Miriam Khan

Online-Redakteurin, Hamburg

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Warum es so wichtig ist, wer in der EU zukünftig welchen Posten besetzt

Vor wenigen Wochen haben die Bürger in Europa ein neues Parlament gewählt. Nun geht es darum, wer in Brüssel welchen Job übernimmt – gesucht wird nicht nur ein neuer Kommissionspräsident. Wir erklären, welche Topjobs vakant sind und welchen Einfluss sie auf die EU haben.

Migration, Klimawandel, Nationalismus: Für die Europäische Union werden die kommenden Monate nicht leicht. Im Gegenteil: 28 Mitgliedsstaaten - 28 Meinungen; daran dürfte der Austritt Großbritanniens wenig ändern. Kompromisse zu finden: die Königsdisziplin. Wie diese dann umgesetzt werden und wohin die EU generell steuert, hängt maßgeblich von fünf wichtigen Entscheidungsträgern ab. Nach der Europawahl Ende Mai müssen diese Topjobs in der EU nun neu besetzt werden.

Gesucht werden ein neuer Kommissionspräsident, ein Ratspräsident, ein Parlamentspräsident, ein Außenbeauftragter und ein Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB). Bei der Vergabe der Posten geht es nicht nur um Einfluss, sondern auch um Repräsentanz. Im Idealfall herrscht dabei eine Ausgewogenheit zwischen Nord und Süd sowie Ost und West. Auch das Gleichgewicht zwischen armen und reichen Ländern und zwischen den einzelnen Parteien muss beachtet werden. Ebenfalls wünschenswert: ein faires Geschlechterverhältnis.

Nicht alle Kriterien werden derzeit umgesetzt: Drei von fünf Spitzenposten sind mit Italienern besetzt, nur einen hat eine Frau inne. Das Postengeschacher ist bereits in vollem Gange. Ein Überblick.

Der EU-Kommissionspräsident

Das zentrale Organ der Europäischen Union ist die EU-Kommission. Sie verkörpert das, was in den Souveränstaaten die Regierung ist. 32.000 Beamte sind dort vertreten, die von den Mitgliedsstaaten nominiert werden. Die Kommissare bereiten Gesetzesvorhaben und Regelungen vor, die dann vom EU-Parlament und den Mitgliedsstaaten beschlossen werden. Als „Hüterin der Verträge" überwacht sie, ob die Mitglieder das Europarecht einhalten und reicht gegebenenfalls Klage beim Europäischen Gerichtshof ein, wenn dem nicht so ist.

Chef der EU-Kommission ist der Kommissionspräsident. Er definiert die Leitplanken für die Arbeit der Kommissare und sorgt für effiziente Abläufe. Er ist das Oberhaupt der EU-Exekutive und hat damit die meisten Gestaltungsmöglichkeiten in der EU. Sein Job ist vergleichbar mit dem Amt eines Regierungschefs oder in Deutschland des Bundeskanzlers. Im Moment hat Jean-Claude Juncker diesen Posten inne, er gilt als mächtigster Mann der EU. Der Luxemburger war 2014 als erster Spitzenkandidat einer Partei bei der Europawahl Kommissionschef geworden, sein Mandat endet nach fünf Jahren Ende Oktober 2019. Für seine Nachfolge haben sich mehrere Bewerber in Stellung gebracht. Als aussichtsreichste gelten Manfred Weber und Frans Timmermanns.

Weber, 47, geht für die Fraktion der Europäischen Volksparteien (EVP) ins Rennen. Der Niederbayer ist CSU-Mitglied und wird unter anderem von Kanzlerin Merkel unterstützt. Timmermanns, 58, hat bereits Erfahrung an der Spitze der EU-Kommission: Seit knapp fünf Jahren ist der deren Vizechef. Der Niederländer ist Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten (SPE).

Zur Geheimfavoritin hat sich in den letzten Tagen Margrethe Vestager aus Dänemark entwickelt. Sie ist die stärkste Kandidatin der Liberalen (ALDE) und wird unter anderem von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron unterstützt. Daneben rechnen sich auch Ska Keller ( Deutschland) und Bas Eickhout (Niederlande) für die Grünen/EFA Chancen aus. Für die Linksfraktion tritt Nico Cué aus Belgien zusammen mit der Slowenin Violeta Tomič an. Die Konservativen (EKR) schicken den Tschechen Jan Zahradil ins Rennen.

Der EU-Ratspräsident

Im EU-Rat kommen die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer zusammen, für Deutschland ist dies Kanzlerin Merkel. Der EU-Rat fungiert innerhalb der Staatengemeinschaft als übergeordnete Institution ohne Mitbestimmungsrecht bei der Gesetzgebung. Trotzdem spielt das Gremium eine große Rolle: Bei wichtigen politischen Themen versuchen die Ratsmitglieder, Kompromisse zwischen den Mitgliedstaaten zu finden. Außerdem geben sie grundlegende Impulse für die weitere Entwicklung der Union. Meist geschieht das auf den sogenannten EU-Gipfeln.

