Was macht eigentlich einen guten Politiker aus? Ohne Zweifel: Er sollte beliebt, kompetent, integer und verhandlungssicher sein, Volksnähe ausstrahlen und wissen, wo den kleinen Mann der Schuh drückt. Natürlich müsste er auch imstande sein, globale Krisen souverän zu lösen - und sich nicht von Typen wie Recep Tayyip Erdogan oder Donald Trump ins Bockshorn jagen lassen. Darüber hinaus wäre es auch nicht von Nachteil für die Glaubwürdigkeit eines Volksvertreters, sich zuvor im Berufsleben bewiesen zu haben, statt direkt vom Hörsaal in sein Amt gewechselt zu sein.
Wer diesem Anforderungsprofil zustimmt und dieses in die Realität überträgt, der wird auf der Suche nach seinem Lieblingspolitiker höchstwahrscheinlich auf kommunaler Ebene stranden - aber wohl kaum in den Reihen der Berliner Spitzenpolitik fündig. Kurios ist daran: Laut einer Forsa-Umfrage könnten sich 41 Prozent der Bundesbürger vorstellen, sich politisch zu engagieren. Immerhin 54 Prozent vertrauen „ihrem" Bürgermeister.
Doch seit Jahren wabert eine nicht zu leugnende Skepsis gegenüber politischen Entscheidungen durch die Republik. Für dieses Misstrauen und die gerade auf kommunaler Ebene niedrigen Wahlbeteiligungen gibt es sicher gute Gründe. Aber Demokratie lebt nun einmal davon, dass sich Menschen für sie starkmachen: Ob als Wähler, Abgeordneter, im Fußballverein oder am Arbeitsplatz.
Wer sich dazu entschließt, sich neben seinem Beruf politisch zu engagieren, der wird rasch feststellen, dass nach Feierabend noch lange nicht an Freizeit zu denken ist. Ortsvereins-Sitzungen, Bürgerfragestunden, Ortstermine mit besorgten Bürgern oder der Besuch von Vereinsfesten sind das tägliche Los eines engagierten Lokalpolitikers. Ganz nebenher gilt es, binnen zwei Wochen den 1000-seitigen Haushaltsplan einer Kommune durchzuackern, um Etat-Anträge zum Wohle des Stadtteils einzureichen - ehrenamtlich versteht sich. Das ist nicht unbedingt das, was man sich unter einer entspannenden Freizeitbeschäftigung vorstellt.
Das oben beschriebene Szenario stellt allerdings nur die unterste Stufe kommunalpolitischer Arbeit dar. Um innerhalb einer Partei aufzusteigen, ist es unvermeidlich, sehr viel mehr Zeit zu investieren, politische Konkurrenten zu überflügeln, bei der Parteiführung nicht unangenehm aufzufallen und zugleich den Kontakt zu Journalisten, Interessenvertretern und Bürgern zu pflegen.
In Anbetracht dieser Aufgabenfülle ist es kaum verwunderlich, dass viele Spitzenpolitiker schon seit ihrer Jugend auf eine hauptberufliche Politik-Karriere hinarbeiten. Wäre dies nicht der Fall, würden sie relativ schnell in die lokalen Niederungen ihrer Partei zurücksinken. Für hochqualifizierte Quereinsteiger wiederum sind Parteiposten meist unattraktiv: Diese verdienen in der freien Wirtschaft oft das Vielfache eines Minister- oder Kanzlergehalts und stehen nicht ständig im Licht der Öffentlichkeit.
Wer sich am Stammtisch über seine Volksvertreter beschwert und am Wahlsonntag lieber den Grill anwirft, statt ins Wahllokal zu gehen, der verwechselt Ursache und Wirkung des grassierenden Politik-Verdrusses. Denn am Ende sind es die Wähler, die darüber abstimmen, wer über die Zukunft ihres Landes bestimmt. Wer jedoch keinen Gebrauch von seinem Wahlrecht macht, nimmt billigend in Kauf, dass die Politik nur jene Stimmen hört, die am lautesten rufen.
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