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Gewalttat in Sinsheim: Helfen schärfere Strafen gegen Jugendgewalt?

Nach der Tötung eines 13-Jährigen ist eine Diskussion um den Umgang mit jungen Straftätern entbrannt. Die Deutsche Polizeigewerkschaft forderte eine Zwangsunterbringung straffälliger Kinder. Psychologen und Pädagogen halten die Strafen für ausreichend.

Nach der Tötung eines 13-Jährigen im baden-württembergischen Sinsheim (Rhein-Neckar-Kreis) ist der 14-Jährige mutmaßliche Täter unter Mordverdacht in Untersuchungshaft genommen worden. Der Jugendliche soll ihn vermutlich aus Eifersucht getötet haben. Der 14-Jährige war der Polizei bereits durch eine andere Gewalttat aufgefallen.

Ab wann sind Jugendliche strafmündig?

Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren sind nach deutschem Recht nur "bedingt strafmündig". Für sie gilt das Jugendgerichtsgesetz (JGG). Strafrechtlich verantwortlich ist ein Jugendlicher zudem nur, "wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln". Der Erziehungsgedanke soll Vorrang haben. Wer die geistige Reife eines Kindes hat, kann nicht bestraft werden. Die Einschätzung trifft in der Regel ein Sachverständiger. Wer dagegen jünger als 14 ist, gilt nach dem Gesetz als Kind und kann nicht belangt werden.

Gleich nach bekannt werden der Tat wurden Forderungen nach strengeren Strafen für straffällige Kinder und Jugendliche laut. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) forderte beispielsweise eine Zwangsunterbringung krimineller Kinder und Jugendlicher. Viel zu oft, so die DPolG, werden Eltern straffälliger Kinder allein gelassen. Die Jugendämter verfügten nicht über genug Personal, sagte der baden-württembergische DPolG-Landeschef Ralf Kusterer. Es fehle vor allem an erfahrenen Sozialarbeitern, die den psychischen Herausforderungen dieser Arbeit gewachsen seien. Viele Einrichtungen, in denen diese jungen Menschen unterkämen, ließen ihnen viele Freiheiten - dabei seien Strukturen viel wirksamer, betonte Kusterer. 

Jugendhilfe im Strafverfahren

Das sieht Daniela Kundt, Leiterin der ambulanten Maßnahmen der Jugendhilfe im Strafverfahren (JuhiS), in Stuttgart anders: "Eine generelle Forderung nach einer speziellen Unterbringung oder einem strengeren Umgang mit jungen Menschen, die straffällig geworden sind, ist abzulehnen." Laut Kundt müsse jeder junge Mensch mit seiner Lebenssituation, den Hintergründen des straffälligen Verhaltens sowie seinen Ressourcen betrachtet werden.

Wirkung schaffe, wenn man zu den jungen Menschen eine Beziehung aufbauen und sie mit Unterstützung dazu befähigen kann, eine Perspektive zu erarbeiten. "Zeit, Geduld und Empathie und das Einbeziehen der jungen Leute spiele eine entscheidende Rolle."

Ein fortschrittlicher Ansatz könnte beispielsweise das Modell "Haus des Jugendrechts" sein. Kundt sieht viele Vorteile bei dem Projekt, das als Modellprojekt Ende der 1990er Jahre in Stuttgart begann. Mittlerweile hat das Vorgehen bundesweit in vielen Ländern Schule gemacht. Das Besondere: In einem Haus des Jugendrechts sind alle beteiligten Institutionen unter einem Dach versammelt. Insbesondere könnten Verfahren beschleunigt werden, da alle am Verfahren beteiligten Institutionen zusammenarbeiten.

Was tun mit ganz jungen Intensivtätern?

"Das ist Wahnsinn", das war der erste Gedanke des Mannheimer Rechtsanwalts Steffen Lindberg, als er am Mittwoch von dem mutmaßlichen Mord in Sinsheim-Eschelbach hörte. Lindberg hat schon viele junge Straftäter verteidigt, aber dass ein 14-Jähriger einen 13-Jährigen gezielt tötet, sei "in der Tat außergewöhnlich" und "auf einem anderen Level", sagte er im SWR-Interview.

Er kenne die Hintergründe des Sinsheimer Falles nicht, was die mögliche Strafe im Fall einer Verurteilung betrifft, verweist Lindberg auf den Erziehungsgedanken des Strafrechts. Die Höchststrafe für jugendliche Mörder liegt deshalb bei zehn Jahren Haft. Das Jugendstrafrecht an sich bietet laut Lindberg vielfältige Möglichkeiten, diesen Erziehungsgedanken zu verfolgen. Eine Verschärfung hält er deshalb nicht für nötig. Bei noch jüngeren, also strafunmündigen Intensivtätern unter 14 Jahren seien dem Staat allerdings die Hände gebunden. In Juristenkreisen wird deshalb darüber diskutiert, die Strafmündigkeit herunterzusetzen, so dass auch unter 14-jährige Intensivtäter rechtlich belangt werden können.

Psychologe: "Jugendstrafrecht muss nicht unbedingt verändert werden"

Mögliche Ursachen für Jugendgewalt sind nach Ansicht der Polizei unter anderem das Erleben von Gewalt in der Familie als Mittel, um Konflikte zu lösen. Der Konsum entsprechender Medien, Perspektiv- und Orientierungslosigkeit könnten weitere Faktoren sein.

Welche Gründe führen dazu, dass ein Junge solch eine Tat wie in Sinsheim begeht? "Dazu müssen mehrere Faktoren zusammenkommen", sagte der Kinder- und Jugend-Psychiater an der Universitätsklinik Tübingen, Gottfried Maria Barth, am Donnerstagabend im SWR-Interview.

"Ich sehe nicht, dass man das Jugendstrafrecht unbedingt verändern muss", sagte Barth. "Wir haben die Möglichkeit auch unter 14 Jahren zu reagieren." Es gebe beispielsweise die Möglichkeit die Unterbringung in einer geschlossenen Jugendhilfeeinrichtung anzuordnen. Dort würde versucht werden, auf den Jugendlichen einzuwirken, dass er eine andere Entwicklung macht. "Das ist vielleicht ein besserer Platz, als wenn er im Jugendstrafvollzug landet."

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