Miltiadis Oulios

Journalist, Autor, Moderator, Kulturveranstalter, Düsseldorf

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Wahlrecht ab 16? [1]

Auf der Veranstaltung des BDKJ NRW „Wahlrecht ab 16?!" wurde die Herabsetzung des Wahlalters mit Engagement diskutiert - ein spannender und erkenntnisreicher Abend

„Daniel, wann war eigentlich Dein Erstes Mal?" - Daniel Dimke von der Jugendhilfe Essen druckst herum. Ihm ist es peinlich. Vor so vielen Leuten. „Mit 20", gesteht er. „Ganz schön spät", zieht ihn Melanie Siebert von der Katholischen Studierenden Jugend (KSJ) auf. „Ich hatte mein erstes Mal mit 16", kokettiert sie, „ich war auch schon gut informiert." Daniel gerät ins Schwitzen: „Ich war damals überhaupt nicht aufgeklärt, es gab noch kein Internet".

Selbstverständlich geht hier nicht um den ersten Sex, sondern nur um den ersten Gang zur Wahlurne. Die Szene mit der das Moderatorenpaar die zahlreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Diskussionsveranstaltung begrüßte, kam gut an, weil sie den Nagel auf den Kopf trifft. Viele Engagierte aus den katholischen Jugendverbänden wollten ebenso wir die anwesenden nordrhein-westfälischen Landespolitikerinnen und -politiker darüber diskutieren, ob zur nächsten Landtagswahl auch schon Jugendliche ab 16 Jahren mitwählen könnten, weil sie das Gefühl haben, die Teens sind soweit.

 

Du darfst trinken, aber nicht wählen

 

Der Lambertussaal am Rheinufer in Düsseldorf liegt am Stiftsplatz, der eine malerische Altstadtkulisse bietet. Eine Gasse weiter tobt das Düsseldorfer Kneipen- und Nachtleben, am Wochenende ziehen dort auch betrunkene Jugendliche durch die Altstadt. Das Gesetz erlaubt ihnen, sich zu betrinken, aber nicht wählen zu gehen.

 

Sarah Primus, die Landesvorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), machte denn auch in ihrem Eröffnungsvortrag gleich auf den Grundwiderspruch aufmerksam, der zur Debatte einlädt. „Es gibt mit Sicherheit nachvollziehbare Gründe das Wählen an ein Alter zu binden. Und dennoch ist das ein Parameter, der die Gleichheit der Stimmen bei einer Wahl ein Stück weit aufhebt. Straf- und Religionsmündigkeit gilt ab dem 14. Lebensjahr. Mit Vollendung des 16. Lebensjahres darf man in vielen Bundesländern kommunal wählen, man darf Bier und Wein trinken, man darf unter Umständen heiraten, man darf sein Testament machen, man darf den Führerschein machen und mit 17 ist man bereits wehrfähig." Warum also sollen Jugendliche erst ab 18 die nötige Reife besitzen, ihr demokratisches Wahlrecht auszuüben?

 

Das ist eine Frage, die den Bereich des Rechts ebenso berührt wie die Pädagogik und die Entwicklungspsychologie. Und genau mit diesen Aspekten haben sich im Anschluss drei Arbeitsgruppen intensiv beschäftigt, diskutiert und die Einschätzung der anwesenden Expertinnen und Experten erfahren.

 

Wie reif sind 16-Jährige?

 

Kinder und Jugendliche werden heute nicht nur früher selbständig, die Medien transportieren nicht nur im frühen Alter die Außenwelt in ihren Nahraum, sie sind auch intelligenter, erläuterte Professor Christian Palentien von der Uni Bremen aktuelle Erkenntnisse der Bildungsforschung. Wenn heutzutage 13-Jährige bei Intelligenztests so gut abschneiden wie vor Jahrzehnten vergleichbare 16-Jährige, dann spreche dies für das Wahlrecht ab 16. Entscheidend sei aber, die Wahlmündigkeit auch in Schulen und Verbänden zu fördern.

Bei Manuela Grochowiak-Schmiedung von den GRÜNEN rannte der Wissenschaftler damit offene Türen ein. Die Sprecherin für Sozialpolitik betonte, dass Jugendlichen schließlich bei der Berufswahl mit 16 schon ähnlich schwierige und wichtige Entscheidungen abverlangt werden.

 

Als 58-Jähriger konnte es sich der SPD-Landtagsabgeordnete Manfred Krick da nicht verkneifen, hinzuweisen, dass auch seine Generation durchaus die Reife und das Interesse besessen hätte, wählen zu gehen. „Das wäre auch bei mir in den frühen 70er Jahren möglich gewesen. Wir hätten diese Chance auch früher haben können", betonte er. Als das Wahlrecht zu seiner Zeit auf 18 herabgesenkt wurde, war das ebenso ein Politikum wie heute das Wahlrecht ab 16.

 

Parteikollege Hans-Willi Körfges aus Mönchengladbach sekundierte mit Fachwissen: „Untersuchungen aus Österreich und Schottland, und da hatten 16-Jährige die Möglichkeit über die Zukunft des Landes abzustimmen, bestätigen, dass sie nicht stärker zu Extremismus und besonders zu Rechtsextremismus neigen als Ältere." Junge Menschen seien also entwicklungspsychologisch durchaus schon mit 16 Jahren in der Lage differenzierte politische Entscheidungen zu treffen. Allerdings verstehen interessierte Jugendliche politische Zusammenhänge besser als weniger interessierte.

