Das Einzige, was Jonathan Petzold in Bereich F der großen Lagerhalle findet, sind Windeln. Stapelweise Windeln. Die kann der 27-Jährige gerade gar nicht gebrauchen. Er ist auf der Suche nach Feuchttüchern. „Die müssen hier irgendwo dazwischen sein", sagt er. Konzentriert nimmt er die mit Plastikfolie umwickelten Windelberge auseinander. Schließlich das Erfolgserlebnis: In der Spendenlieferung einer Hamburger Drogeriekette findet Petzold, was er sucht.
15 Packungen Feuchttücher wandern in den Gitterwagen, der neben den Paletten steht. Dort stapeln sich schon zig Umzugskartons voll mit Klamotten. Kinderpullover, Größe 110 bis 146. Lange Hosen, Größe S. Schneeanzüge, Größe 80 bis 104. „Ich glaube, wir haben alles", sagt Petzold, rückt die Kartons zurecht und schiebt den Wagen in Richtung Verladestelle.
Hier, in einer ausrangierten Hermes-Lagerhalle in Bramfeld, befindet sich Deutschlands größte Kleiderkammer. Seit dem Auszug aus den Messehallen, dem ursprünglichen Standort der Initiative, lagern hier Hunderte Paletten Kleidung, Schuhe, Kosmetik- und Hygieneartikel. Alles Spenden, von Privatleuten und Unternehmen. Verwaltet wird das Ganze von „Hanseatic Help", einem gemeinnützigen Verein, der aus den Messehallen-Helfern entstanden ist.
Doch die Arbeit der täglich rund 60 bis 70 Freiwilligen hat sich verändert: „Wir können zurzeit weder Spenden annehmen noch direkt an Flüchtlinge ausgeben", erklärt Petzold, „dafür fehlt uns einfach der Platz." Der neue Standort ist 2000 Quadratmeter groß. In den Messehallen waren es 11000.
Deswegen sei man jetzt dazu übergegangen, anderen Kleiderkammern zuzuarbeiten. „Wir versorgen etwa 100 Einrichtungen in ganz Hamburg, Flüchtlingsunterkünfte, Obdachlosenheime, Frauenhäuser", erklärt der 27-Jährige. Etwa 30 bis 50 Bestellungen gehen täglich ein.
Dafür haben die Helfer ihr eigenes Computersystem entwickelt: Jeder einzelne Karton in der Bramfelder Lagerhalle trägt einen QR-Code und ist im System vermerkt. Petzold und seine Kollegen wissen, in welchem Bereich der Halle er steht und was drin ist.
Wenn die Bestellung zusammengesucht ist, wird sie ausgeliefert. Das alles leisten die Helfer freiwillig - ohne einen Cent dafür zu bekommen. „Es ist das Richtige, was wir tun", sagt Petzold. Diese Gewissheit motiviere ihn, regelmäßig in der Kleiderkammer mit anzupacken.
Jonathan Petzold, der „nebenbei gerade seine Bachelorarbeit schreibt", wie er sagt, verbringt etwa 30 Stunden pro Woche in der Bramfelder Lagerhalle. Ungefähr genauso viel wie sein Kollege Helge Weigand. Der schnappt sich jetzt Petzolds Gitterwagen und manövriert ihn auf einen Laster, auf dem schon drei andere Gitterwagen sowie ein Dutzend Paletten voll mit Kartons stehen - die Bestellungen für drei Hamburger Flüchtlingsunterkünfte. Die Männer nicken sich zu, dann schwingt sich Weigand hinters Lenkrad und fährt los. Die Tour führt in die Schnackenburgallee, nach Osdorf und nach Eidelstedt. Auch der Lkw samt Sprit finanziert sich über Spenden.
„Ich kann hier mit tollen Menschen zusammenarbeiten", erklärt Weigand sein Engagement. „Mit Menschen, die ich so auf der Straße wahrscheinlich niemals kennengelernt hätte." Der 47-Jährige schweigt kurz, überlegt. „Außerdem bin ich Teil des größten Hilfsprojekts der Nachkriegszeit", sagt er schließlich. „Das macht mich schon stolz."