In der Europäischen Union sind 119 Millionen Menschen von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen oder bedroht. In Österreich waren es 2016 über 1,5 Millionen Menschen. Michael Wögerer von "Unsere Zeitung" will auf ihre Situation aufmerksam machen. Er lebt einen Monat lang von 7,50 Euro am Tag. Es ist der Versuch einer Annäherung. Wir veröffentlichen sein Tagebuch.
In der Europäischen Union sind 119 Millionen Menschen von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen oder bedroht. In Österreich waren es 2016 über 1,5 Millionen Menschen. Michael Wögerer von „Unsere Zeitung" will auf ihre Situation aufmerksam machen. Er lebt einen Monat lang von 7,50 Euro am Tag. Es ist der Versuch einer Annäherung. Wir veröffentlichen sein Tagebuch.
Es wäre bestimmt angebracht, mich zuerst bei den vielen positiven Reaktionen auf meinen „ Selbstversuch " zu bedanken. Vielleicht soll ich aber auch gleich auf kritische Anmerkungen reagieren?
Wie schaffe ich es euch zu vermitteln, was ich in diesem Moment denke und fühle? Gerade heute, am "Tag der Arbeit", mit diesem "Experiment" zu beginnen, war vermutlich eine ganz besonders blöde Idee.
Seit vielen Jahren ist der 1. Mai ein Tag, an dem ich gemeinsam mit Freundinnen und Freunden feiere, ein Tag, wo wir uns bewusst werden, dass der Reichtum dieser Gesellschaft nur deshalb existiert, weil es arbeitende Menschen gibt, die ihn erzeugen. Ein Feiertag, nicht „in Gottes Namen", sondern weil er von uns erkämpft wurde. Kurzum: Ein guter Grund zum Feiern.
Doch Feiern kostet. Um 7 Uhr aufgestanden und ab 8 Uhr unterwegs, hab ich mich heute darum gekümmert, so vielen Menschen wie möglich eine 1.-Mai-Nummer der Tageszeitung „junge Welt" in die Hand zu drücken. Die von zu Hause mitgenommene Termoskanne Schwarztee genügte zum Frühstück.
Mittags auf der Ringstraße in der Nähe des Parlaments treffe ich Nikolaus, er wusste bereits von meinem Selbstversuch und bestand darauf, mich auf ein „Mai-Bier" einzuladen. Ich willige dankend ein. Weil ich wusste, dass ich mit 7,50 Euro nicht weit komme, hab ich mir danach drei Wieselburger im "OK-Shop" am Schottentor besorgt, macht insgesamt 5,25 Euro. Meine Schwester schenkt mir eine Wurstsemmel, die ich irgendwann am Nachmittag verschlinge.
Eine gemütliche Runde hat sich versammelt, es wir geplaudert und getrunken. Zwischendurch mache ich mich auf dem Weg zum öffentlichen Brunnen und fülle meine Termoskanne mit frischem Wasser. Eine weitere Einladung zu einem Getränk nehme ich noch an, doch ich weiß, dass ohne die Ankündigung des Selbstversuches, die mittlerweile fast alle rundherum mitbekommen haben, niemand auf die Idee gekommen wäre, mich einzuladen.
Ich weiß, dass es besondere Menschen sind, die das getan haben, aber ich weiß auch, dass es nicht der Realität entspricht.
Zur Feier des Tages genehmige ich mir noch einen Cuba Libre um 3 Euro. Das Tageslimit ist um 0,75 Cent überzogen. Höchste Zeit heimzufahren. Unter „normalen Umständen" hätte mich zu diesem Zeitpunkt nichts in aller Welt dazu gebracht nach Hause zu fahren. Rund herum waren so viele Menschen, mit denen ich mich noch gerne unterhalten hätte.
Ich hatte genug Geld bei mir, um mich bei all jenen, die mich vorher eingeladen hatten, zu revanchieren. Ich hätte ein wenig schummeln können, vermutlich wäre es niemanden aufgefallen. Doch diese Möglichkeit haben jene, die tatsächlich mit 7,50 Euro am Tag oder sogar noch weniger auskommen müssen, nicht. Für sie ist das alles kein Spiel!
Und ich habe mir fest vorgenommen, dass es für mich in diesem Monat auch kein Spiel sein wird!
Hoch der 1. Mai!
Wien, Tag der Arbeit, 1.5.2017