Chef des EU-Rats ist der Ratspräsident. Er wird alle zweieinhalb Jahre gewählt und darf ansonsten kein nationales politisches Amt innehaben. Zu seinen Aufgaben zählt es, für kontinuierlich produktive Arbeit im Rat zu sorgen, bei Konflikten zu vermitteln und Kompromisse zu erarbeiten. Der Ratspräsident vertritt die EU zusammen mit dem Kommissionspräsident nach außen und ist in dieser Funktion entscheidend mitverantwortlich, wie die Union wahrgenommen wird und wofür sie steht. Im Moment hat der polnische Ex-Regierungschef Donald Tusk dieses Amt inne.

Der neue Ratspräsident soll im Dezember sein Amt antreten. Hinter vorgehaltener Hand wurde Angela Merkel bereits als heiße Kandidatin für die Tusk-Nachfolge gehandelt. Sie hat die Spekulationen jedoch kürzlich zurückgewiesen - ebenso wie der niederländische Regierungschef Mark Rutte. Weitere Kandidaten haben sich bislang noch nicht in Stellung gebracht.

Der Präsident des EU-Parlaments

Im EU-Parlament kommen die Abgeordneten aus den einzelnen Mitgliedsstaaten zusammen. Sie werden alle fünf Jahre in der sogenannten Europawahl von den Bürgern der EU gewählt. Damit ist das Europäische Parlament das einzige direkt gewählte Organ der EU.

Und noch eine Besonderheit gibt es: Das EU-Parlament ist die einzige supranationale Institution weltweit, die direkt von Bürgern unterschiedlicher Nationalitäten gewählt wird.

Jedes Mal, wenn ein neues EU-Gesetz erlassen werden soll, muss das Parlament befragt werden. Erst wenn die Mehrheit der Abgeordneten zustimmt, kann ein Gesetz in Kraft treten. Das EU-Parlament ist außerdem für den gemeinsamen Haushalt zuständig - also für die Antwort auf die Frage: Welches Vorhaben bekommt wie viel Geld? Zuletzt war der EU-Haushalt rund 160 Milliarden Euro schwer. Wer dem EU-Parlament vorsteht, bestimmt also maßgeblich mit, welche konkreten Maßnahmen die EU umsetzt und vorantreibt.

Derzeit führt der konservative Italiener Antonio Tajani die Abgeordnetenkammer, er folgte 2017 auf Martin Schulz (SPD). Seine Amtszeit endet nach zweieinhalb Jahren im Juli. Wer sein Nachfolger wird, ist derzeit noch unklar. Die Entscheidung dürfte maßgeblich davon abhängen, wer die anderen EU-Jobs besetzt, vor allem den Posten des Kommissionschefs.

Der EU-Außenbeauftragte

Der offizielle Titel dieser Funktion lautet "Hoher Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik", ist aber für den täglichen Sprachgebrauch viel zu sperrig. Daher die Verkürzung zu "Außenbeauftragter". Dieser Job ist der einzige EU-Führungsposten, der im Moment von einer Frau besetzt ist: Federica Mogherini aus Italien kümmert sich um alle auswärtigen Angelegenheiten der Union und fungiert damit als eine Art Außenministerin.

In dieser Funktion vertritt sie die Staatengemeinschaft gegenüber anderen Ländern und Institutionen. So verhandelte sie unter anderem mit dem Iran über den Atomdeal, forderte einen stärkeren Militäreinsatz gegen Schlepper im Mittelmeer und koordiniert die Zusammenarbeit mit der Türkei in Sachen Flüchtlingsfrage.

Mogherinis Amtszeit endet nun nach fünf Jahren. Im Gespräch für ihre Nachfolge ist unter anderem Frans Timmermanns - falls er nicht Kommissionspräsident wird.

Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB)

Die EZB bestimmt die Geld- und Zinspolitik in der Eurozone. Dass ihr Chef-Posten gleichzeitig mit den anderen vier vakant ist, kommt nur alle 40 Jahre vor. Grund: Der EZB-Chef wird nur einmal in acht Jahren gewählt.

Das Hauptziel der EZB ist die Gewährleistung der Stabilität des Preisniveaus in der Eurozone. Dabei arbeitet die Bank eng mit den Wirtschaftspolitikern der EU zusammen, um das Niveau von Beschäftigung und Wachstum hochzuhalten. Der EZB-Chef ist maßgeblich dafür verantwortlich, ob die Zinsen in der Eurozone in den kommenden Jahren steigen oder fallen - damit wirkt sich die Entscheidung des EZB-Chefs unmittelbar auf unser aller Geldbeutel aus.

Die Rolle der EZB wurde vor allem wichtig während und nach der Finanzkrise 2008, weil die Bank mit einer Nullzinspolitik und dem massiven Kauf von Staatsanleihen dafür sorgte, dass in der Klemme steckende Euro-Länder sich weiter finanzieren konnten. Dabei machte vor allem der Satz des immer noch amtierenden EZB-Chefs Mario Draghi Schlagzeilen, man werde, "tun was immer nötig ist", um den Euro zu retten. Damit nahm er Spekulanten und Investoren auf einen Schlag den Wind aus den Segeln.

Seine Nachfolge könnte der Präsident der Bundesbank antreten, Jens Weidmann. Ebenfalls im Gespräch sind der niederländische Zentralbank-Chef Klaas Knot und der ehemalige Chef der finnischen Notenbank, Erkki Liikanen. Aus Frankreich hört man zwei weitere Namen: Christine Lagarde, derzeit Chefin des Internationalen Währungsfonds IWF, und François Villeroy de Galhau, Chef der französischen Nationalbank.

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