Mirco Drewes

Freier Journalist, Lektor und Publizist, Berlin

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Feature

Der Wedding und die Welt (Zitty-Porträt Paul Bokowski)


Der Berliner Autor Paul Bokowski, bisher nur von Lesebühnen bekannt, hat sich innerhalb weniger Monate vom Insidertipp zum Bestsellerautor entwickelt.


So sehen Erfolgsgeschichten aus: Paul Bokowskis Buch „Hauptsache nichts mit Menschen“, erschienen 2012 im kleinen Satyr Verlag, hat innerhalb weniger Monate sechs Auflagen produziert. Ein kleiner, lokaler Bestseller, ganz ohne Werbung, der nur über Mundpropaganda so erfolgreich war, dass bereits zum Jahreswechsel ein großer Verlag zuschlug: Der Band erscheint als Taschenbuch und Hörbuch, der Autorsteht kurz vor dem Sprung in die bundesweiten Bestsellerlisten.


Bokowskis künstlerische Wurzeln liegen in der Lesebühnenszene, er ist festes Mitglied der wöchentlichen Weddinger Lesebühne "Brauseboys". Der 32-Jährige, der seit zehn Jahren im Berliner Norden lebt, ist eine bemerkenswerte Erscheinung: Ein junger Mann von ausgesuchter Höflichkeit, dessen Ernsthaftigkeit und dezente Kleidung ihm etwas Dandyhaftes verleihen. In Gesprächen agiert Bokowski mit Contenance, ein disziplinierter Skeptiker, der sich nicht in den Vordergrund spielt. Laute Töne oder Kumpanei sind seine Sache nicht.


Aus dieser Perspektive beleuchtet Bokowski urbane Lebensszenen. Seine Inspiration ist eng mit Berlin verbunden: „Hier habe ich über drei Millionen Musen“. Die Konfliktlinien seiner lakonischen Prosa sind die Widersprüche zwischen öffentlicher Ordnung und privater Sinnsuche, die Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit und überhaupt die Zumutung, die das Soziale bedeutet. Als Misanthrop sieht sich der Autor nicht, auch wenn er seine Mitmenschen „am liebsten aus einer gewissen satirischen Distanz betrachtet“. Sein Debüt ist eine Mischung aus Kurzgeschichten, Dialogen, tagebuchartigen Einträgen und Reflexionen über den absurden Bodensatz zwischenmenschlicher Kommunikation.


In Bokowskis Geschichten geht es um alles. Um nachbarschaftliche Diskretion: „Seitdem ich aufgrund beunruhigender Geräusche aus der Wohnung unter mir die Polizei rufen musste, hört mein grobschlächtiger Nachbar neuerdings immer ganz laut die Scorpions, wenn er seine Frau verprügelt. Mitten in der Nacht. Hätte ich doch das Maul gehalten.“ Um das Sexualverhalten paarungsbereiter Großstädter. Um die Flachheiten unserer Zeit, wie im „Evangelium nach Facebook“, einem Text, der auf der letztjährigen Litpop, der jungen Veranstaltung auf der Buchmesse in Leipzig, regelrecht bejubelt wurde. Und um die vielbeschworene Gentrifizierung und die damit verbundene „panische Angst“. Um „den Typen, der einem immer Gras andrehen will, während er in unseren Hausflur pinkelt; um meinen Hauswart, der nur grüßt, wenn er morgens besoffen aus dem ‚See-Tank‘ stolpert; um den Libanesen von gegenüber, bei dem ich mich nicht traue einzukaufen; meine Nachbarn, die jeden Klingelton als Maxi-Single haben, und um ‚Fränkels Fleischimbiss‘ in der Müllerhalle, bei dem man zu jeder Bulette einen Stamm Colibakterien gratis dazubekommt“.


Auf die Entwicklung der Stadt bezogen äußert sich Bokowski differenziert-optimistisch: „Ich weiß, dass es viele Gewinner und Verlierer dieses Wandels gibt, aber der libertäre Geist Berlins ist nicht tot zu kriegen. Er hat ein Kaiserreich, mindestens eine Diktatur und viele Jahre der Teilung überlebt. Er wird auch das Schreckgespenst der Gentrifizierung überleben.“ Deutschlands womöglich bekanntester humoristischer Autor Horst Evers bezeichnet Bokowski als „großen Autor, der eigentlich schon viel zu gut für sein Alter“ sei. Dem Urteil Evers’, es handle sich um „brüllend komische Geschichten“, muss jedoch widersprochen werden: Das Absurde, Komische und Tragische kennzeichnet die Texte Bokowskis mehr als eine Fixierung auf Pointen und gewollte Komik. Witz heißt nicht Witzigkeit und so findet sich der Humor eher zwischen den Zeilen. Die Geschichten und beschriebenen Milieus wirken durchaus real, die Erzählweise ist lakonisch, resignativ und doch nicht frei von moralischer Spitzzüngigkeit. Sie zeigen einen Erzähler zwischen moralischem Pragmatismus und urbanem Hedonismus, der aus seinen polnisch-katholischen Wurzeln seine Inspiration bezieht. Dieser wertkonservative Subtext bestimmt die humoristische Fallhöhe der Geschichten im Buch.


Uli Hannemann, der gute, böse Chronist des Neuköllner Lebens, sieht in Bokowski gar einen Retter „des zweifelhaften Rufs des deutschen Humors“ am Werk, dessen Schreiben „Intelligenz, gute Beobachtung sowie stilistisch feiner Sprachwitz“ zeige. Deutscher Humor? Schweres Thema, aber Hannemann liegt mit seinem kollegialen Urteil nicht falsch. Subversiv ist diese Prosa – und originell. Wenn solche Aussagen nicht etwas von einem Menetekel hätten, könnte man Paul Bokowski als eine Hoffnung für die Popliteratur bezeichnen. Pop verstanden als etwas, dass zwischen den Menschen passiert und nicht auf Erzeugnisse der Popindustrie fixiert ist. Und als etwas, dass ein wenig schmutzig und zwanghaft ist, nahe einer kollektiven Neurose.


Der Ich-Erzähler in einer Geschichte des Bandes bringt es auf den Punkt: „‚Der einfachste Weg ist der Weg der Wahrheit‘, heißt es in einem meiner Lieblingsbücher. Ich habe dies von jeher als Herausforderung begriffen, einen noch einfacheren Weg zu finden.“ Dahinter versteckt sich nicht nur die Erkenntnis, dass die zitierte Phrase eventuell ein großer Mumpitz sein könnte, weil in der Welt die Wahrheit häufig auf wenig Gegenliebe stößt. Sondern auch, dass Paul Bokowskis Prosa eventuell erschreckend wahrhaftig sein könnte. Lange dürfte Paul Bokowski kein Geheimtipp mehr bleiben.