservisten, die zwar in ihrem Alltag einem zivilen Beruf nachgehen, aber militärisch ausgebildet sind und ehrenamtlich für den Verteidigungsfall bereitstehen.

Drei der 15 Interessenten, die an diesem Tag in die Reichspräsident-Ebert-Kaserne gekommen sind, sind um die 60 Jahre alt, andere sind Mitte 40, nur wenige in den Zwanzigern. Die Jüngeren haben meist erst vor kurzer Zeit die Bundeswehr verlassen. Fallschirmjäger sind darunter, auch eine frühere Militärpolizistin, die als Sanitäterin gedient hat. Die Älteren kennen die Truppe noch aus Zeiten des Kalten Kriegs. Mit den Waffen, die seither in der Armee eingeführt wurden, können sie nicht umgehen, niemand hat sie daran ausgebildet. "Das kann man alles lernen", sagt ein Oberstleutnant, der ihnen Mut machen will.


Fragt man die Interessenten, warum sie hier sind, dann erzählen die meisten, dass sie die Kameradschaft vermissen, die sie von früher kennen. Ein Mann will wieder schießen lernen, seine Zeit an der Waffe sei lange her. Viele sagen, dass sie Patrioten seien. Keiner darf straffällig geworden sein, das polizeiliche Führungszeugnis wird überprüft, stichprobenartig - am Telefon und in den sozialen Netzwerken - auch ihre Gesinnung.

Der Oberstleutnant stellt die Aufgaben vor: Die Heimatschutzkompanie braucht Leute, die fit genug sind, um mit Sturmgewehren ins Gefecht zu ziehen und dabei schwere Rucksäcke und Schutzwesten zu tragen. "Wir beherrschen den infanteristischen Kampf", sagt der Oberstleutnant. Er meint damit unter anderem das Stürmen von Häusern und das Heranarbeiten an den Gegner durch Wald. Als Waffen stehen den Heimatschützern Pistolen, automatische Gewehre und sogar Panzerfäuste zur Verfügung, mit denen feindliche Militärfahrzeuge abgeschossen werden können. Mindestens einmal im Monat trainiert die Kompanie. Jedenfalls so gut es geht - denn nie können alle, schließlich haben die Heimatschützer noch zivile Berufe und die meisten auch Familie. Bei der Übung im August waren es gerade einmal 27 Teilnehmer.

Hamburg: Strategisch bedeutend, aber schlecht verteidigt

Der Oberstleutnant im Seminarraum sagt, früher habe es eine 21.000 Mann starke Kampftruppe in Hamburg gegeben. Darunter verstehen Militärs Soldaten, die dafür da sind, ins Gefecht zu ziehen, etwa Panzerbesatzungen, Jäger oder Grenadiere. Nicht zur Kampftruppe zählen das Sanitätswesen, Logistiker, Mechaniker sowie die größten Teile der Marine und der . "Was meint ihr, wie viele gibt es heute in der Kampftruppe?", fragt der Oberstleutnant in den Raum. "Wenige", lautet eine Antwort. "Null", sagt der Offizier: "Wir haben keine Kampftruppe, die Hamburg verteidigt."

Zwar gibt es in Hamburg zwei Bildungseinrichtungen der Bundeswehr - die Führungsakademie in Blankenese, wo künftige Generale ausgebildet werden, und die Helmut-Schmidt-Universität in Jenfeld, wo der Offiziersnachwuchs lernt. Doch sie alle gehören zu Einheiten, die außerhalb Hamburgs stationiert sind, und würden im Verteidigungsfall auch zu ihnen geschickt werden. Ihre Aufgabe ist nicht, die Stadt zu verteidigen. Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundeswehrkrankenhauses oder der Marineschifffahrtleitung in Hamburg kommen für den Verteidigungsfall eher nicht infrage. Sie alle haben zwar eine militärische Grundausbildung hinter sich, sind aber keine trainierten Kampftruppen.

Kapitän zur See Michael Giss ist der Kommandeur des Landeskommandos, dem die Heimatschutzkompanie untersteht. Ab dem 1. Oktober ist er dem neuen Territorialen Führungskommando der Bundeswehr unterstellt, das für die "operative Führung nationaler Kräfte" zuständig ist. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) betonte Mitte September auf einer Tagung in Berlin, zu der jedes Jahr so gut wie alle Generale zusammenkommen, dass die Hauptaufgabe der Bundeswehr sei, Deutschland und das Gebiet der zu schützen. Keinen Zentimeter des Bündnisgebietes sei er bereit aufzugeben.

Kapitän Giss sagt: "Hamburg hat eine große strategische Bedeutung. Mit dem Hafen, dem Flughafen und Bahnverbindungen ist die Stadt eine bedeutende Logistikdrehscheibe. Hier gibt es viele Möglichkeiten, die Elbe zu überqueren. Dazu kommen die Autobahnanschlüsse und der Elbtunnel. Auch militärisch gesehen hat Hamburg deswegen einen hohen Stellenwert."

Falls die Nato den Spannungsfall auslöst und sich der Konflikt mit Russland weiter verschärft, könnte Hamburg für den Nachschub der Allianz in Osteuropa sehr wichtig werden. Wer schützt die Stadt in dieser exponierten Lage? "Wir sind da noch im Aufbau, und wir brauchen dringend weitere Kräfte", sagt Kapitän Giss. "Ich hoffe sehr, dass weitere Reservisten dazukommen."

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