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Leben mit Muskelschwund: Neun Assistenten für Eliza

„Hier, oder?", fragt Lukas, während er versucht, den richtigen Knopf zu finden, um Elizas klingelndes Handy auszuschalten. Es sind solche alltägliche Dinge, die die 26-jährige Wiesbadenerin nicht selbst erledigen kann. Denn Eliza leidet an Muskelschwund, einer angeborenen Erkrankung, bei der die Muskeln in ihrem Körper nach und nach aufhören werden zu arbeiten.


Lukas ist nicht etwa ihr Lebensgefährte, sondern einer ihrer insgesamt neun Assistenten. Er tut alles, worum ihn Eliza bittet, weil sie es nicht selbst tun kann. Er öffnet die Tür, wenn es klingelt, assistiert ihr beim Anziehen, holt ihr einen Kaffee oder unterstützt sie beim Duschen. Denn anstatt ihren Rollstuhl als Hindernis zu sehen, hat sich Eliza selbstständig gemacht - sie ist jetzt verantwortlich für neun Mitarbeiter, durch die sie eigenständig über ihr Leben entscheiden kann.


Pflege ist keine Option für Eliza

Wenn Eliza ihre Geschichte erzählt, wird sie nicht emotional. Sie berichtet ganz ruhig davon, wie sie mit acht Jahren auf einmal nicht mehr rennen und nur noch langsam gehen konnte. Auf die Frage, wie das für sie war, sagt sie nur: „Ich war nie so richtig emotional deshalb, denn als ich angefangen habe zu laufen, habe ich es schon fast nicht mehr gekonnt. Es ist einfach anders im Vergleich zu Menschen, die auf einmal ihre Gehfähigkeit verlieren, ich konnte mich Jahr für Jahr daran gewöhnen".


Seit vielen Jahren sitzt die gebürtige Polin im Rollstuhl - seit rund zehn Jahren ist es ein elektrischer. Laufen kann sie nicht mehr, auch ihre Arme kann sie nicht selbstständig anheben. „Es fühlt sich an, als wäre der Körper zusammengeknotet, man will so vieles tun, der Körper setzt einem aber Grenzen", erklärt sie das Gefühl. In Zukunft könnten auch Schluck- und Atemmuskulatur ausfallen. Andere Menschen, die an Muskelschwund leiden, leben in einem Pflegeheim oder werden von Angehörigen gepflegt. Für Eliza war und ist das keine Option.


Erste Wiesbadenerin mit Anspruch auf „Persönliche Assistenz"

„Ich wollte nie, dass meine Eltern vorwiegend mit mir beschäftigt sind, sondern stattdessen ein eigenes Leben haben. Deshalb war ich froh für alle, als es eine andere Lösung gab", sagt sie. 2016, mit 22 Jahren, war sie die erste Wiesbadenerin, die für 24 Stunden am Tag persönliche Assistenten einstellen konnte, die sie im Alltag unterstützen. Ihr wurde, nachdem sie einen genauen Plan und Kostenkalkulationen erstellt hatte, Anspruch auf eine persönliche Assistenz genehmigt.


„Sie ersetzen meinen Körper", erklärt Eliza das Prinzip der persönlichen Assistenz. 24 Stunden am Tag ist jemand wie Lukas bei ihr. Der 29-Jährige studiert Soziale Arbeit in Wiesbaden und gehört seit neun Monaten zum Team. Nach einem Vorstellungsgespräch und Probearbeiten stellte Eliza ihn ein. Pflegerische Erfahrung brauchte er nicht. „Nach ungefähr drei Monaten ist man eingespielt, dann weiß man, wie man was machen muss. Und was man noch nicht kann, lernt man", erzählt er.


Sein Arbeitstag beginnt immer um 10 Uhr und endet 24 Stunden später. Aufgebaut ist er wie ein Abrufdienst, wenn Eliza etwas von ihm braucht, muss er zur Stelle sein - auch nachts. Dafür haben ihre Assistenten ein eigenes Zimmer in ihrer Wohnung. Braucht sie gerade nichts, dann muss Lukas nur in Reichweite sein. Den Dienstplan stimmen Eliza und ihre Assistenten ab. Wenn jemand an einem Tag Dienst hat, ist jemand anderes in Bereitschaft und kann im Krankheitsfall einspringen. Weil der Job flexibel ist, bewerben sich vor allem Studenten und Selbstständige bei Eliza. Sie selbst ist bei Fragen die erste Ansprechpartnerin, kümmert sich um alles Bürokratische, Arbeitssicherheit, Weiterbildungen und alles, wozu sie als Arbeitgeberin verpflichtet ist.


Kein Helfersyndrom, nur Assistenz

Für Lukas ist die Arbeit mit Eliza ein gut bezahlter Teilzeitjob. Dafür, dass er vier- oder fünfmal im Monat bei ihr ist, bekommt er 13,50 Euro brutto die Stunde. Bezahlt wird das aus Elizas persönlichem Budget, das sie vom Sozialamt bekommt. Etwas anderes als ein Job ist die Arbeit bei Eliza für Lukas auch nicht. Lukas geht es nicht darum, ein Helfersyndrom auszuleben. Und genau so will Eliza das auch. Sie will nicht, dass ihr jemand hilft, weil er denkt, dass sie etwas bräuchte. Sie will selbst bestimmen, wann sie Hilfe benötigt und wann nicht.


Ziemlich bester Job

Nach Menschen wie Lukas und den acht anderen Assistenten sucht Eliza mittlerweile online. Über ihre eigene Webseite „ Ziemlichbesterjob.de " informiert sie über das Prinzip, erzählt von sich selbst als Arbeitgeberin und sucht immer mal wieder nach neuen Assistenten. Inspiriert ist der Name der Webseite von dem französischen Film „Ziemlich beste Freunde", in dem ein Mann im Rollstuhl ebenfalls einen persönlichen Assistenten hat. „Wenn man den Film kennt, kann man sich mehr darunter vorstellen", sagt Eliza.


Denn viele Menschen könnten sich im ersten Moment nichts unter der persönlichen Assistenz vorstellen und würden zunächst skeptisch reagieren. „Einige sagen: Das ist ja schon eine Stange Geld, die dafür ausgegeben wird", erzählt Lukas von seinen Erfahrungen. „Dabei ist es doch total gerechtfertigt. Niemand will doch seinen Eltern zumuten, dass sie sich den ganzen Tag um einen kümmern müssen." Dass das Geld, das sie vom Sozialamt bekommt, nicht umsonst ausgegeben wird, will Eliza mit ihrer Offenheit zeigen: „Die persönliche Assistenz ist kein ausgedachter Luxus, sondern eine Notwendigkeit. Damit kann die Person vollwertig am gesellschaftlichen Leben teilnehmen."


Arbeitgeberin, Autorin, Speakerin

Eliza ist heute 24 Stunden am Tag verantwortlich für ihre Assistenten, sie betreibt einen Blog über ihr Leben mit dem Namen „ Das bisschen Rollstuhl ", ist Webdesignerin und gelernte Bürokauffrau, schreibt eine Kolumne und will sich zur Speakerin ausbilden lassen. Für Außenstehende mag das nach viel Arbeit klingen, für Eliza ist es aber genau das, was sie sich mithilfe der persönlichen Assistenz selbst aussuchen konnte. Und deshalb ist es gut so, sagt sie. (df)

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