Ratlos steht Christian Feder vor den rappelvollen Umzugskisten. „Ich überlege gerade, wo ich die Brüste hab." Er bückt sich, kramt in einem der Kartons. Ein Ballkleid aus schwarzem Tüll kommt zum Vorschein. „Okay, hier schon mal nicht", sagt er und widmet sich der nächsten Kiste.
Vor einer Woche ist der 27-Jährige umgezogen. Die neue Bleibe, eine Dreizimmerwohnung auf St. Pauli, liegt nur fünf Minuten Fußweg von seinem Arbeitsplatz entfernt. Feder arbeitet im Schmidts Tivoli. Er sortiert die Post, beantwortet Mails, nimmt Anrufe entgegen. Tagsüber. Nach Feierabend wird aus Christian Feder, dem Büromitarbeiter, „Fanny Funtastic", eine stadtbekannte Dragqueen.
Die Brüste hat Feder im Kistenchaos nicht gefunden, dafür ein gemustertes Minikleid. „Scharf, oder?", sagt er und hält es sich an den Körper. Der Saum reicht gerade zwei Handbreit über den Hüftknochen. „Ich glaub, das zieh ich heute an." Der bunte Fummel wandert in eine Stofftasche, zusammen mit einem Paar goldener Glitzer-High-Heels.
Mit seinem Equipment macht sich Feder auf den Weg zum St. Pauli-Museum. Dort ist er nicht nur im Vorstand, sondern auch „die Haus-und-Hof-Transe", sagt er und grinst. In dieser Funktion will er dafür sorgen, dass Touristen auch zu späterer Stunde den Weg in die Ausstellung finden.
Im ersten Stock des Museums befindet sich die Garderobe. Dort zieht Feder jetzt sein T-Shirt aus und reibt Rasierschaum auf seine Brust. Mit sechs, sieben Rasierzügen entfernt er die dunklen Stoppeln. Als Nächstes schlüpft er in einen schmucklosen schwarzen BH, Größe 75B. Die Körbchen stehen oben ab. Feder greift unter den Tisch und holt seinen Schminkkoffer hervor. Da sind sie ja, die gesuchten „Brüste": zwei mit Nylonstrümpfen überzogene Badeschwämme, die er als Füllmaterial braucht.
Danach holt er mehrere Dutzend Pinsel, Tuben und Döschen aus seinem Koffer, dazu Babypuder, einen Fächer und einen Prittstift. Damit streicht er großzügig über beide Augenbrauen. „So werden sie schön glatt und ich kann sie gut wegschminken", erklärt er. Mit dem Fächer wedelt er den Kleber trocken. Drei Mal wiederholt er diese Prozedur, dann pudert er das Ganze mit Baby-Puder ab.
Zwei Zentimeter über der weggeschminkten Augenbraue zieht er eine dunkle Linie, die „Transen-Braue", am Wimpernkranz entlang den Lidstrich, dick wie bei Brigitte Bardot. Den Zwischenraum füllt er mit rosafarbenem Lidschatten. Routiniert klebt er an beide Augenlider falsche Wimpern. Einmal Probeklimpern - passt!
In Hoch-Zeiten, zum Beispiel in der Weihnachtsmarkt-Saison, verwandelt er sich jeden Tag in „Fanny Funtastic", denn dann gibt es viel zu kobern. Ansonsten zwei, drei Mal im Monat, meist am Wochenende. Nicht weil er muss, sondern weil er will. Sein Alter Ego mache es ihm möglich, einen bestimmten Teil seiner Persönlichkeit auszuleben, sagt Feder. „Als Schwuler bin ich naturgemäß ein bisschen tuntig. Im Alltag versuche ich das zurückzuhalten - aber sobald ich Fanny bin, kann ich es voll auskosten."
Jetzt setzt Feder noch eine blonde Afro-Perücke auf und verschwindet in der Toilette. Zehn Minuten und vier Strumpfhosen später kommt er zurück. „Je mehr Nylon, desto glatter wirken die Beine", erklärt er. Dann fischt er das bunte Kleid aus der Stofftasche und streift es sich über. Abgeschlossen sei die Verwandlung aber erst mit den Schuhen, sagt Feder, „erst dann bin ich Fanny." Er steigt in seine goldenen High Heels, wirft einen prüfenden Blick in den Spiegel - ein zufriedenes Lächeln macht sich auf dem Gesicht breit. Jetzt kann gekobert werden.
„Ey ihr zwei, wie wär's mit bisschen Kultur am Freitagabend", ruft Feder alias Fanny zwei vorbeilaufenden Damen zu. Die bleiben zwar für ein kurzes Gespräch stehen, ins Museum möchten sie aber nicht.
20 Minuten steht er nun schon vor der Tür des Museums, hat bislang nur ein Pärchen erfolgreich angelockt. Woran liegt's? „Die meisten Leute denken, ich wär 'ne Nutte", sagt er trocken und bläst den Rauch einer Zigarette in die Hamburger Nacht. „Egal." Feder macht das schließlich nicht für andere. Dann wirft er den abgebrannten Zigarettenstummel auf den Bordstein und verschwindet im Museum.