Ob Barbados der Mittelpunkt der kulinarischen Welt ist, sei dahingestellt. Die Küche des Inselstaates kann sich durchaus sehen lassen. Seit einer Infusion internationaler Talente beim "Food & Wine and Rum Festival" wird die Karibik allerdings zum Pilgerort Genusssüchtiger.
Die karibische Gastlichkeit verlangt vom Besucher Nehmerqualitäten - einen gesunden Appetit zuvorderst. Barbados tut sich durch eine Reihe guter bis sehr guter Restaurants hervor, die zudem oftmals Mehrwert durch Meerblick besitzen. Der Tourismusminister Richard Sealy hält in seinem Grußwort zum ersten "Barbados Food & Wine and Rum Festival" die Insel für das kulinarische Zentrum der Region. Das mag angesichts der Leibspeise Makkaroni und Käse etwas vollmundig sein, doch mit internationaler Verstärkung will die selbsternannte karibische Küchenkapitale jeweils im November ihrem Anspruch gerecht werden.
Zum ersten Mal lud sich im Herbst vergangenen Jahres die Tourismusbehörde von Barbados Küchengäste ein, etwa den chinesisch-amerikanischen Fernsehkoch Ming Tsai, Tim Love aus Texas, der Barbecue als Kunstform demonstrierte, oder Fergus Henderson, dessen Restaurant "St. John" in London für Delikatessen wie Eichhörnchen berühmt ist - sowie für Hendersons Nichts-kommt-weg-Philosophie: Filet ist langweilig, spannend wird's bei Schnauze und Füßen.
Das ehrgeizige Projekt will Genussmenschen aus aller Welt einfangen, denen Barbados meist ohnehin längst ein Begriff ist. Doch machen auch Lebemänner und -frauen eben lieber im Sommer oder zum Jahresende und -anfang Urlaub. Der November ist, trotz wunderbarem Wetter, touristisch eher mau. Auch in unserem Hotel sind die Flure nahezu verwaist, und wenn man zweimal aneinander vorbeigelaufen ist, grüßen die Zimmermädchen mit Namen.
Darum werden in der Rede, die Minister Sealy auf der eröffnungsveranstaltung hält, ganz konkret die anwesenden Journalisten angesprochen. "Tragen Sie die Kunde von unserer schönen Insel in die Welt!" Huch. Das wird wohl nichts mit dem Unters-Volk-mischen. An den verschiedenen Kochstationen am Strand des Hilton Barbados kann man die Mitanstehenden statt nach der Herkunft genauso gut fragen: Und für wen schreiben Sie?
Am nächsten Tag findet im Lion Castle Polo Estate in St. Thomas eine Weinverkostung mit Fingerfood statt. Fantastischem Fingerfood. Heute dürfen die Starköche ran. Ming Tsai, Gastgeber der Emmy-nominierten US-Kochsendung "Simply Ming", serviert Sushi, dessen Aromen wie eine Melodie ausgespielt werden. Statt alle Noten wie in einem Akkord auf einmal herunterzudreschen, entfalten sie sich langsam, bis zum Wasabi-Kern im Finale. Das ist meisterlich, ebenso wie die köstlichen Lammsandwiches von Rob Feenie aus Kanada oder die Ochsenzunge von Fergus Henderson, die mit ein bisschen Bastelgeschick in ein Kopfsalatblatt eingerollt wird.
Damit man dafür die Hände frei hat, hängt das Weinglas in einer Schlaufe um den Hals. Sofern man kein Problem mit diesem leicht lächerlichen Anblick hat. Denn Tische sind Mangelware, und zwei Hände benötigt man schon für Teller und Häppchen.
So fantastisch Wein und Essen sind, so unglücklich ist das Timing: Ausgerechnet an diesem Abend, der in einem großen Zelt stattfindet, regnet es, und so gerät die sommerliche Stimmung, gefangen unter weißen Planen, beinahe etwas klaustrophobisch - und statt nach karibischer Lebenslust zu schmecken, bekommt die Veranstaltung nun geradezu Messecharakter. Doch der Regen hört auf, einige ziehen weiter. Die Afterparty in der Second Street in Holetown ist das Gegenteil der Zeltfeier: Festivalpublikum und einheimische Feierlustige vermischen sich endlich, trinken Bier und tanzen zu Abba - in einer niedlichen kleinen Ausgehmeile, die schnell durchschritten, aber nur langsam wieder verlassen wird.
Fergus Henderson begegnen wir während des Festivals noch einmal: In einem Workshop im Sandy Lane Resort, in dem er seine Idee des Nose-To-Tail-Eating rekapituliert - "von der Schnauze bis zum Schwanz". Henderson kann selbst nicht mehr kochen, seit den Neunzigern ist er an Parkinson erkrankt, ein Assistent erledigt die Zubereitung von Knochen mit Mark und in Rum mariniertem Ochsenherz. Es ist manchmal schwer seinen Erläuterungen zu folgen, nicht aber seiner Begeisterung. Henderson ist Autodidakt und hat den Beruf nicht klassisch erlernt. Von Haus aus ist er Architekt, das Gespür für Proportionalität hilft ihm allerdings auch in seiner Leidenschaft. Man könnte es auch Berufung nennen, oder: Vorsehung.
Eine Beschreibung, die ihm sicherlich gefiele. Schließlich ist Henderson offenkundig Star-Wars-Fan: In einem Plädoyer, beim Kochen dem Gefühl zu vertrauen, führt er Luke Skywalkers Anflug auf den Todesstern in "Krieg der Sterne" an. Der vertraut nicht seinen Geräten, nur sich selbst. Ein Jedi-Ritter in der Küche - nicht nur weil vielen Zuschauern Hendersons Zutaten irgendwie außerirdisch vorkommen.
Das Food-Festival ist sicherlich eine Bereicherung für Barbados, ob man als Kontinentaleuropäer für eine ausgesprochen geschmackvolle Food-Messe über den großen Teich will, fraglich. Zum Schaden soll es nicht sein. Wir aßen hervorragend in Restaurants wie dem Café Luna und Josef's Restaurant, außerhalb des Festivalprogramms. Und die Karibik ist im November so schön wie immer.
Artikel erschienen: Januar 2011
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