 

Die Verfassung sagt nicht „Nein"

 

Ob das „Wahlrecht ab 16" auch juristisch so ohne Weiteres möglich ist, wollte die zweite Arbeitsgruppe herausfinden. Und dort sorgte der Publizist Wolfgang Gründinger gleich zu Anfang für Kontroversen, denn er vertrat seine These, dass jeder Mensch, egal wie jung, wählen dürfen soll, wenn er es denn möchte. Will heißen, jenseits der festgelegten Altersgrenzen sollen sich auch Jüngere in das Wählerregister zumindest eintragen dürfen, schließlich gehören auch Kinder zum Volk.

 

„Das wäre eine sehr extreme Vorstellung von Demokratie und ich fände es sehr fatal, wenn das ein Ergebnis dieser Arbeitsgruppe wäre", widersprach dem Professor Rainer Bovermann, der für die SPD im Landtag sitzt. Wichtiger sei die Erkenntnis, dass es verfassungskonform wäre, das Wahlalter abzusenken, erklärte der Politikwissenschaftler, und somit eine wichtige juristische Voraussetzung vorliege, zur Landtagswahl auch 16- und 17-Jährige zuzulassen. Es sei aber eine Differenzierung zwischen passivem und aktivem Wahlrecht notwendig.

 

Eine Frage der Werte ...

 

„Dennoch bleibt das eine Abwägungsfrage und wie bei der Volljährigkeit ist das vor allem eine Werteentscheidung", gab Dirk Wedel, Richter und FDP-Landtagsabgeordneter zu Bedenken. Wenn die Religionsmündigkeit oder das Kommunalwahlrecht auch unter 18 Jahren möglich sind, dann habe das eben „spezifische Gründe", weil die Entscheidungen eine geringere Tragweite besitzen, „da werden keine Gesetze beschlossen." Ein passives Wahlrecht unter 18 Jahren „kommt für mich überhaupt nicht in Frage, weil ich mir keinen nicht voll geschäftsfähigen Abgeordneten vorstellen kann."

 

Entscheidend ist aber die Erkenntnis, dass „juristisch nichts gegen das aktive Wahlrecht ab 16 spricht", betonte die Pädagogin Dagmar Hanses von den GRÜNEN. Und deshalb solle man sich darauf konzentrieren, weil das relativ einfach umzusetzen sei. Nur Olaf Wegner von den PIRATEN ließ nicht locker: „Was heißt hier geschäftsfähig? Theoretisch kann sich jeder Demente über 18 auf eine Parteiliste setzen lassen. Warum verbanne ich einen 16- oder 17-Jährigen, der ein Amt bekleiden könnte und auch von seiner Partei gewählt wird?"

 

... oder der Erziehung

 

„Kinder finden es spannend, wenn sie erleben, dass sie Einfluss nehmen können", berichtete Annika Triller vom BDKJ Diözesanverband Köln in der dritten Arbeitsgruppe. Genau darum geht es, wenn Jugendliche auch fit gemacht werden sollen fürs Wählen. „In Parteien machen sie nicht diese Erfahrung, deswegen haben sie auch kein Interesse an Parteien." Aber Demokratie funktioniere auch ohne Parteien, die sollten ruhig aussterben, grinste Triller spitzbübisch.

 

Nicht nur die Jugendlichen, sondern vor allem die Politikerinnen und Politiker müssten sich ändern, wenn das Wahlrecht herabgesetzt wird und das wäre gar nicht so schlecht. Davon zeigte sich Sarah van Dawen-Agreiter vom Landesjugendring NRW überzeugt. Jugendliche nehmen Versprechen von Politikerinnen und Politikern noch wörtlicher als abgeklärte, ältere Wählerinnen und Wähler. Das aber hieße, dass Politikerinnen und Politiker sich haltlose Versprechen zwei Mal überlegen müssten, wenn es mehr jüngere Wählerinnen und Wähler gibt.

 

Nicht nur die Schulausbildung muss geändert werden bei einer Absenkung des Wahlalters, es brauche insgesamt mehr Demokratisierung, lautete das Fazit der pädagogischen Arbeitsgruppe.

 

Argumente, die Meinungen bestärken

 

Am Ende des Abends baten Daniel und Melanie alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer wie am Anfang sich auf einer markierten Bahn im Saal zu positionieren. Haben sie etwas dazugelernt oder ihre Meinung geändert? „Wer voll zustimmt geht auf diese Seite, wo die Hundert steht, und wer nicht zustimmt, stellt sich eher dorthin, wo die Null steht", erklärte das Moderatorenpaar.

 

Was passiert? Niemand sagt am Ende, er habe nichts dazugelernt. Und bei niemandem hat sich die eigene Meinung grundlegend geändert, sondern eher noch erhärtet. Das ist aber kein Manko, so die einhellige Meinung. Die Argumente der Gegnerinnen und Gegner der Wahlalterabsenkung besser zu verstehen und für das „Wahlrecht ab 16" neue Argumente zu gewinnen, war das, was alle mit nach Hause genommen haben.

 

Miltiadis Oulios

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