1 Abo und 2 Abonnenten
Artikel

Mütter, die in Vollzeit arbeiten: Warum sie kein Mitleid wollen

Mütter, die in Vollzeit arbeiten, sind bei uns immer noch die Ausnahme. Eine Frau erzählt von mitleidigen Blicken, schlechtem Gewissen und Sozialneid.

Bestimmt meinte es die Frau gar nicht so. Aber ihr Kommentar traf mich wie ein gezielt geworfener Haba-Bauklotz. Es war Freitag, 17 Uhr, ich stand in der Kita und versuchte, meiner Tochter den Schneeanzug anzuziehen. Da kam eine Mutter herein, die im Elternvorstand ist und noch was zu besprechen hatte. Sie sah meine Tochter, die gerade kichernd mit einem Stiefel und herunterhängender Hose den Flur entlang rannte. "Was, du hast jetzt noch ein Kind hier?" sagte die Mutter zur Kita-Leiterin. "Soll das hier übernachten?" Sie wusste nicht, dass ich um die Ecke in der Garderobe kauerte. Ich spürte, wie sich ein heißer Kloß in meinem Magen breit machte. "Jetzt noch". Ja, jetzt noch. Während andere Familien schon seit Stunden das Wochenende feierten, war meine Tochter mal wieder die letzte im Spätdienst. Früher dachte ich, dass acht Stunden Betreuung für eine Dreijährige heute nichts Besonderes mehr sind. Doch in unserer Kita arbeiten ALLE Mütter in Teilzeit und holen ihre Kinder am frühen Nachmittag ab. Eine Mutter, die die Betreuungszeit - sogar am Freitag - voll ausnutzt, ist eine Exotin.

So wie ich.

Die Entscheidung, wie ich nach der Elternzeit arbeiten werde, war bei uns eine simple Rechenaufgabe. Mein Mann arbeitet frei, seine Auftragslage schwankt und ist von den Launen der Industrie abhängig. Ich habe den festen Vollzeitjob mit regelmäßigem Einkommen. Unsere Tochter wollten wir die ersten Jahre nur halbtags und ab drei Jahren acht Stunden betreuen lassen. Also musste einer von uns reduzieren. Wir dachten darüber nach, dass ich das sein könnte. Aber das Gehalt hätte nicht mehr gereicht, um die laufenden Kosten zu decken. Wenn dann mal die Aufträge bei meinem Mann ausgeblieben wären - gute Nacht.

"Bei uns habe ich die Rolle der 'Cash Cow'."

Unser Modell sah also so aus: Ich arbeitete 40 Stunden, mein Mann steckte beruflich zurück. Wäre es umgekehrt sinnvoll gewesen, dann hätte ich auch reduziert, sogar gerne. Aber ich hatte nun mal die Rolle der 'Cash Cow'. Als Frau, die Gleichberechtigung auf allen Ebenen verlangt, wäre mir nicht einfallen, das in Frage zu stellen. Und besonders extravagant erschien mir das Modell auch nicht. Eher pragmatisch und ja, auch modern.

Doch mein Umfeld sagte mir etwas anderes. Immer wieder sah ich in erstaunte Gesichter, wenn ich von unserem Plan erzählte. "40 Stunden, krass!" Als hätte ich angekündigt, mein einjähriges Kind auf ein Internat zu schicken. Noch öfter sah ich Mitleid. "Du Arme, dann hast du ja nicht viel von deiner Kleinen." Den berüchtigtsten Satz sagten die wenigsten, aber ich konnte ihn in den Augen ablesen: "Ich könnte das nicht."

"Während alle meinen Mann bewunderten, stand ich da wie die Frau ohne Herz."

Mich ärgerte das. Während alle meinen Mann bewunderten, stand ich da wie die Frau ohne Herz. Ich ärgerte mich auch über mich selbst. Weil ich mich rechtfertigte, statt zu unserer Entscheidung zu stehen. "Ja, es geht leider nicht anders..." So fest hatte ich mir vorgenommen, kein schlechtes Gewissen wegen meiner Arbeitszeit zu haben. Schließlich hatte meine Tochter die beste Betreuung, die man sich wünschen kann: ihren Vater und professionelle Erzieher. Doch mit jedem entsetzten Blick verkrampfte ich mehr.

Ich fragte mich, warum ich so empfindlich reagierte. Wäre ich Topmanagerin mit 300.000 Bonusmeilen, würde es mir vielleicht leichter fallen, den Ärger über ein paar Kita-Muttis zu verdrängen. Aber der Grund für mein doofes Gefühl war nicht meine Wahl, sondern dass ich keine Wahl hatte. Ich musste so viel arbeiten, um unseren Lebensstandard einigermaßen zu halten. Die meisten anderen Mütter in unserem Viertel sind wohlhabender, haben gut verdienende Männer oder bessere Gehälter. Da stolz zu bleiben, ist in unserer Über-Geld-spricht-man-nicht-Gesellschaft nicht einfach.

"So viele Mütter können es sich gar nicht leisten, weniger zu arbeiten."

Mir wurde klar, dass bei der Diskussion um Kind oder Karriere und Krippe oder nicht Krippe eine Gruppe der Bevölkerung oft außer Acht gelassen wird: Diejenigen, die es sich gar nicht leisten können, weniger zu arbeiten. Für so viele Mütter ist die wichtigste Frage nicht, wie sie die nächsten Schritte auf der Karriereleiter machen, sondern wie sie jeden Monat die Miete und das Essen bezahlen. Es sind eben auch die Geringverdiener, Alleinerziehenden, Freiberufler und immer öfter die normalen Angestellten, die bessere Rahmenbedingungen für Familien brauchen. Und nicht nur Frauen, die nach Führungspositionen streben.

Die Frau aus unserem Elternvorstand ist in dieser Realität offenbar noch nicht angekommen. Aber das ist mir inzwischen egal. Ich freue mich lieber über den süßen Sohn einer Alleinerziehenden, der meine Tochter neuerdings im Spätdienst verstärkt. Und ich freue mich über meine neue Teilzeit. Denn ich habe dann doch noch reduziert, auf 35 Stunden. Nicht die Welt, aber immerhin. Mein Mann arbeitet dafür wieder mehr. Es macht unser Leben entspannter. Und das schlechte Gewissen? Heute weiß ich, dass uns das schlechte Gewissen selten die Kinder machen. Meine Tochter geht jeden Tag fröhlich singend in die Kita. Ich merke ihr an, dass sie mit ihrem Leben zufrieden ist. Nein, das schlechte Gewissen machen uns die anderen - die mit dem Mitleid in den Augen. Und da gucke ich jetzt einfach nicht mehr hin.

Zum Original